Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.Möglichkeit der Erkenntniß zweifelhaft wird, wenn kritisches Möglichkeit der Erkenntniß zweifelhaft wird, wenn kritiſches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0040" n="28"/> Möglichkeit der Erkenntniß zweifelhaft wird, wenn kritiſches<lb/> Nachdenken lehrt, daß das, was wir Wahrheit zu nennen<lb/> berechtigt ſind, nirgends zu finden iſt, als in den jeweiligen<lb/> Reſultaten, zu denen die geiſtige Thätigkeit des Menſchen,<lb/> ſich immer erneuernd, ſich immer entwickelnd, bildend, zer¬<lb/> ſtörend und wieder bildend gelangt, ſo iſt der auf un¬<lb/> mittelbarer ſinnlicher Wahrnehmung beruhende Wirklich¬<lb/> keitsbeſitz, wenn er auch nach ſeinem bloßen Erſcheinungs¬<lb/> werthe anerkannt wird, der ſichere Halt innerhalb einer<lb/> Welt des Seienden, welche ſich dem tieferen Nachdenken<lb/> als ein mehr oder minder unſicherer Gedankenbeſitz dar¬<lb/> ſtellt. Hier erſcheint der Menſch in der That mehr em¬<lb/> pfangend als thätig; auch wenn er ſich darüber klar iſt,<lb/> daß er die Vorſtellung einer gegenſtändlichen Welt mit<lb/> allen ihren ſinnlichen Qualitäten der Function ſeiner Sinnes¬<lb/> werkzeuge verdankt, ſo empfängt er doch die Gewißheit<lb/> dieſer ſinnlichen Wirklichkeit weniger als das Reſultat<lb/> einer ſich in ihm und durch ihn vollziehenden Thätigkeit,<lb/> als vielmehr als unmittelbar gegenwärtigen Eindruck, ſo¬<lb/> bald nur die ſinnliche Empfänglichkeit vorhanden iſt.<lb/> Während jeder Schritt auf der Bahn des Wiſſens und<lb/> Erkennens einen Aufwand von geiſtiger Energie erfordert,<lb/> ſo fällt uns die Welt, ſoweit ſie ſinnlich wahrnehmbar iſt,<lb/> gleichſam als Geſchenk zu, ſobald wir nur ins Leben ein¬<lb/> treten. Die Natur ſelbſt lehrt den Gebrauch der Sinne;<lb/> das Denken bedarf der Unterweiſung. Was Wunder, daß<lb/> wir auf feſtem Grund zu ſtehen meinen, ſolange wir den<lb/> Boden ſinnlicher Wahrnehmung nicht verlaſſen? Zwar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [28/0040]
Möglichkeit der Erkenntniß zweifelhaft wird, wenn kritiſches
Nachdenken lehrt, daß das, was wir Wahrheit zu nennen
berechtigt ſind, nirgends zu finden iſt, als in den jeweiligen
Reſultaten, zu denen die geiſtige Thätigkeit des Menſchen,
ſich immer erneuernd, ſich immer entwickelnd, bildend, zer¬
ſtörend und wieder bildend gelangt, ſo iſt der auf un¬
mittelbarer ſinnlicher Wahrnehmung beruhende Wirklich¬
keitsbeſitz, wenn er auch nach ſeinem bloßen Erſcheinungs¬
werthe anerkannt wird, der ſichere Halt innerhalb einer
Welt des Seienden, welche ſich dem tieferen Nachdenken
als ein mehr oder minder unſicherer Gedankenbeſitz dar¬
ſtellt. Hier erſcheint der Menſch in der That mehr em¬
pfangend als thätig; auch wenn er ſich darüber klar iſt,
daß er die Vorſtellung einer gegenſtändlichen Welt mit
allen ihren ſinnlichen Qualitäten der Function ſeiner Sinnes¬
werkzeuge verdankt, ſo empfängt er doch die Gewißheit
dieſer ſinnlichen Wirklichkeit weniger als das Reſultat
einer ſich in ihm und durch ihn vollziehenden Thätigkeit,
als vielmehr als unmittelbar gegenwärtigen Eindruck, ſo¬
bald nur die ſinnliche Empfänglichkeit vorhanden iſt.
Während jeder Schritt auf der Bahn des Wiſſens und
Erkennens einen Aufwand von geiſtiger Energie erfordert,
ſo fällt uns die Welt, ſoweit ſie ſinnlich wahrnehmbar iſt,
gleichſam als Geſchenk zu, ſobald wir nur ins Leben ein¬
treten. Die Natur ſelbſt lehrt den Gebrauch der Sinne;
das Denken bedarf der Unterweiſung. Was Wunder, daß
wir auf feſtem Grund zu ſtehen meinen, ſolange wir den
Boden ſinnlicher Wahrnehmung nicht verlaſſen? Zwar
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