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Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911.

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12 FISCHER:


vergrößerten Institut waren für den Leiter auch die Sorgen der Verwaltung
und des Unterrichts gewachsen.
Der Konflikt zwischen den Neigungen des Forschers und den Pflichten
des Lehrers, den auch mancher andere Gelehrte zu bestehen hat, trat bei
ihm besonders scharf hervor und erweckte den Wunsch nach weitgehen-
der Befreiung von den Amtsgeschäften, der ihm allerdings im Rahmen
der Amsterdamer Universitätseinrichtungen nicht erfüllt werden konnte.
Die Kunde davon verbreitete sich in Deutschland und hat schließlich die
Übersiedelung van't Hoffs nach Berlin zur Folge gehabt. Allerdings miß-
lang der Versuch, ihn für unsere Universität zu gewinnen. Durch den
Tod von Kundt und Helmholtz, deren Verlust wir kurz nacheinander
zu beklagen hatten, war 1894 die Experimentalphysik verwaist und nach-
dem der anfänglich für die Universität in Aussicht genommene Friedrich
Kohlrausch als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt aus-
ersehen war, tauchte der Gedanke auf, für den Lehrstuhl der Physik an
der Universität van't Hoff zu berufen. So ungewöhnlich dieser Vor-
schlag auch in mancher Beziehung sein mochte, so wurde er doch von
der Unterrichtsverwaltung ohne Zögern angenommen und Hr. Planck als
erster Unterhändler nach Amsterdam geschickt. Die Folge war ein Gegen-
besuch von van't Hoff in Berlin, wo es zu eingehenden Verhandlungen
mit der Behörde kam. Bei diesen zeigte der Gelehrte so viel kluge Über-
legung, zähe Ausdauer und unerschütterliche Ruhe, daß der vielgewandte
Vertreter des Kultusministeriums Friedrich Althoff den bewundernden
Ruf ausbrach "Dieser Holländer ist mir über".
Obschon van't Hoff uns gegenüber seine besondere Freude über die
ehrende Anerkennung seiner physikalischen Vollwertigkeit und über das
weite Entgegenkommen der Unterrichtsverwaltung ausgesprochen hatte, so
lehnte er doch sofort nach der Heimkehr das Anerbieten ab. Offenbar
hatte er das Gefühl, sich mit den Anforderungen der Experimentalphysik
und den vielfältigen Geschäften einer Berliner Professur noch weniger be-
freunden zu können, als ihm dies in Amsterdam auf die Dauer mit der
chemischen Professur gelungen war. Aber die Fäden zwischen ihm und
Berlin waren nun einmal geknüpft, und schon während seines hiesigen
Aufenthaltes hatte man die Möglichkeit einer späteren Berufung durch die
Akademie im engeren privaten Kreise erwogen. Er ließ keinen Zweifel
darüber, daß eine von allen Nebenpflichten befreite Tätigkeit am meisten


