auch mancherlei Folgerungen für die Art und Weise, in der ein jener Bedeutung entsprechendes Verhältniß zu vor¬ handenen Kunstwerken gewonnen werden kann. Wenn sich der künstlerische Vorgang so von allen übrigen Thätigkeiten des Menschen ablösen könnte, daß er ganz ausschließlich zum Ausdruck seiner selbst würde, so könnte ein Verkennen oder ein Mißverstehen desselben nicht stattfinden. Dem ist aber zweierlei hinderlich. Einmal unterliegt die Kunst¬ übung dem Schicksal alles Menschlichen: neben ihrer reinen Erscheinung tritt sie in allerhand Trübungen und Ver¬ fälschungen auf. Es ist so leicht, sich ihr äußeres Ge¬ bahren anzueignen; ist aber das künstlerische Thun nicht beherrscht und durchdrungen von jenem ausschließlichen Streben nach thätig-gestaltender Entwickelung der Gesichts¬ vorstellungen, so ist es eben nur ein scheinbares, äußer¬ liches, und wird den allerverschiedensten Liebhabereien, Interessen, Absichten dienstbar. Und dann, selbst wo die künstlerische Leistung rein und unverfälscht auftritt, da bleibt es doch immer unmöglich, zu verhindern, daß sie den Menschen um anderer Interessen willen wichtig er¬ scheine, als um des einzigen, welches für ihre Hervor¬ bringung maßgebend war. Denn das, was der Künstler thut, vollzieht sich nicht außerhalb der Wirklichkeit, sondern als eine Modifikation dieser Wirklichkeit. Der Künstler sucht dieser Wirklichkeit denjenigen Ausdruck zu geben, der seinem Streben nach Klarheit und Verständniß entspricht; aber wer dem Sinn dieses Ausdrucks kein Verständniß entgegenbringt, der wird an dem wesentlichen Inhalt des
auch mancherlei Folgerungen für die Art und Weiſe, in der ein jener Bedeutung entſprechendes Verhältniß zu vor¬ handenen Kunſtwerken gewonnen werden kann. Wenn ſich der künſtleriſche Vorgang ſo von allen übrigen Thätigkeiten des Menſchen ablöſen könnte, daß er ganz ausſchließlich zum Ausdruck ſeiner ſelbſt würde, ſo könnte ein Verkennen oder ein Mißverſtehen deſſelben nicht ſtattfinden. Dem iſt aber zweierlei hinderlich. Einmal unterliegt die Kunſt¬ übung dem Schickſal alles Menſchlichen: neben ihrer reinen Erſcheinung tritt ſie in allerhand Trübungen und Ver¬ fälſchungen auf. Es iſt ſo leicht, ſich ihr äußeres Ge¬ bahren anzueignen; iſt aber das künſtleriſche Thun nicht beherrſcht und durchdrungen von jenem ausſchließlichen Streben nach thätig-geſtaltender Entwickelung der Geſichts¬ vorſtellungen, ſo iſt es eben nur ein ſcheinbares, äußer¬ liches, und wird den allerverſchiedenſten Liebhabereien, Intereſſen, Abſichten dienſtbar. Und dann, ſelbſt wo die künſtleriſche Leiſtung rein und unverfälſcht auftritt, da bleibt es doch immer unmöglich, zu verhindern, daß ſie den Menſchen um anderer Intereſſen willen wichtig er¬ ſcheine, als um des einzigen, welches für ihre Hervor¬ bringung maßgebend war. Denn das, was der Künſtler thut, vollzieht ſich nicht außerhalb der Wirklichkeit, ſondern als eine Modifikation dieſer Wirklichkeit. Der Künſtler ſucht dieſer Wirklichkeit denjenigen Ausdruck zu geben, der ſeinem Streben nach Klarheit und Verſtändniß entſpricht; aber wer dem Sinn dieſes Ausdrucks kein Verſtändniß entgegenbringt, der wird an dem weſentlichen Inhalt des
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auch mancherlei Folgerungen für die Art und Weiſe, in
der ein jener Bedeutung entſprechendes Verhältniß zu vor¬
handenen Kunſtwerken gewonnen werden kann. Wenn ſich
der künſtleriſche Vorgang ſo von allen übrigen Thätigkeiten
des Menſchen ablöſen könnte, daß er ganz ausſchließlich
zum Ausdruck ſeiner ſelbſt würde, ſo könnte ein Verkennen
oder ein Mißverſtehen deſſelben nicht ſtattfinden. Dem
iſt aber zweierlei hinderlich. Einmal unterliegt die Kunſt¬
übung dem Schickſal alles Menſchlichen: neben ihrer reinen
Erſcheinung tritt ſie in allerhand Trübungen und Ver¬
fälſchungen auf. Es iſt ſo leicht, ſich ihr äußeres Ge¬
bahren anzueignen; iſt aber das künſtleriſche Thun nicht
beherrſcht und durchdrungen von jenem ausſchließlichen
Streben nach thätig-geſtaltender Entwickelung der Geſichts¬
vorſtellungen, ſo iſt es eben nur ein ſcheinbares, äußer¬
liches, und wird den allerverſchiedenſten Liebhabereien,
Intereſſen, Abſichten dienſtbar. Und dann, ſelbſt wo die
künſtleriſche Leiſtung rein und unverfälſcht auftritt, da
bleibt es doch immer unmöglich, zu verhindern, daß ſie
den Menſchen um anderer Intereſſen willen wichtig er¬
ſcheine, als um des einzigen, welches für ihre Hervor¬
bringung maßgebend war. Denn das, was der Künſtler
thut, vollzieht ſich nicht außerhalb der Wirklichkeit, ſondern
als eine Modifikation dieſer Wirklichkeit. Der Künſtler
ſucht dieſer Wirklichkeit denjenigen Ausdruck zu geben, der
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aber wer dem Sinn dieſes Ausdrucks kein Verſtändniß
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/150>, abgerufen am 20.07.2024.
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