Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

erinnern. Haben sie aber etwa ihre dermalige
Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus
welchem seitdem alles Volk mit ihnen eben
dieselbe gezogen hat, warum sagen jezt eben
sie, was alle andern nun eben sowohl wissen?
Oder haben sie vielleicht gar damals aus Ge¬
winnsucht geschmeichelt, oder aus Furcht ge¬
schwiegen, vor dem Stande, und den Personen,
über die jezt, nachdem sie die Gewalt verlohren
haben, ungemäßigt ihre Strafrede hereinbricht;
o so vergessen sie künftig nicht unter den Quel¬
len unsrer Uebel neben dem Adel, und den un¬
tauglichen Ministern und Feldherren, auch noch
die politischen Schriftsteller anzuführen, die erst
nach gegebnem Erfolge wissen, was da hätte
geschehen sollen, so wie der Pöbel auch; und die
den Gewalthabern schmeicheln, die Gefallenen
aber schadenfroh verhöhnen!

Oder rügen sie etwa die Irrthümer der
Vergangenheit, die freilich durch alle ihre
Rüge nicht vernichtet werden kann, nur darum,
damit man sie in der Zukunft nicht wieder be¬
gehe; und ist es bloß ihr Eifer, eine gründliche
Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu

erinnern. Haben ſie aber etwa ihre dermalige
Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus
welchem ſeitdem alles Volk mit ihnen eben
dieſelbe gezogen hat, warum ſagen jezt eben
ſie, was alle andern nun eben ſowohl wiſſen?
Oder haben ſie vielleicht gar damals aus Ge¬
winnſucht geſchmeichelt, oder aus Furcht ge¬
ſchwiegen, vor dem Stande, und den Perſonen,
uͤber die jezt, nachdem ſie die Gewalt verlohren
haben, ungemaͤßigt ihre Strafrede hereinbricht;
o ſo vergeſſen ſie kuͤnftig nicht unter den Quel¬
len unſrer Uebel neben dem Adel, und den un¬
tauglichen Miniſtern und Feldherren, auch noch
die politiſchen Schriftſteller anzufuͤhren, die erſt
nach gegebnem Erfolge wiſſen, was da haͤtte
geſchehen ſollen, ſo wie der Poͤbel auch; und die
den Gewalthabern ſchmeicheln, die Gefallenen
aber ſchadenfroh verhoͤhnen!

Oder ruͤgen ſie etwa die Irrthuͤmer der
Vergangenheit, die freilich durch alle ihre
Ruͤge nicht vernichtet werden kann, nur darum,
damit man ſie in der Zukunft nicht wieder be¬
gehe; und iſt es bloß ihr Eifer, eine gruͤndliche
Verbeſſerung der menſchlichen Verhaͤltniſſe zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0445" n="439"/>
erinnern. Haben &#x017F;ie aber etwa ihre dermalige<lb/>
Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus<lb/>
welchem &#x017F;eitdem alles Volk mit ihnen eben<lb/>
die&#x017F;elbe gezogen hat, warum &#x017F;agen jezt eben<lb/>
&#x017F;ie, was alle andern nun eben &#x017F;owohl wi&#x017F;&#x017F;en?<lb/>
Oder haben &#x017F;ie vielleicht gar damals aus Ge¬<lb/>
winn&#x017F;ucht ge&#x017F;chmeichelt, oder aus Furcht ge¬<lb/>
&#x017F;chwiegen, vor dem Stande, und den Per&#x017F;onen,<lb/>
u&#x0364;ber die jezt, nachdem &#x017F;ie die Gewalt verlohren<lb/>
haben, ungema&#x0364;ßigt ihre Strafrede hereinbricht;<lb/>
o &#x017F;o verge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie ku&#x0364;nftig nicht unter den Quel¬<lb/>
len un&#x017F;rer Uebel neben dem Adel, und den un¬<lb/>
tauglichen Mini&#x017F;tern und Feldherren, auch noch<lb/>
die politi&#x017F;chen Schrift&#x017F;teller anzufu&#x0364;hren, die er&#x017F;t<lb/>
nach gegebnem Erfolge wi&#x017F;&#x017F;en, was da ha&#x0364;tte<lb/>
ge&#x017F;chehen &#x017F;ollen, &#x017F;o wie der Po&#x0364;bel auch; und die<lb/>
den Gewalthabern &#x017F;chmeicheln, die Gefallenen<lb/>
aber &#x017F;chadenfroh verho&#x0364;hnen!</p><lb/>
        <p>Oder ru&#x0364;gen &#x017F;ie etwa die Irrthu&#x0364;mer der<lb/>
Vergangenheit, die freilich durch alle ihre<lb/>
Ru&#x0364;ge nicht vernichtet werden kann, nur darum,<lb/>
damit man &#x017F;ie in der Zukunft nicht wieder be¬<lb/>
gehe; und i&#x017F;t es bloß ihr Eifer, eine gru&#x0364;ndliche<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erung der men&#x017F;chlichen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0445] erinnern. Haben ſie aber etwa ihre dermalige Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus welchem ſeitdem alles Volk mit ihnen eben dieſelbe gezogen hat, warum ſagen jezt eben ſie, was alle andern nun eben ſowohl wiſſen? Oder haben ſie vielleicht gar damals aus Ge¬ winnſucht geſchmeichelt, oder aus Furcht ge¬ ſchwiegen, vor dem Stande, und den Perſonen, uͤber die jezt, nachdem ſie die Gewalt verlohren haben, ungemaͤßigt ihre Strafrede hereinbricht; o ſo vergeſſen ſie kuͤnftig nicht unter den Quel¬ len unſrer Uebel neben dem Adel, und den un¬ tauglichen Miniſtern und Feldherren, auch noch die politiſchen Schriftſteller anzufuͤhren, die erſt nach gegebnem Erfolge wiſſen, was da haͤtte geſchehen ſollen, ſo wie der Poͤbel auch; und die den Gewalthabern ſchmeicheln, die Gefallenen aber ſchadenfroh verhoͤhnen! Oder ruͤgen ſie etwa die Irrthuͤmer der Vergangenheit, die freilich durch alle ihre Ruͤge nicht vernichtet werden kann, nur darum, damit man ſie in der Zukunft nicht wieder be¬ gehe; und iſt es bloß ihr Eifer, eine gruͤndliche Verbeſſerung der menſchlichen Verhaͤltniſſe zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/445
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/445>, abgerufen am 17.05.2024.