dürfen nicht vergessen, daß nichts Sinnlich-Körperliches anders gegeben sein kann, als in Empfindung, Wahr¬ nehmung, Vorstellung, Vorkommnissen, die wir doch in unsere geistige Natur verlegen. Das, was als das Aller¬ körperlichste sich erweist, z. B. der Widerstand der Materie, muß ein Geistiges sein, wenn es überhaupt vorhanden sein soll; und ebenso muß auch jedes Geistige, sei es ein Ge¬ fühltes, ein Vorgestelltes, ein Gedachtes, zugleich ein Körper¬ liches sein, da es sonst nicht wahrnehmbar, mit anderen Worten, nicht vorhanden sein könnte. Wenn wir versuchen, das, was wir als unseren vornehmsten geistigen Besitz zu betrachten gewohnt sind, den Begriff, als ein Resultat, als ein Produkt aufzufassen, so finden wir, daß sich hier keines¬ wegs ein Vorgang vollzieht, der von einem materiell, sub¬ stanziell Gegebenen zu einem ganz Körperlosen, nur geistig Vorhandenen führte: im Gegentheil, der vorausgesetzte Vorgang könnte uns eher umgekehrt erscheinen; denn seinen Ursprung müssen wir in jenen geheimnißvollen Regionen des geistigen Lebens suchen, in denen aus Em¬ pfindungszuständen zuerst das Bewußtsein eines Seienden aufdämmert; am Ende sehen wir das sinnlich feste Ge¬ bilde des Begriffszeichens, in welchem nicht der Träger des irgendwie geistig vorhandenen Begriffs, sondern dieser Begriff selbst ins Dasein tritt. Wir irren sehr, wenn wir dem Reiche des gegenständlich Vorhandenen ein Reich des Denkens gegenüberstellen, dem wir eine rein geistige Beschaffenheit zuschreiben; vielmehr steht in dem Sprach¬ material, aus dem das Reich des Denkens besteht, etwas
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dürfen nicht vergeſſen, daß nichts Sinnlich-Körperliches anders gegeben ſein kann, als in Empfindung, Wahr¬ nehmung, Vorſtellung, Vorkommniſſen, die wir doch in unſere geiſtige Natur verlegen. Das, was als das Aller¬ körperlichſte ſich erweiſt, z. B. der Widerſtand der Materie, muß ein Geiſtiges ſein, wenn es überhaupt vorhanden ſein ſoll; und ebenſo muß auch jedes Geiſtige, ſei es ein Ge¬ fühltes, ein Vorgeſtelltes, ein Gedachtes, zugleich ein Körper¬ liches ſein, da es ſonſt nicht wahrnehmbar, mit anderen Worten, nicht vorhanden ſein könnte. Wenn wir verſuchen, das, was wir als unſeren vornehmſten geiſtigen Beſitz zu betrachten gewohnt ſind, den Begriff, als ein Reſultat, als ein Produkt aufzufaſſen, ſo finden wir, daß ſich hier keines¬ wegs ein Vorgang vollzieht, der von einem materiell, ſub¬ ſtanziell Gegebenen zu einem ganz Körperloſen, nur geiſtig Vorhandenen führte: im Gegentheil, der vorausgeſetzte Vorgang könnte uns eher umgekehrt erſcheinen; denn ſeinen Urſprung müſſen wir in jenen geheimnißvollen Regionen des geiſtigen Lebens ſuchen, in denen aus Em¬ pfindungszuſtänden zuerſt das Bewußtſein eines Seienden aufdämmert; am Ende ſehen wir das ſinnlich feſte Ge¬ bilde des Begriffszeichens, in welchem nicht der Träger des irgendwie geiſtig vorhandenen Begriffs, ſondern dieſer Begriff ſelbſt ins Daſein tritt. Wir irren ſehr, wenn wir dem Reiche des gegenſtändlich Vorhandenen ein Reich des Denkens gegenüberſtellen, dem wir eine rein geiſtige Beſchaffenheit zuſchreiben; vielmehr ſteht in dem Sprach¬ material, aus dem das Reich des Denkens beſteht, etwas
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dürfen nicht vergeſſen, daß nichts Sinnlich-Körperliches
anders gegeben ſein kann, als in Empfindung, Wahr¬
nehmung, Vorſtellung, Vorkommniſſen, die wir doch in
unſere geiſtige Natur verlegen. Das, was als das Aller¬
körperlichſte ſich erweiſt, z. B. der Widerſtand der Materie,
muß ein Geiſtiges ſein, wenn es überhaupt vorhanden ſein
ſoll; und ebenſo muß auch jedes Geiſtige, ſei es ein Ge¬
fühltes, ein Vorgeſtelltes, ein Gedachtes, zugleich ein Körper¬
liches ſein, da es ſonſt nicht wahrnehmbar, mit anderen
Worten, nicht vorhanden ſein könnte. Wenn wir verſuchen,
das, was wir als unſeren vornehmſten geiſtigen Beſitz zu
betrachten gewohnt ſind, den Begriff, als ein Reſultat, als
ein Produkt aufzufaſſen, ſo finden wir, daß ſich hier keines¬
wegs ein Vorgang vollzieht, der von einem materiell, ſub¬
ſtanziell Gegebenen zu einem ganz Körperloſen, nur geiſtig
Vorhandenen führte: im Gegentheil, der vorausgeſetzte
Vorgang könnte uns eher umgekehrt erſcheinen; denn
ſeinen Urſprung müſſen wir in jenen geheimnißvollen
Regionen des geiſtigen Lebens ſuchen, in denen aus Em¬
pfindungszuſtänden zuerſt das Bewußtſein eines Seienden
aufdämmert; am Ende ſehen wir das ſinnlich feſte Ge¬
bilde des Begriffszeichens, in welchem nicht der Träger
des irgendwie geiſtig vorhandenen Begriffs, ſondern dieſer
Begriff ſelbſt ins Daſein tritt. Wir irren ſehr, wenn
wir dem Reiche des gegenſtändlich Vorhandenen ein Reich
des Denkens gegenüberſtellen, dem wir eine rein geiſtige
Beſchaffenheit zuſchreiben; vielmehr ſteht in dem Sprach¬
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/47>, abgerufen am 16.07.2024.
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