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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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aber ein Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch einigermaßen deutlich erkennen. Er hielt sich am Geländer fest und ging mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht, als ob ihm der große Pelz unbequem und beschwerlich sei. Nun aber war er unten, und Jakob, der alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete.

"Na, nu wahrd et joa woll wihr'n," tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende. "Kümmt Tied, kümmt Roath." Und wirklich, ehe fünf Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß, auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte.

"Das ist recht," sagte Hradscheck. "Besser bewahrt, als beklagt. Und nu mach flink, Jakob, und hole den Koffer."

Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder unten war, saß der Reisende schon und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne was zu sagen, wies er blos darauf hin und nickte nur, als Jakob sich bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das Orth'sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu. Diese ging nicht, der Wind wehte zu heftig.

Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das Guldenstück ansah.

"Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!"

"Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa keen Wuhrt nich."

"Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen," lachte Hradscheck. "Js ja erst fünf."

"Versteiht sich. Klock feiv red' ick ook nich veel."



8.

Der Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der Kutscher in Livree. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte respektvoll, fast devot.

"Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ,Luft' oder lieber gleich zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann? Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne."

Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: "Zwei Pfefferminz, Ede; rasch!" und wandte sich dann mit der Frage zurück, womit er sonst noch dienen könne?

"Mir mit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder, wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt."

"Wo, Herr Amtsrath?"

"Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth's Mühle."

"Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren?"

"Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr, soviel hab' ich gesehn. Aber alles muß doch seinen Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu ... Vorwärts!" Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen.



Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch, während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf hielt.

"Stör' Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!"

"Wird wohl," gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte, "wird wohl ... Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm gestern abend sagte: ,nicht so früh, Szulski, nicht so früh ...' Denke doch blos voriges Jahr, wie die Post 'runter fiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsern Damm! Und nu solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn."

Jnzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke.

"Komm!"

Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus.

Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr, aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft' er sich mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke's Rampe heran war, hielt er und rief Beiden zu: "Wollt auch hinaus? Natürlich. Jmmer aufsteigen. Aber rasch." Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth's Gehöft und die Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen.

Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlangzufahren, wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch weniger tief einschnitten.

"Paß Achtung," sagte Woytasch, "sonst liegen wir auch unten."

Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte.

Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine wundervolle Fahrt, ja das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen, zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm, daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während, auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag.

Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte: "Der Wind wird ihn runter geweht haben."

"Unsinn!" lachte Woytasch, "Jhr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind kommt ja von da, von drüben. Wenn der schuld wäre, läg' er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder ... Aber seht nur, da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr' zu, daß wir nicht die Letzten sind."

Und eine Minute drauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie's stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft und Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt, was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski's Einspänner lag wie gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder

aber ein Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch einigermaßen deutlich erkennen. Er hielt sich am Geländer fest und ging mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht, als ob ihm der große Pelz unbequem und beschwerlich sei. Nun aber war er unten, und Jakob, der alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete.

„Na, nu wahrd et joa woll wihr’n,“ tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende. „Kümmt Tied, kümmt Roath.“ Und wirklich, ehe fünf Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß, auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte.

„Das ist recht,“ sagte Hradscheck. „Besser bewahrt, als beklagt. Und nu mach flink, Jakob, und hole den Koffer.“

Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder unten war, saß der Reisende schon und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne was zu sagen, wies er blos darauf hin und nickte nur, als Jakob sich bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das Orth’sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu. Diese ging nicht, der Wind wehte zu heftig.

Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das Guldenstück ansah.

„Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!“

„Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa keen Wuhrt nich.“

„Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen,“ lachte Hradscheck. „Js ja erst fünf.“

„Versteiht sich. Klock feiv red’ ick ook nich veel.“



8.

Der Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der Kutscher in Livrée. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte respektvoll, fast devot.

„Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ‚Luft‘ oder lieber gleich zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann? Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne.“

Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: „Zwei Pfefferminz, Ede; rasch!“ und wandte sich dann mit der Frage zurück, womit er sonst noch dienen könne?

