über die Verfassung, jedem Einzelnen alle die üb¬ rigen mit einer zum Ideal gesteigerten Ordnungs¬ liebe vorgestellt werden, welche also vielleicht kein einziger wirklich hat, die aber alle haben sollten; und daß somit diese Gesezgebung einen hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬ terlassungen gar viele auflege. Diese, als etwas das schlechthin seyn muß, und auf welchem das Bestehen der Gesellschaft beruht, sind auf den Nothfall sogar durch Furcht vor gegenwärtiger Strafe zu erzwingen; und muß dieses Strafge¬ sez schlechthin ohne Schonung oder Ausnahme vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zög¬ lings geschieht durch diese Anwendung der Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬ dem hier ja nicht zum Thun des Guten, sondern nur zu Unterlassung des in dieser Verfassung Bö¬ sen getrieben werden soll; überdieß muß im Un¬ terrichte über die Verfassung vollkommen ver¬ ständlich gemacht werden, daß der, welcher der Vorstellung von der Strafe, oder wohl gar der Anfrischung dieser Vorstellung durch die Erdul¬ dung der Strafe selbst noch bedürfe, auf einer sehr niedrigen Stufe der Bildung stehe. Jedennoch ist bei allem diesen klar, daß, da man niemals wissen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe
uͤber die Verfaſſung, jedem Einzelnen alle die uͤb¬ rigen mit einer zum Ideal geſteigerten Ordnungs¬ liebe vorgeſtellt werden, welche alſo vielleicht kein einziger wirklich hat, die aber alle haben ſollten; und daß ſomit dieſe Geſezgebung einen hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬ terlaſſungen gar viele auflege. Dieſe, als etwas das ſchlechthin ſeyn muß, und auf welchem das Beſtehen der Geſellſchaft beruht, ſind auf den Nothfall ſogar durch Furcht vor gegenwaͤrtiger Strafe zu erzwingen; und muß dieſes Strafge¬ ſez ſchlechthin ohne Schonung oder Ausnahme vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zoͤg¬ lings geſchieht durch dieſe Anwendung der Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬ dem hier ja nicht zum Thun des Guten, ſondern nur zu Unterlaſſung des in dieſer Verfaſſung Boͤ¬ ſen getrieben werden ſoll; uͤberdieß muß im Un¬ terrichte uͤber die Verfaſſung vollkommen ver¬ ſtaͤndlich gemacht werden, daß der, welcher der Vorſtellung von der Strafe, oder wohl gar der Anfriſchung dieſer Vorſtellung durch die Erdul¬ dung der Strafe ſelbſt noch beduͤrfe, auf einer ſehr niedrigen Stufe der Bildung ſtehe. Jedennoch iſt bei allem dieſen klar, daß, da man niemals wiſſen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0083"n="77"/>
uͤber die Verfaſſung, jedem Einzelnen alle die uͤb¬<lb/>
rigen mit einer zum Ideal geſteigerten Ordnungs¬<lb/>
liebe vorgeſtellt werden, welche alſo vielleicht<lb/>
kein einziger wirklich hat, die aber alle haben<lb/>ſollten; und daß ſomit dieſe Geſezgebung einen<lb/>
hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬<lb/>
terlaſſungen gar viele auflege. Dieſe, als etwas<lb/>
das ſchlechthin ſeyn muß, und auf welchem das<lb/>
Beſtehen der Geſellſchaft beruht, ſind auf den<lb/>
Nothfall ſogar durch Furcht vor gegenwaͤrtiger<lb/>
Strafe zu erzwingen; und muß dieſes Strafge¬<lb/>ſez ſchlechthin ohne Schonung oder Ausnahme<lb/>
vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zoͤg¬<lb/>
lings geſchieht durch dieſe Anwendung der<lb/>
Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬<lb/>
dem hier ja nicht zum Thun des Guten, ſondern<lb/>
nur zu Unterlaſſung des in dieſer Verfaſſung Boͤ¬<lb/>ſen getrieben werden ſoll; uͤberdieß muß im Un¬<lb/>
terrichte uͤber die Verfaſſung vollkommen ver¬<lb/>ſtaͤndlich gemacht werden, daß der, welcher der<lb/>
Vorſtellung von der Strafe, oder wohl gar der<lb/>
Anfriſchung dieſer Vorſtellung durch die Erdul¬<lb/>
dung der Strafe ſelbſt noch beduͤrfe, auf einer ſehr<lb/>
niedrigen Stufe der Bildung ſtehe. Jedennoch<lb/>
iſt bei allem dieſen klar, daß, da man niemals<lb/>
wiſſen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[77/0083]
uͤber die Verfaſſung, jedem Einzelnen alle die uͤb¬
rigen mit einer zum Ideal geſteigerten Ordnungs¬
liebe vorgeſtellt werden, welche alſo vielleicht
kein einziger wirklich hat, die aber alle haben
ſollten; und daß ſomit dieſe Geſezgebung einen
hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬
terlaſſungen gar viele auflege. Dieſe, als etwas
das ſchlechthin ſeyn muß, und auf welchem das
Beſtehen der Geſellſchaft beruht, ſind auf den
Nothfall ſogar durch Furcht vor gegenwaͤrtiger
Strafe zu erzwingen; und muß dieſes Strafge¬
ſez ſchlechthin ohne Schonung oder Ausnahme
vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zoͤg¬
lings geſchieht durch dieſe Anwendung der
Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬
dem hier ja nicht zum Thun des Guten, ſondern
nur zu Unterlaſſung des in dieſer Verfaſſung Boͤ¬
ſen getrieben werden ſoll; uͤberdieß muß im Un¬
terrichte uͤber die Verfaſſung vollkommen ver¬
ſtaͤndlich gemacht werden, daß der, welcher der
Vorſtellung von der Strafe, oder wohl gar der
Anfriſchung dieſer Vorſtellung durch die Erdul¬
dung der Strafe ſelbſt noch beduͤrfe, auf einer ſehr
niedrigen Stufe der Bildung ſtehe. Jedennoch
iſt bei allem dieſen klar, daß, da man niemals
wiſſen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/83>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.