Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

Bild:
<< vorherige Seite

nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült, und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken.

"Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt," sagte Schulze Woytasch. "Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm."

Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle.

"Der Pelz muß doch obenauf schwimmen."

"Ja, der Pelz," lachte Kunicke. "Wenn's blos der Pelz wär'. Aber der Pohlsche steckt ja drin."

Es war der Kunickesche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief: "Ah, da ist ja seine Mütze!"

Wirklich, Szulski's Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.

"Nun, haben wir die," fuhr Hradscheck fort, "so werden wir ihn auch selber bald haben."

"Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen."

Und so geschah's auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.

"Jch werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken," sagte dieser. "Jrgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben."

"Und die andre Hälfte geben wir," setzte Kunicke hinzu. "Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?"

"Natürlich war er," sagte Woytasch. "Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad't nichts. Jch bin für Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Facon ..."

"Versteht sich," sagte Kunicke. "Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?"

"Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht."

Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.



9.

Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunicke's große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden.

Jm Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: "es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks. Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab' es hinter den Ohren, und was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen als in der Oder." Zum Ueberfluß griff auch noch unser Freund, der Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die Saiten seiner Leier und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach bekannter Melodie:

Morgenroth!
Abel schlug den Kain todt.
Gestern noch bei vollen Flaschen,
Morgens ausgeleerte Taschen
Und ein kühles, kühles Gra-ab.

All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch veranlaßt, an seinen Dutz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen.

Das war am 7. Dezember, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück:

"Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können. Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt. Aber ad rem. Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und, wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde. Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm und so fing er, als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem werdenden ,Verhältnisses' willen, den Laden aufgab und den Entschluß faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern - sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen - zurückkam und eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte. Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm, nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr, als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht."

Die Wirkung dieses Eccelius'schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam, "daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme," - da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eklats, weshalb Vowinkel an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die folgenden Zeilen richtete:

"Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M., dem ich, soweit er ein Urtheil abgibt, in meinem

nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült, und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken.

„Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,“ sagte Schulze Woytasch. „Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm.“

Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle.

„Der Pelz muß doch obenauf schwimmen.“

„Ja, der Pelz,“ lachte Kunicke. „Wenn’s blos der Pelz wär’. Aber der Pohlsche steckt ja drin.“

Es war der Kunickesche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief: „Ah, da ist ja seine Mütze!“

Wirklich, Szulski’s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.

„Nun, haben wir die,“ fuhr Hradscheck fort, „so werden wir ihn auch selber bald haben.“

„Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen.“

Und so geschah’s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.

„Jch werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,“ sagte dieser. „Jrgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben.“

„Und die andre Hälfte geben wir,“ setzte Kunicke hinzu. „Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?“

„Natürlich war er,“ sagte Woytasch. „Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad’t nichts. Jch bin für Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Façon …“

„Versteht sich,“ sagte Kunicke. „Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?“

„Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht.“

Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.



9.

Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunicke’s große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden.

Jm Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: „es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks. Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab’ es hinter den Ohren, und was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen als in der Oder.“ Zum Ueberfluß griff auch noch unser Freund, der Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die Saiten seiner Leier und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach bekannter Melodie:

Morgenroth!
Abel schlug den Kain todt.
Gestern noch bei vollen Flaschen,
Morgens ausgeleerte Taschen
Und ein kühles, kühles Gra-ab.

All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch veranlaßt, an seinen Dutz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen.

Das war am 7. Dezember, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück:

„Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können. Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt. Aber ad rem. Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und, wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde. Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm und so fing er, als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem werdenden ‚Verhältnisses‘ willen, den Laden aufgab und den Entschluß faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern – sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen – zurückkam und eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte. Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm, nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr, als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht.“

Die Wirkung dieses Eccelius’schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam, „daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme,“ – da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eklats, weshalb Vowinkel an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die folgenden Zeilen richtete:

„Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M., dem ich, soweit er ein Urtheil abgibt, in meinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Heft_36">
        <div type="chapter">
          <p><pb facs="#f0017" n="583"/>
nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült, und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,&#x201C; sagte Schulze Woytasch. &#x201E;Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Pelz muß doch obenauf schwimmen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, der Pelz,&#x201C; lachte Kunicke. &#x201E;Wenn&#x2019;s blos der Pelz wär&#x2019;. Aber der Pohlsche steckt ja drin.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Es war der Kunickesche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief: &#x201E;Ah, da ist ja seine Mütze!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wirklich, Szulski&#x2019;s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nun, haben wir <hi rendition="#g">die</hi>,&#x201C; fuhr Hradscheck fort, &#x201E;so werden wir ihn auch selber bald haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Und so geschah&#x2019;s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jch werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,&#x201C; sagte dieser. &#x201E;Jrgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und die andre Hälfte geben wir,&#x201C; setzte Kunicke hinzu. &#x201E;Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Natürlich war er,&#x201C; sagte Woytasch. &#x201E;Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad&#x2019;t nichts. Jch bin für Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Façon &#x2026;&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Versteht sich,&#x201C; sagte Kunicke. &#x201E;Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div type="chapter">
          <head> <hi rendition="#c">9.</hi> </head>
          <p>Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunicke&#x2019;s große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden.</p><lb/>
          <p>Jm Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: &#x201E;es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks. Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab&#x2019; es hinter den Ohren, und was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen als in der Oder.&#x201C; Zum Ueberfluß griff auch noch unser Freund, der Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die Saiten seiner Leier und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach bekannter Melodie:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Morgenroth!</l><lb/>
            <l>Abel schlug den Kain todt.</l><lb/>
            <l>Gestern noch bei vollen Flaschen,</l><lb/>
            <l>Morgens ausgeleerte Taschen</l><lb/>
            <l>Und ein kühles, kühles Gra-ab.</l><lb/>
          </lg>
          <p>All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch veranlaßt, an seinen Dutz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen.</p><lb/>
          <p>Das war am 7. Dezember, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können. Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt. Aber <hi rendition="#aq">ad rem.</hi> Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und, wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde. Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm und so fing er, als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem werdenden &#x201A;Verhältnisses&#x2018; willen, den Laden aufgab und den Entschluß faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern &#x2013; sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen &#x2013; zurückkam und eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte. Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm, nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr, als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht.&#x201C; </p><lb/>
          <p>Die Wirkung dieses Eccelius&#x2019;schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam, &#x201E;daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme,&#x201C; &#x2013; da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eklats, weshalb Vowinkel an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die folgenden Zeilen richtete:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M., dem ich, soweit er ein Urtheil abgibt, in meinem
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0017] nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült, und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken. „Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,“ sagte Schulze Woytasch. „Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm.“ Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle. „Der Pelz muß doch obenauf schwimmen.“ „Ja, der Pelz,“ lachte Kunicke. „Wenn’s blos der Pelz wär’. Aber der Pohlsche steckt ja drin.“ Es war der Kunickesche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief: „Ah, da ist ja seine Mütze!“ Wirklich, Szulski’s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide. „Nun, haben wir die,“ fuhr Hradscheck fort, „so werden wir ihn auch selber bald haben.“ „Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen.“ Und so geschah’s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht. „Jch werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,“ sagte dieser. „Jrgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben.“ „Und die andre Hälfte geben wir,“ setzte Kunicke hinzu. „Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?“ „Natürlich war er,“ sagte Woytasch. „Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad’t nichts. Jch bin für Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Façon …“ „Versteht sich,“ sagte Kunicke. „Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?“ „Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht.“ Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein. 9. Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunicke’s große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden. Jm Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: „es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks. Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab’ es hinter den Ohren, und was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen als in der Oder.“ Zum Ueberfluß griff auch noch unser Freund, der Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die Saiten seiner Leier und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach bekannter Melodie: Morgenroth! Abel schlug den Kain todt. Gestern noch bei vollen Flaschen, Morgens ausgeleerte Taschen Und ein kühles, kühles Gra-ab. All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch veranlaßt, an seinen Dutz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen. Das war am 7. Dezember, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück: „Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können. Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt. Aber ad rem. Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und, wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde. Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm und so fing er, als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem werdenden ‚Verhältnisses‘ willen, den Laden aufgab und den Entschluß faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern – sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen – zurückkam und eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte. Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm, nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr, als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht.“ Die Wirkung dieses Eccelius’schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam, „daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme,“ – da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eklats, weshalb Vowinkel an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die folgenden Zeilen richtete: „Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M., dem ich, soweit er ein Urtheil abgibt, in meinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-12T12:36:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Spaltenumbrüche markiert: nein;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/17
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/17>, abgerufen am 18.12.2024.