Werk "Ansichten über organische Chemie" niedergelegt sind. Obschon dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte wie die "Lagerung der Atome im Raum", so bildet es doch ein unent- behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van't Hoff aus dem engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie hinausführten. Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor- gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan- tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen, das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen erzählt, wie van't Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung im heiteren Kreise schilderte. Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro, hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter- suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen. Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van't Hoff, der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver- suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen. Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster- dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie, Mineralogie und Geologie befördert worden. Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig- keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um- fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschienenen " Etudes de Dynamique chimique", die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter dem Titel "Studien zur chemischen Dynamik" von neuem herausgegeben wurden.
8 FISCHER:
Werk »Ansichten über organische Chemie« niedergelegt sind. Obschon dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte wie die »Lagerung der Atome im Raum«, so bildet es doch ein unent- behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van’t Hoff aus dem engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie hinausführten. Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor- gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan- tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen, das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen erzählt, wie vanʼt Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung im heiteren Kreise schilderte. Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro, hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter- suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen. Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van’t Hoff, der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver- suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen. Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster- dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie, Mineralogie und Geologie befördert worden. Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig- keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um- fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschięnenen » Études de Dynamique chimique«, die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter dem Titel »Studien zur chemischen Dynamik« von neuem herausgegeben wurden.
<TEI><text><body><div><pbfacs="#f0010"n="10"/><p><lb/>
8 FISCHER:</p><p><lb/>
Werk »Ansichten über organische Chemie« niedergelegt sind. Obschon<lb/>
dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte<lb/>
wie die »Lagerung der Atome im Raum«, so bildet es doch ein unent-<lb/>
behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van’t Hoff aus dem<lb/>
engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie<lb/>
hinausführten.<lb/>
Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor-<lb/>
gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan-<lb/>
tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen,<lb/>
das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen<lb/>
Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei<lb/>
der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen<lb/>
erzählt, wie vanʼt Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung<lb/>
im heiteren Kreise schilderte.<lb/>
Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro,<lb/>
hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter-<lb/>
suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen.<lb/>
Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die<lb/>
Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van’t Hoff,<lb/>
der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer<lb/>
später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver-<lb/>
suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der<lb/>
wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer<lb/>
Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und<lb/>
bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen.<lb/>
Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster-<lb/>
dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie,<lb/>
Mineralogie und Geologie befördert worden.<lb/>
Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen<lb/>
Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig-<lb/>
keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch<lb/>
eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um-<lb/>
fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschięnenen » Études<lb/>
de Dynamique chimique«, die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter<lb/>
dem Titel »Studien zur chemischen Dynamik« von neuem herausgegeben<lb/>
wurden.</p></div></body></text></TEI>
[10/0010]
8 FISCHER:
Werk »Ansichten über organische Chemie« niedergelegt sind. Obschon
dieses Buch nicht entfernt den Einfluß auf unsere Wissenschaft ausübte
wie die »Lagerung der Atome im Raum«, so bildet es doch ein unent-
behrliches Glied in der Kette von Gedanken, die van’t Hoff aus dem
engeren Bereiche der Kohlenstoffverbindungen in die allgemeine Chemie
hinausführten.
Ausgehend von dem Wunsche, den Verlauf organisch chemischer Vor-
gänge nicht allein von der qualitativen Seite, sondern auch nach der Quan-
tität und dem zeitlichen Verlauf kennen zu lernen, sah er sich gezwungen,
das Problem der chemischen Dynamik anzugreifen
Wilhelm Ostwald hat uns in der trefflichen Gedächtnisrede bei
der von der Chemischen Gesellschaft veranstalteten Feier vor sechs Wochen
erzählt, wie vanʼt Hoff selbst diesen Teil seiner Gedankenentwicklung
im heiteren Kreise schilderte.
Angeregt durch einen Besuch des Kaisers von Brasilien, Dom Pedro,
hatte er den Plan gefaßt, seine Theorie durch eine umfassende Unter-
suchung der Dibrombernsteinsäure zu prüfen.
Aber die Reaktionen verliefen anders, als er sich gedacht, und die
Arbeit blieb liegen, wie man jetzt sagen darf, zum Glück für van’t Hoff,
der hier vielleicht in dieselben Trugschlüsse gekommen wäre, deren Opfer
später andere geworden sind. Indessen fiel ihm bei den mißlungenen Ver-
suchen auf, daß die Abspaltung des Bromwasserstoffs beim Kochen der
wäßrigen Lösung ein langsam verlaufender und deshalb zeitlich meßbarer
Prozeß ist. So kam er darauf, sich mit der Reaktionsgeschwindigkeit und
bald nachher auch mit den chemischen Gleichgewichten zu beschäftigen.
Inzwischen war er 1877 an die neu gegründete Universität Amster-
dam als Lektor berufen und ein Jahr später zum Professor der Chemie,
Mineralogie und Geologie befördert worden.
Der größere Kreis von Schülern und die reichlicher fließenden materiellen
Hilfsmittel haben ihm hier die Möglichkeit gegeben, eine fruchtbare Lehrtätig-
keit zu entfalten und gleichzeitig seine theoretischen Betrachtungen durch
eine Reihe von Experimentalarbeiten zu prüfen. Das Ergebnis dieser um-
fassenden Untersuchungen ist niedergelegt in den 1884 erschięnenen » Études
de Dynamique chimique«, die 12 Jahre später von Ernst Cohen unter
dem Titel »Studien zur chemischen Dynamik« von neuem herausgegeben
wurden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR.
(2020-03-03T12:13:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-03-04T12:13:05Z)
Weitere Informationen:
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und
anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern
nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: ignoriert;
fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;
Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/10>, abgerufen am 19.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.