Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0010" n="10"/> <p><lb/> 8 FISCHER:</p> <p><lb/> Werk »Ansichten über organische Chemie« niedergelegt sind. Obschon<lb/> dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte<lb/> wie die »Lagerung der Atome im Raum«, so bildet es doch ein unent-<lb/> behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van’t Hoff aus dem<lb/> engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie<lb/> hinausführten.<lb/> Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor-<lb/> gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan-<lb/> tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen,<lb/> das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen<lb/> Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei<lb/> der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen<lb/> erzählt, wie vanʼt Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung<lb/> im heiteren Kreise schilderte.<lb/> Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro,<lb/> hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter-<lb/> suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen.<lb/> Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die<lb/> Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van’t Hoff,<lb/> der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer<lb/> später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver-<lb/> suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der<lb/> wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer<lb/> Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und<lb/> bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen.<lb/> Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster-<lb/> dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie,<lb/> Mineralogie und Geologie befördert worden.<lb/> Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen<lb/> Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig-<lb/> keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch<lb/> eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um-<lb/> fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschięnenen » Études<lb/> de Dynamique chimique«, die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter<lb/> dem Titel »Studien zur chemischen Dynamik« von neuem herausgegeben<lb/> wurden.</p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0010]
8 FISCHER:
Werk »Ansichten über organische Chemie« niedergelegt sind. Obschon
dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte
wie die »Lagerung der Atome im Raum«, so bildet es doch ein unent-
behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van’t Hoff aus dem
engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie
hinausführten.
Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor-
gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan-
tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen,
das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen
Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei
der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen
erzählt, wie vanʼt Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung
im heiteren Kreise schilderte.
Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro,
hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter-
suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen.
Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die
Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van’t Hoff,
der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer
später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver-
suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der
wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer
Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und
bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen.
Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster-
dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie,
Mineralogie und Geologie befördert worden.
Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen
Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig-
keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch
eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um-
fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschięnenen » Études
de Dynamique chimique«, die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter
dem Titel »Studien zur chemischen Dynamik« von neuem herausgegeben
wurden.
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