gewesen), aber man mußte sich erst ordentlich fragen, ob sie hübsch oder häßlich sei, sonst sah man's nicht, weil sie so freundlich war. Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernase, und auf den Löckchen saß eine Haube wie ein Thurm; es ist wahr, sie sah altfränkisch und beinah komisch aus, aber wer sie kannte, der lachte nicht, dazu war sie zu gut und zu gescheudt. Sie hatte aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die sie bis zuletzt behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren. Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieser Hände küssen durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug sie Hacken- schuhe mit hohen Absätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube und die hohen Absätze sah, zwischen denen sich die kleine Frau bewegte, kam sie mir noch kleiner vor als sie wirklich war. Sie liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General, und beide vergalten es ihr und trugen sie auf Händen. Es war ein Leben, wie ich es nie wieder gesehn habe und ich habe doch viele Menschen und viele Häuser gesehn. In Winterzeit, wenn die Wege verschneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann saßen wir oben im Ecksaal und spielten "Gesellschaft." Frau von Jürgaß nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden angezündet und ich durfte neben ihr sitzen auf einem Fußkissen, darauf der alte Fritz gestickt war. War alles vorbereitet, so gab sie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufspringen und den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann wirklich herein oder er erhob sich von seinem Stuhl, auf dem er bis dahin gesessen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in Wustrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren sie im leb- haftesten Gespräch über die alte Zeit, und alle Ereignisse, die sie seit 50 Jahren zusammen durchlebt hatten, wurden durchgesprochen wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine Ehre ansehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen müsse. Dann brachen sie plötzlich ab, lachten herzlich, schüttelten sich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame
geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war. Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe, und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr, ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte, der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren. Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken- ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General, und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen wir oben im Eckſaal und ſpielten „Geſellſchaft.“ Frau von Jürgaß nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen, darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb- hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen müſſe. Dann brachen ſie plötzlich ab, lachten herzlich, ſchüttelten ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0177"n="159"/>
geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch<lb/>
oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war.<lb/>
Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe,<lb/>
und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr,<lb/>ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte,<lb/>
der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte<lb/>
aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt<lb/>
behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren.<lb/>
Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen<lb/>
durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken-<lb/>ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube<lb/>
und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau<lb/>
bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie<lb/>
liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General,<lb/>
und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war<lb/>
ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch<lb/>
viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die<lb/>
Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen<lb/>
wir oben im Eckſaal und ſpielten „Geſellſchaft.“ Frau von Jürgaß<lb/>
nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden<lb/>
angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen,<lb/>
darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab<lb/>ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und<lb/>
den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann<lb/>
wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er<lb/>
bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte<lb/>
nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in<lb/>
Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb-<lb/>
hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie<lb/>ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen<lb/>
wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine<lb/>
Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen<lb/>
müſſe. Dann brachen ſie plötzlich ab, lachten herzlich, ſchüttelten<lb/>ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0177]
geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch
oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war.
Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe,
und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr,
ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte,
der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte
aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt
behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren.
Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen
durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken-
ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube
und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau
bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie
liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General,
und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war
ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch
viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die
Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen
wir oben im Eckſaal und ſpielten „Geſellſchaft.“ Frau von Jürgaß
nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden
angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen,
darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab
ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und
den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann
wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er
bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte
nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in
Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb-
hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie
ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen
wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine
Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen
müſſe. Dann brachen ſie plötzlich ab, lachten herzlich, ſchüttelten
ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/177>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.