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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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so würde sich finden, daß diese, die vor allen
andern verbunden sind, die Zukunft ins Auge
zu fassen, und zu beherrschen, beim Andrange
der großen Zeitbegebenheiten auf sie immer nur
gesucht, sich aus der unmittelbar gegenwärti¬
gen Verlegenheit zu ziehen, so gut sie es ver¬
mocht; in Absicht der Zukunft aber nicht auf
ihre Gegenwart, sondern auf irgend einen
Glückszufall, der den stetigen Faden der Ursa¬
chen und Wirkungen abschneiden sollte, gerech¬
net haben. Aber dergleichen Hofnungen sind
betrüglich. Eine treibende Kraft, die man
einmal in die Zeit hinein kommen lassen, treibt
fort, und vollendet ihren Weg, und, nach¬
dem einmal die erste Nachlässigkeit begangen
worden, kann die zu spät kommende Besin¬
nung sie nicht aufhalten. Des ersten Falles,
bloß die Gegenwart zu bedenken, hat fürs
nächste unser Schicksal uns überhoben; die
Gegenwart ist nicht mehr unser. Mögen wir
nur nicht den zweiten beibehalten, eine bessere
Zukunft von irgend etwas anderem zu hoffen,
denn von uns selber. Zwar kann keinen unter
uns, der zum Leben noch etwas mehr bedarf,

ſo wuͤrde ſich finden, daß dieſe, die vor allen
andern verbunden ſind, die Zukunft ins Auge
zu faſſen, und zu beherrſchen, beim Andrange
der großen Zeitbegebenheiten auf ſie immer nur
geſucht, ſich aus der unmittelbar gegenwaͤrti¬
gen Verlegenheit zu ziehen, ſo gut ſie es ver¬
mocht; in Abſicht der Zukunft aber nicht auf
ihre Gegenwart, ſondern auf irgend einen
Gluͤckszufall, der den ſtetigen Faden der Urſa¬
chen und Wirkungen abſchneiden ſollte, gerech¬
net haben. Aber dergleichen Hofnungen ſind
betruͤglich. Eine treibende Kraft, die man
einmal in die Zeit hinein kommen laſſen, treibt
fort, und vollendet ihren Weg, und, nach¬
dem einmal die erſte Nachlaͤſſigkeit begangen
worden, kann die zu ſpaͤt kommende Beſin¬
nung ſie nicht aufhalten. Des erſten Falles,
bloß die Gegenwart zu bedenken, hat fuͤrs
naͤchſte unſer Schickſal uns uͤberhoben; die
Gegenwart iſt nicht mehr unſer. Moͤgen wir
nur nicht den zweiten beibehalten, eine beſſere
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denn von uns ſelber. Zwar kann keinen unter
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[356/0362] ſo wuͤrde ſich finden, daß dieſe, die vor allen andern verbunden ſind, die Zukunft ins Auge zu faſſen, und zu beherrſchen, beim Andrange der großen Zeitbegebenheiten auf ſie immer nur geſucht, ſich aus der unmittelbar gegenwaͤrti¬ gen Verlegenheit zu ziehen, ſo gut ſie es ver¬ mocht; in Abſicht der Zukunft aber nicht auf ihre Gegenwart, ſondern auf irgend einen Gluͤckszufall, der den ſtetigen Faden der Urſa¬ chen und Wirkungen abſchneiden ſollte, gerech¬ net haben. Aber dergleichen Hofnungen ſind betruͤglich. Eine treibende Kraft, die man einmal in die Zeit hinein kommen laſſen, treibt fort, und vollendet ihren Weg, und, nach¬ dem einmal die erſte Nachlaͤſſigkeit begangen worden, kann die zu ſpaͤt kommende Beſin¬ nung ſie nicht aufhalten. Des erſten Falles, bloß die Gegenwart zu bedenken, hat fuͤrs naͤchſte unſer Schickſal uns uͤberhoben; die Gegenwart iſt nicht mehr unſer. Moͤgen wir nur nicht den zweiten beibehalten, eine beſſere Zukunft von irgend etwas anderem zu hoffen, denn von uns ſelber. Zwar kann keinen unter uns, der zum Leben noch etwas mehr bedarf,

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/362>, abgerufen am 16.07.2024.