Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich
muß von nun an jeden sich selbst überlassen.
Nur warnen kann ich noch, daß man durch
seichte und oberflächliche Gedanken, die auch
über diesen Gegenstand sich im Umlaufe befin¬
den, sich nicht täuschen, vom tiefern Nachden¬
ken sich nicht abhalten, und durch nichtige
Vertröstungen sich nicht abfinden lasse.

Wir haben z. B. schon lange vor den lezten
Ereignissen, gleichsam auf den Vorrath, hö¬
ren müssen, und es ist uns seitdem häufig wie¬
derholt worden, daß, wenn auch unsre poli¬
tische Selbständigkeit verloren sey, wir dennoch
unsre Sprache behielten, und unsre Litteratur,
und in diesen immer eine Nation blieben, und
damit über alles andere uns leichtlich trösten
könnten.

Worauf gründet sich denn zuförderst die
Hoffnung, daß wir auch ohne politische Selbst¬
ständigkeit dennoch unsre Sprache behalten
werden? Jene, die also sagen, schreiben doch
wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬
gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und
auf alle künftigen Jahrhunderte, diese wun¬
derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬

nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich
muß von nun an jeden ſich ſelbſt uͤberlaſſen.
Nur warnen kann ich noch, daß man durch
ſeichte und oberflaͤchliche Gedanken, die auch
uͤber dieſen Gegenſtand ſich im Umlaufe befin¬
den, ſich nicht taͤuſchen, vom tiefern Nachden¬
ken ſich nicht abhalten, und durch nichtige
Vertroͤſtungen ſich nicht abfinden laſſe.

Wir haben z. B. ſchon lange vor den lezten
Ereigniſſen, gleichſam auf den Vorrath, hoͤ¬
ren muͤſſen, und es iſt uns ſeitdem haͤufig wie¬
derholt worden, daß, wenn auch unſre poli¬
tiſche Selbſtaͤndigkeit verloren ſey, wir dennoch
unſre Sprache behielten, und unſre Litteratur,
und in dieſen immer eine Nation blieben, und
damit uͤber alles andere uns leichtlich troͤſten
koͤnnten.

Worauf gruͤndet ſich denn zufoͤrderſt die
Hoffnung, daß wir auch ohne politiſche Selbſt¬
ſtaͤndigkeit dennoch unſre Sprache behalten
werden? Jene, die alſo ſagen, ſchreiben doch
wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬
gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und
auf alle kuͤnftigen Jahrhunderte, dieſe wun¬
derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0397" n="391"/>
nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich<lb/>
muß von nun an jeden &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Nur warnen kann ich noch, daß man durch<lb/>
&#x017F;eichte und oberfla&#x0364;chliche Gedanken, die auch<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand &#x017F;ich im Umlaufe befin¬<lb/>
den, &#x017F;ich nicht ta&#x0364;u&#x017F;chen, vom tiefern Nachden¬<lb/>
ken &#x017F;ich nicht abhalten, und durch nichtige<lb/>
Vertro&#x0364;&#x017F;tungen &#x017F;ich nicht abfinden la&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Wir haben z. B. &#x017F;chon lange vor den lezten<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;en, gleich&#x017F;am auf den Vorrath, ho&#x0364;¬<lb/>
ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und es i&#x017F;t uns &#x017F;eitdem ha&#x0364;ufig wie¬<lb/>
derholt worden, daß, wenn auch un&#x017F;re poli¬<lb/>
ti&#x017F;che Selb&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit verloren &#x017F;ey, wir dennoch<lb/>
un&#x017F;re Sprache behielten, und un&#x017F;re Litteratur,<lb/>
und in die&#x017F;en immer eine Nation blieben, und<lb/>
damit u&#x0364;ber alles andere uns leichtlich tro&#x0364;&#x017F;ten<lb/>
ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
        <p>Worauf gru&#x0364;ndet &#x017F;ich denn zufo&#x0364;rder&#x017F;t die<lb/>
Hoffnung, daß wir auch ohne politi&#x017F;che Selb&#x017F;<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit dennoch un&#x017F;re Sprache behalten<lb/>
werden? Jene, die al&#x017F;o &#x017F;agen, &#x017F;chreiben doch<lb/>
wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬<lb/>
gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und<lb/>
auf alle ku&#x0364;nftigen Jahrhunderte, die&#x017F;e wun¬<lb/>
derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[391/0397] nen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich muß von nun an jeden ſich ſelbſt uͤberlaſſen. Nur warnen kann ich noch, daß man durch ſeichte und oberflaͤchliche Gedanken, die auch uͤber dieſen Gegenſtand ſich im Umlaufe befin¬ den, ſich nicht taͤuſchen, vom tiefern Nachden¬ ken ſich nicht abhalten, und durch nichtige Vertroͤſtungen ſich nicht abfinden laſſe. Wir haben z. B. ſchon lange vor den lezten Ereigniſſen, gleichſam auf den Vorrath, hoͤ¬ ren muͤſſen, und es iſt uns ſeitdem haͤufig wie¬ derholt worden, daß, wenn auch unſre poli¬ tiſche Selbſtaͤndigkeit verloren ſey, wir dennoch unſre Sprache behielten, und unſre Litteratur, und in dieſen immer eine Nation blieben, und damit uͤber alles andere uns leichtlich troͤſten koͤnnten. Worauf gruͤndet ſich denn zufoͤrderſt die Hoffnung, daß wir auch ohne politiſche Selbſt¬ ſtaͤndigkeit dennoch unſre Sprache behalten werden? Jene, die alſo ſagen, ſchreiben doch wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnun¬ gen, auf Kind und Kindeskind hinaus, und auf alle kuͤnftigen Jahrhunderte, dieſe wun¬ derwirkende Kraft zu? Was von den jeztle¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/397
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/397>, abgerufen am 20.05.2024.