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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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gewesen), aber man mußte sich erst ordentlich fragen, ob sie hübsch
oder häßlich sei, sonst sah man's nicht, weil sie so freundlich war.
Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernase,
und auf den Löckchen saß eine Haube wie ein Thurm; es ist wahr,
sie sah altfränkisch und beinah komisch aus, aber wer sie kannte,
der lachte nicht, dazu war sie zu gut und zu gescheudt. Sie hatte
aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die sie bis zuletzt
behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren.
Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieser Hände küssen
durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug sie Hacken-
schuhe mit hohen Absätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube
und die hohen Absätze sah, zwischen denen sich die kleine Frau
bewegte, kam sie mir noch kleiner vor als sie wirklich war. Sie
liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General,
und beide vergalten es ihr und trugen sie auf Händen. Es war
ein Leben, wie ich es nie wieder gesehn habe und ich habe doch
viele Menschen und viele Häuser gesehn. In Winterzeit, wenn die
Wege verschneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann saßen
wir oben im Ecksaal und spielten "Gesellschaft." Frau von Jürgaß
nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden
angezündet und ich durfte neben ihr sitzen auf einem Fußkissen,
darauf der alte Fritz gestickt war. War alles vorbereitet, so gab
sie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufspringen und
den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann
wirklich herein oder er erhob sich von seinem Stuhl, auf dem er
bis dahin gesessen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte
nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in
Wustrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren sie im leb-
haftesten Gespräch über die alte Zeit, und alle Ereignisse, die sie
seit 50 Jahren zusammen durchlebt hatten, wurden durchgesprochen
wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine
Ehre ansehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen
müsse. Dann brachen sie plötzlich ab, lachten herzlich, schüttelten
sich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame

geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch
oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war.
Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe,
und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr,
ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte,
der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte
aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt
behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren.
Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen
durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken-
ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube
und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau
bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie
liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General,
und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war
ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch
viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die
Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen
wir oben im Eckſaal und ſpielten „Geſellſchaft.“ Frau von Jürgaß
nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden
angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen,
darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab
ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und
den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann
wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er
bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte
nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in
Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb-
hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie
ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen
wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine
Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen
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ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame

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[159/0177] geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war. Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe, und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr, ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte, der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren. Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken- ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General, und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen wir oben im Eckſaal und ſpielten „Geſellſchaft.“ Frau von Jürgaß nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen, darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb- hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen müſſe. Dann brachen ſie plötzlich ab, lachten herzlich, ſchüttelten ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/177>, abgerufen am 11.12.2024.