beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg seine Verlegenheit hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer- blatt Amor und Psyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter- brach einzig und allein die langen Pausen der Unterhaltung. Denn der Obermann war kein Sprecher.
Endlich trat die Magd ein, um den Tisch zu decken. Sie öffnete die kleinen Fenster, und zugleich mit der Sonne drangen jetzt Hahnenschrei und Entengeschnatter in's Zimmer; war doch das Flügelvolk des Hofes seit lange daran gewöhnt, ein dankbares Hoch auszubringen, so bald das rothe Halstuch der Köchin an Thür oder Fenster sichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf aus seinem Versteck hervor und stellte Stühle um den Tisch herum; eine Flasche Wein aus unserem Reisesack vollendete die Vorberei- tungen. Das Mahl selbst war ganz im Charakter des Luchs: erst Kibitz-Eier, dann wilde Enten und schließlich ein Kuchen aus Haidemehl, dessen Buchweizen auf den Sandstellen des Luches selbst gewachsen war. Wir ließen den Obermann leben und wünsch- ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück ist voll- kommen; als wir um ein Glas Wasser baten, brachte man uns ein Glas Milch; das Luch steckt zu tief im Wasser, um -- Trink- wasser haben zu können.
Bald nach Tisch nahmen wir Abschied und stiegen in ein bereit liegendes Boot, um unsere Wasserreise durch das Herz des Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwischen grau und blau gekämpft hatte, wie Einer, der schwankt, ob er lachen oder böse werden soll, hatte sich inzwischen völlig grau umzogen und drohte unserer Wasserfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren Charakter zu geben, als uns lieb sein konnte. Dennoch verbot sich ein längeres Zögern, und unter Hut- und Mützenschwenken ging es dahin. Es war eine Vorspann-Reise: kein Ruderschlag fiel in's Wasser, keine Bootmannskunst wurde geübt; Ruderer und Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochstiefligen Torf- arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit- tels eines am Mast befestigten Strickes uns rasch und sicher die Wasserstraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras-
beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg ſeine Verlegenheit hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer- blatt Amor und Pſyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter- brach einzig und allein die langen Pauſen der Unterhaltung. Denn der Obermann war kein Sprecher.
Endlich trat die Magd ein, um den Tiſch zu decken. Sie öffnete die kleinen Fenſter, und zugleich mit der Sonne drangen jetzt Hahnenſchrei und Entengeſchnatter in’s Zimmer; war doch das Flügelvolk des Hofes ſeit lange daran gewöhnt, ein dankbares Hoch auszubringen, ſo bald das rothe Halstuch der Köchin an Thür oder Fenſter ſichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf aus ſeinem Verſteck hervor und ſtellte Stühle um den Tiſch herum; eine Flaſche Wein aus unſerem Reiſeſack vollendete die Vorberei- tungen. Das Mahl ſelbſt war ganz im Charakter des Luchs: erſt Kibitz-Eier, dann wilde Enten und ſchließlich ein Kuchen aus Haidemehl, deſſen Buchweizen auf den Sandſtellen des Luches ſelbſt gewachſen war. Wir ließen den Obermann leben und wünſch- ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück iſt voll- kommen; als wir um ein Glas Waſſer baten, brachte man uns ein Glas Milch; das Luch ſteckt zu tief im Waſſer, um — Trink- waſſer haben zu können.
