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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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oder Toccadille zu spielen. Ich ängstigte mich damals mitunter,
wenn ich auf dem Kissen saß und die beiden alten Leute so cere-
moniell mit einander sprechen hörte; ich will nicht leugnen, ich
dachte mitunter sie wären todt, und ihre Gespenster kämen zusam-
men, um an alter Stelle nach alter Weise zu sprechen; aber ich
habe später in andern Häusern oft gedacht: "wenn hier doch Mann
und Frau oder Frau und Schwager ein ähnliches Gesellschaftsspiel
spielen wollten," und mir fiel dann das Wort ein, das Frau von
Jürgaß einst zu mir gesagt hatte: "gute Gewohnheiten wollen
geübt sein; sie rosten sonst ein und versagen den Dienst." Dies
ceremonielle Wesen schloß aber Freiheit und raschen Witz nicht aus,
und ich bewunderte sie aufrichtig, wenn sie die Honneurs des
Hauses machte, sobald Besuch von den Gütern oder gar aus der
Hauptstadt eingetroffen war. Sie war dann ganz die Tochter des
alten Zieten, die unter dem großen König mit "zu Hofe" gegangen
war. Sie übersah die beiden alten Herren an Witz und Wissen,
und sie hätte es leicht gehabt, auf ihre Kosten die unterhaltende
Wirthin zu machen, aber, wenn beim Souper die alten Anekdoten
von Hainau und Katzbach und Vater Blücher zum wer weiß wie
vielsten Male erzählt wurden, so hörte sie aufmerksam zu und
suchte nur durch eine geschickte Wendung der alten Geschichte eine
neue Pointe zu geben, so daß die Gäste doch auch ihre Rechnung
fanden. Sie war ganz ihres Vaters Tochter: klein, unansehnlich
und unschön, aber fromm und muthig und pflichttreu wie er,
und wie ihr Vater, so starb sie auch, ruhig, hochbetagt, ohne die
Bitterkeit des Todes zu empfinden. Sie schlief hinüber. Sie hat
mir einen jener Ringe vermacht, mit dem ich als Kind spielen
durfte, wenn ich neben ihr auf dem gestickten Kissen saß; aber es
hätte dieses Zeichens nicht bedurft, um ihrer immer in Dankbar-
keit zu gedenken."



Am 7. Juni 1829 starb des alten Zieten Tochter, am
29. Juni 1854 starb des alten Zieten Sohn, der letzte Zieten

oder Toccadille zu ſpielen. Ich ängſtigte mich damals mitunter,
wenn ich auf dem Kiſſen ſaß und die beiden alten Leute ſo cere-
moniell mit einander ſprechen hörte; ich will nicht leugnen, ich
dachte mitunter ſie wären todt, und ihre Geſpenſter kämen zuſam-
men, um an alter Stelle nach alter Weiſe zu ſprechen; aber ich
habe ſpäter in andern Häuſern oft gedacht: „wenn hier doch Mann
und Frau oder Frau und Schwager ein ähnliches Geſellſchaftsſpiel
ſpielen wollten,“ und mir fiel dann das Wort ein, das Frau von
Jürgaß einſt zu mir geſagt hatte: „gute Gewohnheiten wollen
geübt ſein; ſie roſten ſonſt ein und verſagen den Dienſt.“ Dies
ceremonielle Weſen ſchloß aber Freiheit und raſchen Witz nicht aus,
und ich bewunderte ſie aufrichtig, wenn ſie die Honneurs des
Hauſes machte, ſobald Beſuch von den Gütern oder gar aus der
Hauptſtadt eingetroffen war. Sie war dann ganz die Tochter des
alten Zieten, die unter dem großen König mit „zu Hofe“ gegangen
war. Sie überſah die beiden alten Herren an Witz und Wiſſen,
und ſie hätte es leicht gehabt, auf ihre Koſten die unterhaltende
Wirthin zu machen, aber, wenn beim Souper die alten Anekdoten
von Hainau und Katzbach und Vater Blücher zum wer weiß wie
vielſten Male erzählt wurden, ſo hörte ſie aufmerkſam zu und
ſuchte nur durch eine geſchickte Wendung der alten Geſchichte eine
neue Pointe zu geben, ſo daß die Gäſte doch auch ihre Rechnung
fanden. Sie war ganz ihres Vaters Tochter: klein, unanſehnlich
und unſchön, aber fromm und muthig und pflichttreu wie er,
und wie ihr Vater, ſo ſtarb ſie auch, ruhig, hochbetagt, ohne die
Bitterkeit des Todes zu empfinden. Sie ſchlief hinüber. Sie hat
mir einen jener Ringe vermacht, mit dem ich als Kind ſpielen
durfte, wenn ich neben ihr auf dem geſtickten Kiſſen ſaß; aber es
hätte dieſes Zeichens nicht bedurft, um ihrer immer in Dankbar-
keit zu gedenken.“



Am 7. Juni 1829 ſtarb des alten Zieten Tochter, am
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[160/0178] oder Toccadille zu ſpielen. Ich ängſtigte mich damals mitunter, wenn ich auf dem Kiſſen ſaß und die beiden alten Leute ſo cere- moniell mit einander ſprechen hörte; ich will nicht leugnen, ich dachte mitunter ſie wären todt, und ihre Geſpenſter kämen zuſam- men, um an alter Stelle nach alter Weiſe zu ſprechen; aber ich habe ſpäter in andern Häuſern oft gedacht: „wenn hier doch Mann und Frau oder Frau und Schwager ein ähnliches Geſellſchaftsſpiel ſpielen wollten,“ und mir fiel dann das Wort ein, das Frau von Jürgaß einſt zu mir geſagt hatte: „gute Gewohnheiten wollen geübt ſein; ſie roſten ſonſt ein und verſagen den Dienſt.“ Dies ceremonielle Weſen ſchloß aber Freiheit und raſchen Witz nicht aus, und ich bewunderte ſie aufrichtig, wenn ſie die Honneurs des Hauſes machte, ſobald Beſuch von den Gütern oder gar aus der Hauptſtadt eingetroffen war. Sie war dann ganz die Tochter des alten Zieten, die unter dem großen König mit „zu Hofe“ gegangen war. Sie überſah die beiden alten Herren an Witz und Wiſſen, und ſie hätte es leicht gehabt, auf ihre Koſten die unterhaltende Wirthin zu machen, aber, wenn beim Souper die alten Anekdoten von Hainau und Katzbach und Vater Blücher zum wer weiß wie vielſten Male erzählt wurden, ſo hörte ſie aufmerkſam zu und ſuchte nur durch eine geſchickte Wendung der alten Geſchichte eine neue Pointe zu geben, ſo daß die Gäſte doch auch ihre Rechnung fanden. Sie war ganz ihres Vaters Tochter: klein, unanſehnlich und unſchön, aber fromm und muthig und pflichttreu wie er, und wie ihr Vater, ſo ſtarb ſie auch, ruhig, hochbetagt, ohne die Bitterkeit des Todes zu empfinden. Sie ſchlief hinüber. Sie hat mir einen jener Ringe vermacht, mit dem ich als Kind ſpielen durfte, wenn ich neben ihr auf dem geſtickten Kiſſen ſaß; aber es hätte dieſes Zeichens nicht bedurft, um ihrer immer in Dankbar- keit zu gedenken.“ Am 7. Juni 1829 ſtarb des alten Zieten Tochter, am 29. Juni 1854 ſtarb des alten Zieten Sohn, der letzte Zieten

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/178>, abgerufen am 21.05.2024.