Mir mit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder, wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt.“

„Wo, Herr Amtsrath?“

„Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth’s Mühle.“

„Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren?“

„Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr, soviel hab’ ich gesehn. Aber alles muß doch seinen Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu … Vorwärts!“ Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen.



Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch, während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf hielt.

„Stör’ Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!“

„Wird wohl,“ gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte, „wird wohl … Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm gestern abend sagte: ‚nicht so früh, Szulski, nicht so früh …‘ Denke doch blos voriges Jahr, wie die Post ’runter fiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsern Damm! Und nu solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn.“

Jnzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke.

„Komm!“

Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus.

Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr, aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft’ er sich mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke’s Rampe heran war, hielt er und rief Beiden zu: „Wollt auch hinaus? Natürlich. Jmmer aufsteigen. Aber rasch.“ Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth’s Gehöft und die Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen.

Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlangzufahren, wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch weniger tief einschnitten.

„Paß Achtung,“ sagte Woytasch, „sonst liegen wir auch unten.“

Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte.

Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine wundervolle Fahrt, ja das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen, zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm, daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während, auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag.

Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte: „Der Wind wird ihn runter geweht haben.“

„Unsinn!“ lachte Woytasch, „Jhr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind kommt ja von da, von drüben. Wenn der schuld wäre, läg’ er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder … Aber seht nur, da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr’ zu, daß wir nicht die Letzten sind.“

Und eine Minute drauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie’s stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft und Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt, was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski’s Einspänner lag wie gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder

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Nun aber war er unten, und Jakob, der alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete. „Na, nu wahrd et joa woll wihr’n,“ tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende. „Kümmt Tied, kümmt Roath.“ Und wirklich, ehe fünf Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß, auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte. „Das ist recht,“ sagte Hradscheck. „Besser bewahrt, als beklagt. Und nu mach flink, Jakob, und hole den Koffer.“ Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder unten war, saß der Reisende schon und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne was zu sagen, wies er blos darauf hin und nickte nur, als Jakob sich bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das Orth’sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu. Diese ging nicht, der Wind wehte zu heftig. Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das Guldenstück ansah. „Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!“ „Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa keen Wuhrt nich.“ „Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen,“ lachte Hradscheck. „Js ja erst fünf.“ „Versteiht sich. Klock feiv red’ ick ook nich veel.“ 8. Der Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der Kutscher in Livrée. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte respektvoll, fast devot. „Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ‚Luft‘ oder lieber gleich zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann? Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne.“ Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: „Zwei Pfefferminz, Ede; rasch!“ und wandte sich dann mit der Frage zurück, womit er sonst noch dienen könne? „Mir mit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder, wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt.“ „Wo, Herr Amtsrath?“ „Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth’s Mühle.“ „Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren?“ „Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr, soviel hab’ ich gesehn. Aber alles muß doch seinen Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu … Vorwärts!“ Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen. Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch, während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf hielt. „Stör’ Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!“ „Wird wohl,“ gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte, „wird wohl … Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm gestern abend sagte: ‚nicht so früh, Szulski, nicht so früh …‘ Denke doch blos voriges Jahr, wie die Post ’runter fiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsern Damm! Und nu solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn.“ Jnzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke. „Komm!“ Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus. Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr, aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft’ er sich mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke’s Rampe heran war, hielt er und rief Beiden zu: „Wollt auch hinaus? Natürlich. Jmmer aufsteigen. Aber rasch.“ Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth’s Gehöft und die Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen. Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlangzufahren, wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch weniger tief einschnitten. „Paß Achtung,“ sagte Woytasch, „sonst liegen wir auch unten.“ Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte. Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine wundervolle Fahrt, ja das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen, zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm, daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während, auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag. Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte: „Der Wind wird ihn runter geweht haben.“ „Unsinn!“ lachte Woytasch, „Jhr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind kommt ja von da, von drüben. Wenn der schuld wäre, läg’ er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder … Aber seht nur, da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr’ zu, daß wir nicht die Letzten sind.“ Und eine Minute drauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie’s stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft und Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt, was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski’s Einspänner lag wie gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder

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Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/16>, abgerufen am 23.11.2024.