die Kunst gleichsam wieder zu sich selbst gekommen zu sein; aber sie führen ein vereinzeltes und oft verborgenes Dasein; die Entwickelung wird ihnen verkümmert durch das an¬ spruchsvolle Auftreten einer Kunstübung, die ihre eigene Schwäche durch falschen Glanz zu verdecken sucht. Ab und zu aber im Leben der Völker erfährt jene besondere Fähigkeit eine erstaunliche Steigerung; ein Interesse, welches sonst nur eine untergeordnete Rolle spielt, zuweilen nahezu ganz hinter anderen Interessen zurücktritt, erscheint plötzlich im Vordergrund des Lebens; leidenschaftlich drängt es den menschlichen Geist, die Grenzen seines Daseins nach dieser einen Richtung hin zu erweitern; zahlreiche Begabungen treten in den Dienst der einen Arbeit; es ist ein Wetteifer, um auf tausend Pfaden, die alle in der gleichen Richtung laufen, vorwärts zu kommen; es ist, als ob der Mensch vornehmlich um seines Sehens, die Welt vornehmlich um ihrer Sichtbarkeit willen vorhanden wäre. In solchen Zeiten ist es, wo wir die seltene geniale Kraft, der es zu allen Zeiten vorbehalten ist, eine ausnahmsweise Ent¬ wickelung des Bewußtseins zu vollziehen, dies gerade nach dieser einen Richtung hin vollbringen sehen; es entstehen jene Werke, in denen die Sichtbarkeit des Seienden in so vollendetem, überzeugendem Ausdruck gegenwärtig wird, daß sie uns wie mit der Macht der Offenbarung ent¬ gegentritt.
In diesen sogenannten guten Zeiten der Kunst ist nun jenes Streben nach bildnerischer Entwickelung einer Sichtbarkeit so mächtig, die Begabung, diesem Streben
die Kunſt gleichſam wieder zu ſich ſelbſt gekommen zu ſein; aber ſie führen ein vereinzeltes und oft verborgenes Daſein; die Entwickelung wird ihnen verkümmert durch das an¬ ſpruchsvolle Auftreten einer Kunſtübung, die ihre eigene Schwäche durch falſchen Glanz zu verdecken ſucht. Ab und zu aber im Leben der Völker erfährt jene beſondere Fähigkeit eine erſtaunliche Steigerung; ein Intereſſe, welches ſonſt nur eine untergeordnete Rolle ſpielt, zuweilen nahezu ganz hinter anderen Intereſſen zurücktritt, erſcheint plötzlich im Vordergrund des Lebens; leidenſchaftlich drängt es den menſchlichen Geiſt, die Grenzen ſeines Daſeins nach dieſer einen Richtung hin zu erweitern; zahlreiche Begabungen treten in den Dienſt der einen Arbeit; es iſt ein Wetteifer, um auf tauſend Pfaden, die alle in der gleichen Richtung laufen, vorwärts zu kommen; es iſt, als ob der Menſch vornehmlich um ſeines Sehens, die Welt vornehmlich um ihrer Sichtbarkeit willen vorhanden wäre. In ſolchen Zeiten iſt es, wo wir die ſeltene geniale Kraft, der es zu allen Zeiten vorbehalten iſt, eine ausnahmsweiſe Ent¬ wickelung des Bewußtſeins zu vollziehen, dies gerade nach dieſer einen Richtung hin vollbringen ſehen; es entſtehen jene Werke, in denen die Sichtbarkeit des Seienden in ſo vollendetem, überzeugendem Ausdruck gegenwärtig wird, daß ſie uns wie mit der Macht der Offenbarung ent¬ gegentritt.
In dieſen ſogenannten guten Zeiten der Kunſt iſt nun jenes Streben nach bildneriſcher Entwickelung einer Sichtbarkeit ſo mächtig, die Begabung, dieſem Streben
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die Kunſt gleichſam wieder zu ſich ſelbſt gekommen zu ſein;
aber ſie führen ein vereinzeltes und oft verborgenes Daſein;
die Entwickelung wird ihnen verkümmert durch das an¬
ſpruchsvolle Auftreten einer Kunſtübung, die ihre eigene
Schwäche durch falſchen Glanz zu verdecken ſucht. Ab
und zu aber im Leben der Völker erfährt jene beſondere
Fähigkeit eine erſtaunliche Steigerung; ein Intereſſe, welches
ſonſt nur eine untergeordnete Rolle ſpielt, zuweilen nahezu
ganz hinter anderen Intereſſen zurücktritt, erſcheint plötzlich
im Vordergrund des Lebens; leidenſchaftlich drängt es den
menſchlichen Geiſt, die Grenzen ſeines Daſeins nach dieſer
einen Richtung hin zu erweitern; zahlreiche Begabungen
treten in den Dienſt der einen Arbeit; es iſt ein Wetteifer,
um auf tauſend Pfaden, die alle in der gleichen Richtung
laufen, vorwärts zu kommen; es iſt, als ob der Menſch
vornehmlich um ſeines Sehens, die Welt vornehmlich um
ihrer Sichtbarkeit willen vorhanden wäre. In ſolchen
Zeiten iſt es, wo wir die ſeltene geniale Kraft, der es zu
allen Zeiten vorbehalten iſt, eine ausnahmsweiſe Ent¬
wickelung des Bewußtſeins zu vollziehen, dies gerade nach
dieſer einen Richtung hin vollbringen ſehen; es entſtehen
jene Werke, in denen die Sichtbarkeit des Seienden in ſo
vollendetem, überzeugendem Ausdruck gegenwärtig wird,
daß ſie uns wie mit der Macht der Offenbarung ent¬
gegentritt.
In dieſen ſogenannten guten Zeiten der Kunſt iſt
nun jenes Streben nach bildneriſcher Entwickelung einer
Sichtbarkeit ſo mächtig, die Begabung, dieſem Streben
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/169>, abgerufen am 16.07.2024.
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