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Finen, Eberhard: Helmstädtsche Denk- und Dank-Reden. Helmstedt, 1702.

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Was ist diß? M. H. A. nenne ich nicht jetzo den Nahmen der Sehl. verstorbenen Fr. Sehligerinnen? Ja. Führet Sie denn diesen Nahmen mit der That? Allerdings / und mehr als Sie vorhin gethan. Denn laß seyn / daß Sie in ihrem Leben in vielen Stücken in positivo sehlig gewesen / so hat doch die Unbeständigkeit ihres Lebens gemacht / daß Ihr nun der comparativus mit recht zukommt / und man sie nicht nur die Sehlige / sondern die nunmehr noch Sehligere Sehligerinn nennen kan. Ich bitte um ein wenig Gedult / daß ich dieses besser ausführen könne.

Es hat zwar ein Heyde aber gantz Christlich vor langer Zeit geschrieben:

Ultima semper Exspectanda dies homini est, dicique beatus. Ante obitum nemo supremaque funera debet.

Das ist: Vor dem letzten Stündlein kan man niemand seelig nennen. Seeligkeiten oder Glückseeligkeiten gibt es zwar in diesem Leben / aber weil solche Seeligkeiten mit viel Unglückseligkeit abwechseln / führen sie solchen Nahmen nur per catachresin; In der That sind sie es nicht; Ich setze zu ihrem Bilde einen an der Wurtzel verfaulten Baum / der zwar noch einige grüne Blätter zeuget und zeiget / aber wenn ein Wind kommt / liegt er über einen hauffen / mit der Beyschrifft:

Videtur, Es läst nur so.

Unsere seelige Frau Sehligerinn kan davon zeugen: Noch ehe Sie den Nahmen bekam / den Sie von Seelig-seyn hatte / ich wil sagen / da Sie noch nicht nach Ihren Ehe-Herrn die Sehligerinn hieß / hatte Sie schon eine von den obgedachten Seeligkeiten; Sie stammete von Christlichen / ehrlichen / und vor der Welt geehrten Eltern her / und brachte nebst einer feinen Seele auch sonderliche Leibes-Güter mit in die Welt / Sie hatte von ihren Eltern Pflege / Liebe Auf-

Was ist diß? M. H. A. nenne ich nicht jetzo den Nahmen der Sehl. verstorbenen Fr. Sehligerinnen? Ja. Führet Sie deñ diesen Nahmen mit der That? Allerdings / und mehr als Sie vorhin gethan. Denn laß seyn / daß Sie in ihrem Leben in vielen Stücken in positivo sehlig gewesen / so hat doch die Unbeständigkeit ihres Lebens gemacht / daß Ihr nun der comparativus mit recht zukom̃t / und man sie nicht nur die Sehlige / sondern die nunmehr noch Sehligere Sehligerinn neñen kan. Ich bitte um ein wenig Gedult / daß ich dieses besser ausführen könne.

Es hat zwar ein Heyde aber gantz Christlich vor langer Zeit geschrieben:

Ultima semper Exspectanda dies homini est, dicique beatus. Ante obitum nemo supremaque funera debet.

Das ist: Vor dem letzten Stündlein kan man niemand seelig nennen. Seeligkeiten oder Glückseeligkeiten gibt es zwar in diesem Leben / aber weil solche Seeligkeiten mit viel Unglückseligkeit abwechseln / führen sie solchen Nahmen nur per catachresin; In der That sind sie es nicht; Ich setze zu ihrem Bilde einen an der Wurtzel verfaulten Baum / der zwar noch einige grüne Blätter zeuget und zeiget / aber wenn ein Wind kommt / liegt er über einen hauffen / mit der Beyschrifft:

Videtur, Es läst nur so.

Unsere seelige Frau Sehligerinn kan davon zeugen: Noch ehe Sie den Nahmen bekam / den Sie von Seelig-seyn hatte / ich wil sagen / da Sie noch nicht nach Ihren Ehe-Herrn die Sehligerinn hieß / hatte Sie schon eine von den obgedachten Seeligkeiten; Sie stammete von Christlichen / ehrlichen / und vor der Welt geehrten Eltern her / und brachte nebst einer feinen Seele auch sonderliche Leibes-Güter mit in die Welt / Sie hatte von ihren Eltern Pflege / Liebe Auf-

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[97/0103] Was ist diß? M. H. A. nenne ich nicht jetzo den Nahmen der Sehl. verstorbenen Fr. Sehligerinnen? Ja. Führet Sie deñ diesen Nahmen mit der That? Allerdings / und mehr als Sie vorhin gethan. Denn laß seyn / daß Sie in ihrem Leben in vielen Stücken in positivo sehlig gewesen / so hat doch die Unbeständigkeit ihres Lebens gemacht / daß Ihr nun der comparativus mit recht zukom̃t / und man sie nicht nur die Sehlige / sondern die nunmehr noch Sehligere Sehligerinn neñen kan. Ich bitte um ein wenig Gedult / daß ich dieses besser ausführen könne. Es hat zwar ein Heyde aber gantz Christlich vor langer Zeit geschrieben: Ultima semper Exspectanda dies homini est, dicique beatus. Ante obitum nemo supremaque funera debet. Das ist: Vor dem letzten Stündlein kan man niemand seelig nennen. Seeligkeiten oder Glückseeligkeiten gibt es zwar in diesem Leben / aber weil solche Seeligkeiten mit viel Unglückseligkeit abwechseln / führen sie solchen Nahmen nur per catachresin; In der That sind sie es nicht; Ich setze zu ihrem Bilde einen an der Wurtzel verfaulten Baum / der zwar noch einige grüne Blätter zeuget und zeiget / aber wenn ein Wind kommt / liegt er über einen hauffen / mit der Beyschrifft: Videtur, Es läst nur so. Unsere seelige Frau Sehligerinn kan davon zeugen: Noch ehe Sie den Nahmen bekam / den Sie von Seelig-seyn hatte / ich wil sagen / da Sie noch nicht nach Ihren Ehe-Herrn die Sehligerinn hieß / hatte Sie schon eine von den obgedachten Seeligkeiten; Sie stammete von Christlichen / ehrlichen / und vor der Welt geehrten Eltern her / und brachte nebst einer feinen Seele auch sonderliche Leibes-Güter mit in die Welt / Sie hatte von ihren Eltern Pflege / Liebe Auf-

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Zitationshilfe: Finen, Eberhard: Helmstädtsche Denk- und Dank-Reden. Helmstedt, 1702, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/finen_dankreden_1702/103>, abgerufen am 28.04.2024.