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Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911.

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10 FISCHER:


die verdünnten Lösungen. Noch viel überraschender war das Resultat, als
der Wert R in der bekannten Gasgleichung mit dem osmotischen Druck
für verdünnte Zuckerlösungen berechnet und gleich groß gefunden wurde.
Die physikalische Deutung des Resultates hieß aber: "Nichts anderes,
als daß der Zucker einen osmotischen Druck ausübt, demjenigen Druck
gleich, welchen er bei derselben Konzentration und Temperatur im gas-
förmigen Zustande ausüben würde". Die daraus folgende Anwendbarkeit
von Avogadros Satz auf Zuckerlösungen erschien dem Entdecker zuerst
als Zufall. Als er aber seine Betrachtungen auf die von Raoult gefun-
denen Gesetzmäßigkeiten für die Erniedrigung von Dampfdruck und Ge-
frierpunkt bei Lösungen ausdehnte, ergab sich eine überraschende Über-
einstimmung zwischen Rechnung und Beobachtung.
Trotzdem übergab der vorsichtige Forscher seine Resultate erst im
Oktober 1886 durch eine der schwedischen Akademie vorgelegte Abhand-
lung der Öffentlichkeit, nachdem die von ihm aus Raoults Zahlen berech-
nete Schmelzwärme des Bromäthylens auf seine Bitte durch Petterson
experimentell geprüft und bestätigt worden war.
Welch verblüffenden Eindruck van't Hoffs geniale Theorie auf die
zeitgenössischen Chemiker machte, kann ich aus eigener Erfahrung bezeu-
gen. Ich wurde zufällig bald nach dem Erscheinen der schwedischen Ab-
handlung im Frühjahr 1837 damit bekannt gemacht durch den Mann, der
am meisten zu ihrer Förderung beigetragen hat, durch Svante Arrhenius.
Er arbeitete damals unter Leitung von Friedrich Kohlrausch im physi-
kalischen Laboratorium der Universität Würzburg und war häufiger, gern
gesehener Gast im chemischen Institut. Eines Tages erschien er dort, um
mir über die van't Hoffsche Untersuchung zu berichten. Mit berech-
tigter Freude konnte er zufügen, daß es ihm gelungen sei, die Abwei-
chung mancher Stoffe von jenen Gesetzen zu erklären. Es handle sich
dabei stets um Elektrolyte, von denen er annehme, daß sie durch den
Lösungsvorgang in die Ionen dissoziiert würden und nach dem Grade der
Dissoziation, der durch das elektrische Leitvermögen zu messen sei, größeren
osmotischen Druck zeigen müßten.
Obschon die Betrachtungen meinem eigenen Arbeitsfelde ferne lagen,
so konnte ich mich doch nicht der Überzeugung verschließen, daß man
es hier mit einem neuen, großartigen Einblick in das weite Gebiet der
Lösungen zu tun habe. Ich bin dann mit der Mehrzahl der Fachgenossen