12 FISCHER:


vergrößerten Institut waren für den Leiter auch die Sorgen der Verwaltung
und des Unterrichts gewachsen.
Der Konflikt zwischen den Neigungen des Forschers und den Pflichten
des Lehrers, den auch mancher andere Gelehrte zu bestehen hat, trat bei
ihm besonders scharf hervor und erweckte den Wunsch nach weitgehen-
der Befreiung von den Amtsgeschäften, der ihm allerdings im Rahmen
der Amsterdamer Universitätseinrichtungen nicht erfüllt werden konnte.
Die Kunde davon verbreitete sich in Deutschland und hat schließlich die
Übersiedelung van’t Hoffs nach Berlin zur Folge gehabt. Allerdings miß-
lang der Versuch, ihn für unsere Universität zu gewinnen. Durch den
Tod von Kundt und Helmholtz, deren Verlust wir kurz nacheinander
zu beklagen hatten, war 1894 die Experimentalphysik verwaist und nach-
dem der anfänglich für die Universität in Aussicht genommene Friedrich
Kohlrausch als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt aus-
ersehen war, tauchte der Gedanke auf, für den Lehrstuhl der Physik an
der Universität vanʼt Hoff zu berufen. So ungewöhnlich dieser Vor-
schlag auch in mancher Beziehung sein mochte, so wurde er doch von
der Unterrichtsverwaltung ohne Zögern angenommen und Hr. Planck als
erster Unterhändler nach Amsterdam geschickt. Die Folge war ein Gegen-
besuch von van’t Hoff in Berlin, wo es zu eingehenden Verhandlungen
mit der Behörde kam. Bei diesen zeigte der Gelehrte so viel kluge Über-
legung, zähe Ausdauer und unerschütterliche Ruhe, daß der vielgewandte
Vertreter des Kultusministeriums Friedrich Althoff den bewundernden
Ruf ausbrach »Dieser Holländer ist mir über«.
Obschon van’t Hoff uns gegenüber seine besondere Freude über die
ehrende Anerkennung seiner physikalischen Vollwertigkeit und über das
weite Entgegenkommen der Unterrichtsverwaltung ausgesprochen hatte, so
lehnte er doch sofort nach der Heimkehr das Anerbieten ab. Offenbar
hatte er das Gefühl, sich mit den Anforderungen der Experimentalphysik
und den vielfältigen Geschäften einer Berliner Professur noch weniger be-
freunden zu können, als ihm dies in Amsterdam auf die Dauer mit der
chemischen Professur gelungen war. Aber die Fäden zwischen ihm und
Berlin waren nun einmal geknüpft, und schon während seines hiesigen
Aufenthaltes hatte man die Möglichkeit einer späteren Berufung durch die
Akademie im engeren privaten Kreise erwogen. Er ließ keinen Zweifel
darüber, daß eine von allen Nebenpflichten befreite Tätigkeit am meisten

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[14/0014] 12 FISCHER: vergrößerten Institut waren für den Leiter auch die Sorgen der Verwaltung und des Unterrichts gewachsen. Der Konflikt zwischen den Neigungen des Forschers und den Pflichten des Lehrers, den auch mancher andere Gelehrte zu bestehen hat, trat bei ihm besonders scharf hervor und erweckte den Wunsch nach weitgehen- der Befreiung von den Amtsgeschäften, der ihm allerdings im Rahmen der Amsterdamer Universitätseinrichtungen nicht erfüllt werden konnte. Die Kunde davon verbreitete sich in Deutschland und hat schließlich die Übersiedelung van’t Hoffs nach Berlin zur Folge gehabt. Allerdings miß- lang der Versuch, ihn für unsere Universität zu gewinnen. Durch den Tod von Kundt und Helmholtz, deren Verlust wir kurz nacheinander zu beklagen hatten, war 1894 die Experimentalphysik verwaist und nach- dem der anfänglich für die Universität in Aussicht genommene Friedrich Kohlrausch als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt aus- ersehen war, tauchte der Gedanke auf, für den Lehrstuhl der Physik an der Universität vanʼt Hoff zu berufen. So ungewöhnlich dieser Vor- schlag auch in mancher Beziehung sein mochte, so wurde er doch von der Unterrichtsverwaltung ohne Zögern angenommen und Hr. Planck als erster Unterhändler nach Amsterdam geschickt. Die Folge war ein Gegen- besuch von van’t Hoff in Berlin, wo es zu eingehenden Verhandlungen mit der Behörde kam. Bei diesen zeigte der Gelehrte so viel kluge Über- legung, zähe Ausdauer und unerschütterliche Ruhe, daß der vielgewandte Vertreter des Kultusministeriums Friedrich Althoff den bewundernden Ruf ausbrach »Dieser Holländer ist mir über«. Obschon van’t Hoff uns gegenüber seine besondere Freude über die ehrende Anerkennung seiner physikalischen Vollwertigkeit und über das weite Entgegenkommen der Unterrichtsverwaltung ausgesprochen hatte, so lehnte er doch sofort nach der Heimkehr das Anerbieten ab. Offenbar hatte er das Gefühl, sich mit den Anforderungen der Experimentalphysik und den vielfältigen Geschäften einer Berliner Professur noch weniger be- freunden zu können, als ihm dies in Amsterdam auf die Dauer mit der chemischen Professur gelungen war. Aber die Fäden zwischen ihm und Berlin waren nun einmal geknüpft, und schon während seines hiesigen Aufenthaltes hatte man die Möglichkeit einer späteren Berufung durch die Akademie im engeren privaten Kreise erwogen. Er ließ keinen Zweifel darüber, daß eine von allen Nebenpflichten befreite Tätigkeit am meisten

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Zitationshilfe: Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/14>, abgerufen am 22.11.2024.