Die Erkenntniß, daß alles außer uns auf ein in uns hinausläuft, daß von einem Sein zu reden nur soweit einen vernünftigen Sinn hat, als ein solches in unserem Bewußtsein erscheint, -- diese Erkenntniß zerstört die Täuschung, als ob wir uns einer vor uns, um uns liegen¬ den Welt mit den Organen unseres Leibes und mit den Fähigkeiten unserer Seele nur so geradehin zu bemächtigen brauchten, um sie zu besitzen; vielmehr werden wir inne, daß alle Wirklichkeit uns einzig und allein bekannt wird in den sich in uns und durch uns vollziehenden Vorgängen, deren Anfänge wir in den Sinnesempfindungen voraus¬ setzen, deren Resultate wir da erfassen, wo sie sich zu be¬ stimmten Formen entwickeln. Reißen wir uns nun los von der Annahme einer außer uns in ihrem gesammten Sein verharrenden Welt und richten wir unseren Blick dahin, wo wir das Dasein der Wirklichkeit thatsächlich constatiren können, auf unser eigenes Wirklichkeitsbewußt¬ sein, so tritt an die Stelle jenes vorausgesetzten, auf sich und in sich beruhenden Seins ein ganz anderes Bild. Der Blick in die innere Werkstatt, in der die Bestandtheile des Weltbildes erst entstehen müssen, wenn sie ein Sein für uns gewinnen sollen, läßt uns nicht einen festen Besitz an fertigen Gestalten gewahren, vielmehr enthüllt sich ihm ein rastloses Werden und Vergehen, eine Unendlichkeit von Vorgängen, in denen die Elemente alles Seins in den mannichfaltigsten Arten auf den mannichfachsten Stufen ihrer Verarbeitung erscheinen, ohne daß das flüchtige, sich immer erneuernde Material jemals zu festen, unveränder¬
Die Erkenntniß, daß alles außer uns auf ein in uns hinausläuft, daß von einem Sein zu reden nur ſoweit einen vernünftigen Sinn hat, als ein ſolches in unſerem Bewußtſein erſcheint, — dieſe Erkenntniß zerſtört die Täuſchung, als ob wir uns einer vor uns, um uns liegen¬ den Welt mit den Organen unſeres Leibes und mit den Fähigkeiten unſerer Seele nur ſo geradehin zu bemächtigen brauchten, um ſie zu beſitzen; vielmehr werden wir inne, daß alle Wirklichkeit uns einzig und allein bekannt wird in den ſich in uns und durch uns vollziehenden Vorgängen, deren Anfänge wir in den Sinnesempfindungen voraus¬ ſetzen, deren Reſultate wir da erfaſſen, wo ſie ſich zu be¬ ſtimmten Formen entwickeln. Reißen wir uns nun los von der Annahme einer außer uns in ihrem geſammten Sein verharrenden Welt und richten wir unſeren Blick dahin, wo wir das Daſein der Wirklichkeit thatſächlich conſtatiren können, auf unſer eigenes Wirklichkeitsbewußt¬ ſein, ſo tritt an die Stelle jenes vorausgeſetzten, auf ſich und in ſich beruhenden Seins ein ganz anderes Bild. Der Blick in die innere Werkſtatt, in der die Beſtandtheile des Weltbildes erſt entſtehen müſſen, wenn ſie ein Sein für uns gewinnen ſollen, läßt uns nicht einen feſten Beſitz an fertigen Geſtalten gewahren, vielmehr enthüllt ſich ihm ein raſtloſes Werden und Vergehen, eine Unendlichkeit von Vorgängen, in denen die Elemente alles Seins in den mannichfaltigſten Arten auf den mannichfachſten Stufen ihrer Verarbeitung erſcheinen, ohne daß das flüchtige, ſich immer erneuernde Material jemals zu feſten, unveränder¬
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Die Erkenntniß, daß alles außer uns auf ein in uns
hinausläuft, daß von einem Sein zu reden nur ſoweit
einen vernünftigen Sinn hat, als ein ſolches in unſerem
Bewußtſein erſcheint, — dieſe Erkenntniß zerſtört die
Täuſchung, als ob wir uns einer vor uns, um uns liegen¬
den Welt mit den Organen unſeres Leibes und mit den
Fähigkeiten unſerer Seele nur ſo geradehin zu bemächtigen
brauchten, um ſie zu beſitzen; vielmehr werden wir inne,
daß alle Wirklichkeit uns einzig und allein bekannt wird
in den ſich in uns und durch uns vollziehenden Vorgängen,
deren Anfänge wir in den Sinnesempfindungen voraus¬
ſetzen, deren Reſultate wir da erfaſſen, wo ſie ſich zu be¬
ſtimmten Formen entwickeln. Reißen wir uns nun los
von der Annahme einer außer uns in ihrem geſammten
Sein verharrenden Welt und richten wir unſeren Blick
dahin, wo wir das Daſein der Wirklichkeit thatſächlich
conſtatiren können, auf unſer eigenes Wirklichkeitsbewußt¬
ſein, ſo tritt an die Stelle jenes vorausgeſetzten, auf ſich
und in ſich beruhenden Seins ein ganz anderes Bild.
Der Blick in die innere Werkſtatt, in der die Beſtandtheile
des Weltbildes erſt entſtehen müſſen, wenn ſie ein Sein
für uns gewinnen ſollen, läßt uns nicht einen feſten Beſitz
an fertigen Geſtalten gewahren, vielmehr enthüllt ſich ihm
ein raſtloſes Werden und Vergehen, eine Unendlichkeit von
Vorgängen, in denen die Elemente alles Seins in den
mannichfaltigſten Arten auf den mannichfachſten Stufen
ihrer Verarbeitung erſcheinen, ohne daß das flüchtige, ſich
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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