10 FISCHER:


die verdünnten Lösungen. Noch viel überraschender war das Resultat, als
der Wert R in der bekannten Gasgleichung mit dem osmotischen Druck
für verdünnte Zuckerlösungen berechnet und gleich groß gefunden wurde.
Die physikalische Deutung des Resultates hieß aber: »Nichts anderes,
als daß der Zucker einen osmotischen Druck ausübt, demjenigen Druck
gleich, welchen er bei derselben Konzentration und Temperatur im gas-
förmigen Zustande ausüben würde«. Die daraus folgende Anwendbarkeit
von Avogadros Satz auf Zuckerlösungen erschien dem Entdecker zuerst
als Zufall. Als er aber seine Betrachtungen auf die von Raoult gefun-
denen Gesetzmäßigkeiten für die Erniedrigung von Dampfdruck und Ge-
frierpunkt bei Lösungen ausdehnte, ergab sich eine überraschende Über-
einstimmung zwischen Rechnung und Beobachtung.
Trotzdem übergab der vorsichtige Forscher seine Resultate erst im
Oktober 1886 durch eine der schwedischen Akademie vorgelegte Abhand-
lung der Öffentlichkeit, nachdem die von ihm aus Raoults Zahlen berech-
nete Schmelzwärme des Bromäthylens auf seine Bitte durch Petterson
experimentell geprüft und bestätigt worden war.
Welch verblüffenden Eindruck van’t Hoffs geniale Theorie auf die
zeitgenössischen Chemiker machte, kann ich aus eigener Erfahrung bezeu-
gen. Ich wurde zufällig bald nach dem Erscheinen der schwedischen Ab-
handlung im Frühjahr 1837 damit bekannt gemacht durch den Mann, der
am meisten zu ihrer Förderung beigetragen hat, durch Svante Arrhenius.
Er arbeitete damals unter Leitung von Friedrich Kohlrausch im physi-
kalischen Laboratorium der Universität Würzburg und war häufiger, gern
gesehener Gast im chemischen Institut. Eines Tages erschien er dort, um
mir über die vanʼt Hoffsche Untersuchung zu berichten. Mit berech-
tigter Freude konnte er zufügen, daß es ihm gelungen sei, die Abwei-
chung mancher Stoffe von jenen Gesetzen zu erklären. Es handle sich
dabei stets um Elektrolyte, von denen er annehme, daß sie durch den
Lösungsvorgang in die Ionen dissoziiert würden und nach dem Grade der
Dissoziation, der durch das elektrische Leitvermögen zu messen sei, größeren
osmotischen Druck zeigen müßten.
Obschon die Betrachtungen meinem eigenen Arbeitsfelde ferne lagen,
so konnte ich mich doch nicht der Überzeugung verschließen, daß man
es hier mit einem neuen, großartigen Einblick in das weite Gebiet der
Lösungen zu tun habe. Ich bin dann mit der Mehrzahl der Fachgenossen

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[12/0012] 10 FISCHER: die verdünnten Lösungen. Noch viel überraschender war das Resultat, als der Wert R in der bekannten Gasgleichung mit dem osmotischen Druck für verdünnte Zuckerlösungen berechnet und gleich groß gefunden wurde. Die physikalische Deutung des Resultates hieß aber: »Nichts anderes, als daß der Zucker einen osmotischen Druck ausübt, demjenigen Druck gleich, welchen er bei derselben Konzentration und Temperatur im gas- förmigen Zustande ausüben würde«. Die daraus folgende Anwendbarkeit von Avogadros Satz auf Zuckerlösungen erschien dem Entdecker zuerst als Zufall. Als er aber seine Betrachtungen auf die von Raoult gefun- denen Gesetzmäßigkeiten für die Erniedrigung von Dampfdruck und Ge- frierpunkt bei Lösungen ausdehnte, ergab sich eine überraschende Über- einstimmung zwischen Rechnung und Beobachtung. Trotzdem übergab der vorsichtige Forscher seine Resultate erst im Oktober 1886 durch eine der schwedischen Akademie vorgelegte Abhand- lung der Öffentlichkeit, nachdem die von ihm aus Raoults Zahlen berech- nete Schmelzwärme des Bromäthylens auf seine Bitte durch Petterson experimentell geprüft und bestätigt worden war. Welch verblüffenden Eindruck van’t Hoffs geniale Theorie auf die zeitgenössischen Chemiker machte, kann ich aus eigener Erfahrung bezeu- gen. Ich wurde zufällig bald nach dem Erscheinen der schwedischen Ab- handlung im Frühjahr 1837 damit bekannt gemacht durch den Mann, der am meisten zu ihrer Förderung beigetragen hat, durch Svante Arrhenius. Er arbeitete damals unter Leitung von Friedrich Kohlrausch im physi- kalischen Laboratorium der Universität Würzburg und war häufiger, gern gesehener Gast im chemischen Institut. Eines Tages erschien er dort, um mir über die vanʼt Hoffsche Untersuchung zu berichten. Mit berech- tigter Freude konnte er zufügen, daß es ihm gelungen sei, die Abwei- chung mancher Stoffe von jenen Gesetzen zu erklären. Es handle sich dabei stets um Elektrolyte, von denen er annehme, daß sie durch den Lösungsvorgang in die Ionen dissoziiert würden und nach dem Grade der Dissoziation, der durch das elektrische Leitvermögen zu messen sei, größeren osmotischen Druck zeigen müßten. Obschon die Betrachtungen meinem eigenen Arbeitsfelde ferne lagen, so konnte ich mich doch nicht der Überzeugung verschließen, daß man es hier mit einem neuen, großartigen Einblick in das weite Gebiet der Lösungen zu tun habe. Ich bin dann mit der Mehrzahl der Fachgenossen

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Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-03-04T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/12>, abgerufen am 01.06.2024.