Bald nach Tiſch nahmen wir Abſchied und ſtiegen in ein bereit liegendes Boot, um unſere Waſſerreiſe durch das Herz des Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwiſchen grau und blau gekämpft hatte, wie Einer, der ſchwankt, ob er lachen oder böſe werden ſoll, hatte ſich inzwiſchen völlig grau umzogen und drohte unſerer Waſſerfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren Charakter zu geben, als uns lieb ſein konnte. Dennoch verbot ſich ein längeres Zögern, und unter Hut- und Mützenſchwenken ging es dahin. Es war eine Vorſpann-Reiſe: kein Ruderſchlag fiel in’s Waſſer, keine Bootmannskunſt wurde geübt; Ruderer und Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochſtiefligen Torf- arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit- tels eines am Maſt befeſtigten Strickes uns raſch und ſicher die Waſſerſtraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0200"n="182"/>
beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg ſeine Verlegenheit<lb/>
hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer-<lb/>
blatt Amor und Pſyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter-<lb/>
brach einzig und allein die langen Pauſen der Unterhaltung. Denn<lb/>
der Obermann war kein Sprecher.</p><lb/><p>Endlich trat die Magd ein, um den Tiſch zu decken. Sie<lb/>
öffnete die kleinen Fenſter, und zugleich mit der Sonne drangen<lb/>
jetzt Hahnenſchrei und Entengeſchnatter in’s Zimmer; war doch<lb/>
das Flügelvolk des Hofes ſeit lange daran gewöhnt, ein dankbares<lb/>
Hoch auszubringen, ſo bald das rothe Halstuch der Köchin an<lb/>
Thür oder Fenſter ſichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf<lb/>
aus ſeinem Verſteck hervor und ſtellte Stühle um den Tiſch herum;<lb/>
eine Flaſche Wein aus unſerem Reiſeſack vollendete die Vorberei-<lb/>
tungen. Das Mahl ſelbſt war ganz im Charakter des Luchs: erſt<lb/>
Kibitz-Eier, dann wilde Enten und ſchließlich ein Kuchen aus<lb/>
Haidemehl, deſſen Buchweizen auf den Sandſtellen des Luches<lb/>ſelbſt gewachſen war. Wir ließen den Obermann leben und wünſch-<lb/>
ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück iſt voll-<lb/>
kommen; als wir um ein Glas Waſſer baten, brachte man uns<lb/>
ein Glas Milch; das Luch ſteckt zu tief im Waſſer, um — Trink-<lb/>
waſſer haben zu können.</p><lb/><p>Bald nach Tiſch nahmen wir Abſchied und ſtiegen in ein<lb/>
bereit liegendes Boot, um unſere Waſſerreiſe durch das Herz des<lb/>
Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwiſchen grau und<lb/>
blau gekämpft hatte, wie Einer, der ſchwankt, ob er lachen oder<lb/>
böſe werden ſoll, hatte ſich inzwiſchen völlig grau umzogen und<lb/>
drohte unſerer Waſſerfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren<lb/>
Charakter zu geben, als uns lieb ſein konnte. Dennoch verbot ſich<lb/>
ein längeres Zögern, und unter Hut- und Mützenſchwenken ging<lb/>
es dahin. Es war eine <hirendition="#g">Vorſpann</hi>-Reiſe: kein Ruderſchlag fiel<lb/>
in’s Waſſer, keine Bootmannskunſt wurde geübt; Ruderer und<lb/>
Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochſtiefligen Torf-<lb/>
arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit-<lb/>
tels eines am Maſt befeſtigten Strickes uns raſch und ſicher die<lb/>
Waſſerſtraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[182/0200]
beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg ſeine Verlegenheit
hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer-
blatt Amor und Pſyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter-
brach einzig und allein die langen Pauſen der Unterhaltung. Denn
der Obermann war kein Sprecher.
Endlich trat die Magd ein, um den Tiſch zu decken. Sie
öffnete die kleinen Fenſter, und zugleich mit der Sonne drangen
jetzt Hahnenſchrei und Entengeſchnatter in’s Zimmer; war doch
das Flügelvolk des Hofes ſeit lange daran gewöhnt, ein dankbares
Hoch auszubringen, ſo bald das rothe Halstuch der Köchin an
Thür oder Fenſter ſichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf
aus ſeinem Verſteck hervor und ſtellte Stühle um den Tiſch herum;
eine Flaſche Wein aus unſerem Reiſeſack vollendete die Vorberei-
tungen. Das Mahl ſelbſt war ganz im Charakter des Luchs: erſt
Kibitz-Eier, dann wilde Enten und ſchließlich ein Kuchen aus
Haidemehl, deſſen Buchweizen auf den Sandſtellen des Luches
ſelbſt gewachſen war. Wir ließen den Obermann leben und wünſch-
ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück iſt voll-
kommen; als wir um ein Glas Waſſer baten, brachte man uns
ein Glas Milch; das Luch ſteckt zu tief im Waſſer, um — Trink-
waſſer haben zu können.
Bald nach Tiſch nahmen wir Abſchied und ſtiegen in ein
bereit liegendes Boot, um unſere Waſſerreiſe durch das Herz des
Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwiſchen grau und
blau gekämpft hatte, wie Einer, der ſchwankt, ob er lachen oder
böſe werden ſoll, hatte ſich inzwiſchen völlig grau umzogen und
drohte unſerer Waſſerfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren
Charakter zu geben, als uns lieb ſein konnte. Dennoch verbot ſich
ein längeres Zögern, und unter Hut- und Mützenſchwenken ging
es dahin. Es war eine Vorſpann-Reiſe: kein Ruderſchlag fiel
in’s Waſſer, keine Bootmannskunſt wurde geübt; Ruderer und
Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochſtiefligen Torf-
arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit-
tels eines am Maſt befeſtigten Strickes uns raſch und ſicher die
Waſſerſtraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/200>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.