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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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das die künftige ernstliche Thätigkeit unsers
zum Manne gewordenen Zöglings anregen
soll, erfaßt werden kann; die Erkenntniß da¬
her allerdings ein wesentlicher Bestandtheil
der zn erlangenden Bildung ist, so kann man
dennoch nicht sagen, daß die neue Erziehung
diese Erkenntniß unmittelbar beabsichtige, son¬
dern die Erkenntniß fällt derselben nur zu.
Im Gegentheile beabsichtigte die bisherige Er¬
ziehung geradezu Erkenntniß, und ein ge¬
wisses Maaß eines Erkenntnißstoffes. Ferner
ist ein großer Unterschied zwischen der Art
der Erkenntniß, welche der neuen Erziehung
nebenbei entsteht, und derjenigen, welche
die bisherige Erziehung beabsichtigte. Jener
entsteht die Erkenntniß der die Möglichkeit
aller geistigen Thätigkeit bedingenden Gesetze
dieser Thätigkeit. Z. B. wenn der Zögling
in freier Phantasie durch gerade Linien einen
Raum zu begrenzen versucht, so ist dies die
zuerst angeregte geistige Thätigkeit desselben.
Wenn er in diesen Versuchen findet, daß er
mit weniger denn drei geraden Linien keinen
Raum begrenzen könne, so ist dieses letztere
die neben bei entstehende Erkenntniß einer

das die kuͤnftige ernſtliche Thaͤtigkeit unſers
zum Manne gewordenen Zoͤglings anregen
ſoll, erfaßt werden kann; die Erkenntniß da¬
her allerdings ein weſentlicher Beſtandtheil
der zn erlangenden Bildung iſt, ſo kann man
dennoch nicht ſagen, daß die neue Erziehung
dieſe Erkenntniß unmittelbar beabſichtige, ſon¬
dern die Erkenntniß faͤllt derſelben nur zu.
Im Gegentheile beabſichtigte die bisherige Er¬
ziehung geradezu Erkenntniß, und ein ge¬
wiſſes Maaß eines Erkenntnißſtoffes. Ferner
iſt ein großer Unterſchied zwiſchen der Art
der Erkenntniß, welche der neuen Erziehung
nebenbei entſteht, und derjenigen, welche
die bisherige Erziehung beabſichtigte. Jener
entſteht die Erkenntniß der die Moͤglichkeit
aller geiſtigen Thaͤtigkeit bedingenden Geſetze
dieſer Thaͤtigkeit. Z. B. wenn der Zoͤgling
in freier Phantaſie durch gerade Linien einen
Raum zu begrenzen verſucht, ſo iſt dies die
zuerſt angeregte geiſtige Thaͤtigkeit deſſelben.
Wenn er in dieſen Verſuchen findet, daß er
mit weniger denn drei geraden Linien keinen
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[66/0072] das die kuͤnftige ernſtliche Thaͤtigkeit unſers zum Manne gewordenen Zoͤglings anregen ſoll, erfaßt werden kann; die Erkenntniß da¬ her allerdings ein weſentlicher Beſtandtheil der zn erlangenden Bildung iſt, ſo kann man dennoch nicht ſagen, daß die neue Erziehung dieſe Erkenntniß unmittelbar beabſichtige, ſon¬ dern die Erkenntniß faͤllt derſelben nur zu. Im Gegentheile beabſichtigte die bisherige Er¬ ziehung geradezu Erkenntniß, und ein ge¬ wiſſes Maaß eines Erkenntnißſtoffes. Ferner iſt ein großer Unterſchied zwiſchen der Art der Erkenntniß, welche der neuen Erziehung nebenbei entſteht, und derjenigen, welche die bisherige Erziehung beabſichtigte. Jener entſteht die Erkenntniß der die Moͤglichkeit aller geiſtigen Thaͤtigkeit bedingenden Geſetze dieſer Thaͤtigkeit. Z. B. wenn der Zoͤgling in freier Phantaſie durch gerade Linien einen Raum zu begrenzen verſucht, ſo iſt dies die zuerſt angeregte geiſtige Thaͤtigkeit deſſelben. Wenn er in dieſen Verſuchen findet, daß er mit weniger denn drei geraden Linien keinen Raum begrenzen koͤnne, ſo iſt dieſes letztere die neben bei entſtehende Erkenntniß einer

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/72>, abgerufen am 24.11.2024.