Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich als ob er allein da sey, und alles allein
thun müsse. Wenn recht viele einzelne so
denken, so wird bald ein großes Ganzes da¬
stehen, das in eine einige eng verbundene
Kraft zusammenfließe. Wenn dagegen jedwe¬
der, sich selbst ausschließend, auf die übrigen
hofft, und den andern die Sache überläßt;
so giebt es gar keine anderen, und alle zusam¬
men bleiben, so wie sie vorher waren. -- Fas¬
set ihn auf der Stelle, diesen Entschluß. Sa¬
get nicht, laß uns noch ein wenig ruhen, noch
ein wenig schlafen und träumen, bis etwa die
Besserung von selber komme. Sie wird nie¬
mals von selbst kommen. Wer, nachdem er
einmal das Gestern versäumt hat, das noch
bequemer gewesen wäre zur Besinnung, selbst
heute noch nicht wollen kann, der wird es
morgen noch weniger können. Jeder Verzug
macht uns nur noch träger, und wiegt uns nur
noch tiefer ein in die freundliche Gewöhnung
an unsern elenden Zustand. Auch können die
äußern Antriebe zur Besinnung niemals stär¬
ker und dringender werden. Wen diese Ge¬
genwart nicht aufregt, der hat sicher alles Ge¬

gleich als ob er allein da ſey, und alles allein
thun muͤſſe. Wenn recht viele einzelne ſo
denken, ſo wird bald ein großes Ganzes da¬
ſtehen, das in eine einige eng verbundene
Kraft zuſammenfließe. Wenn dagegen jedwe¬
der, ſich ſelbſt ausſchließend, auf die uͤbrigen
hofft, und den andern die Sache uͤberlaͤßt;
ſo giebt es gar keine anderen, und alle zuſam¬
men bleiben, ſo wie ſie vorher waren. — Faſ¬
ſet ihn auf der Stelle, dieſen Entſchluß. Sa¬
get nicht, laß uns noch ein wenig ruhen, noch
ein wenig ſchlafen und traͤumen, bis etwa die
Beſſerung von ſelber komme. Sie wird nie¬
mals von ſelbſt kommen. Wer, nachdem er
einmal das Geſtern verſaͤumt hat, das noch
bequemer geweſen waͤre zur Beſinnung, ſelbſt
heute noch nicht wollen kann, der wird es
morgen noch weniger koͤnnen. Jeder Verzug
macht uns nur noch traͤger, und wiegt uns nur
noch tiefer ein in die freundliche Gewoͤhnung
an unſern elenden Zuſtand. Auch koͤnnen die
aͤußern Antriebe zur Beſinnung niemals ſtaͤr¬
ker und dringender werden. Wen dieſe Ge¬
genwart nicht aufregt, der hat ſicher alles Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0461" n="455"/>
gleich als ob er allein da &#x017F;ey, und alles allein<lb/>
thun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Wenn recht viele einzelne &#x017F;o<lb/>
denken, &#x017F;o wird bald ein großes Ganzes da¬<lb/>
&#x017F;tehen, das in eine einige eng verbundene<lb/>
Kraft zu&#x017F;ammenfließe. Wenn dagegen jedwe¬<lb/>
der, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aus&#x017F;chließend, auf die u&#x0364;brigen<lb/>
hofft, und den andern die Sache u&#x0364;berla&#x0364;ßt;<lb/>
&#x017F;o giebt es gar keine anderen, und alle zu&#x017F;am¬<lb/>
men bleiben, &#x017F;o wie &#x017F;ie vorher waren. &#x2014; Fa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;et ihn auf der Stelle, die&#x017F;en Ent&#x017F;chluß. Sa¬<lb/>
get nicht, laß uns noch ein wenig ruhen, noch<lb/>
ein wenig &#x017F;chlafen und tra&#x0364;umen, bis etwa die<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;erung von &#x017F;elber komme. Sie wird nie¬<lb/>
mals von &#x017F;elb&#x017F;t kommen. Wer, nachdem er<lb/>
einmal das Ge&#x017F;tern ver&#x017F;a&#x0364;umt hat, das noch<lb/>
bequemer gewe&#x017F;en wa&#x0364;re zur Be&#x017F;innung, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
heute noch nicht wollen kann, der wird es<lb/>
morgen noch weniger ko&#x0364;nnen. Jeder Verzug<lb/>
macht uns nur noch tra&#x0364;ger, und wiegt uns nur<lb/>
noch tiefer ein in die freundliche Gewo&#x0364;hnung<lb/>
an un&#x017F;ern elenden Zu&#x017F;tand. Auch ko&#x0364;nnen die<lb/>
a&#x0364;ußern Antriebe zur Be&#x017F;innung niemals &#x017F;ta&#x0364;<lb/>
ker und dringender werden. Wen die&#x017F;e Ge¬<lb/>
genwart nicht aufregt, der hat &#x017F;icher alles Ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0461] gleich als ob er allein da ſey, und alles allein thun muͤſſe. Wenn recht viele einzelne ſo denken, ſo wird bald ein großes Ganzes da¬ ſtehen, das in eine einige eng verbundene Kraft zuſammenfließe. Wenn dagegen jedwe¬ der, ſich ſelbſt ausſchließend, auf die uͤbrigen hofft, und den andern die Sache uͤberlaͤßt; ſo giebt es gar keine anderen, und alle zuſam¬ men bleiben, ſo wie ſie vorher waren. — Faſ¬ ſet ihn auf der Stelle, dieſen Entſchluß. Sa¬ get nicht, laß uns noch ein wenig ruhen, noch ein wenig ſchlafen und traͤumen, bis etwa die Beſſerung von ſelber komme. Sie wird nie¬ mals von ſelbſt kommen. Wer, nachdem er einmal das Geſtern verſaͤumt hat, das noch bequemer geweſen waͤre zur Beſinnung, ſelbſt heute noch nicht wollen kann, der wird es morgen noch weniger koͤnnen. Jeder Verzug macht uns nur noch traͤger, und wiegt uns nur noch tiefer ein in die freundliche Gewoͤhnung an unſern elenden Zuſtand. Auch koͤnnen die aͤußern Antriebe zur Beſinnung niemals ſtaͤr¬ ker und dringender werden. Wen dieſe Ge¬ genwart nicht aufregt, der hat ſicher alles Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/461
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/461>, abgerufen am 24.11.2024.