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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Lücke, die in unserm bisherigen Vortrage blieb,
geschlossen, und unsern Vorschlag erst wahr¬
haftig ausführbar gemacht. Das Wohlgefal¬
len am Rechten und Guten um sein selbst wil¬
len, soll durch die neue Erziehung an die Stelle
der bisher gebrauchten sinnlichen Hofnung oder
Furcht gesezt werden, und dieses Wohlgefallen
soll, als einzig vorhandene Triebfeder, alles
künftige Leben in Bewegung setzen: Dies ist die
Hauptsache unsers Vorschlags. Die erste hie¬
bei sich aufdringende Frage ist: aber, wie soll
denn nun jenes Wohlgefallen selbst erzeugt wer¬
den? Erzeugt werden, im eigentlichen Sinne
des Worts, kann es nun wohl nicht; denn der
Mensch vermag nicht aus Nichts Etwas zu
machen. Es muß, wenn unser Vorschlag irgend
ausführbar seyn soll, dieses Wohlgefallen ur¬
sprünglich vorhanden seyn, und schlechthin in
allen Menschen ohne Ausnahme vorhanden
seyn, und ihnen angebohren werden. So ver¬
hält es sich denn auch wirklich. Das Kind
ohne alle Ausnahme will recht, und gut seyn,
keinesweges will es, so wie ein junges Thier,
bloß wohl seyn. Die Liebe ist der Grundbe¬
standtheil des Menschen; diese ist da, so wie

Luͤcke, die in unſerm bisherigen Vortrage blieb,
geſchloſſen, und unſern Vorſchlag erſt wahr¬
haftig ausfuͤhrbar gemacht. Das Wohlgefal¬
len am Rechten und Guten um ſein ſelbſt wil¬
len, ſoll durch die neue Erziehung an die Stelle
der bisher gebrauchten ſinnlichen Hofnung oder
Furcht geſezt werden, und dieſes Wohlgefallen
ſoll, als einzig vorhandene Triebfeder, alles
kuͤnftige Leben in Bewegung ſetzen: Dies iſt die
Hauptſache unſers Vorſchlags. Die erſte hie¬
bei ſich aufdringende Frage iſt: aber, wie ſoll
denn nun jenes Wohlgefallen ſelbſt erzeugt wer¬
den? Erzeugt werden, im eigentlichen Sinne
des Worts, kann es nun wohl nicht; denn der
Menſch vermag nicht aus Nichts Etwas zu
machen. Es muß, wenn unſer Vorſchlag irgend
ausfuͤhrbar ſeyn ſoll, dieſes Wohlgefallen ur¬
ſpruͤnglich vorhanden ſeyn, und ſchlechthin in
allen Menſchen ohne Ausnahme vorhanden
ſeyn, und ihnen angebohren werden. So ver¬
haͤlt es ſich denn auch wirklich. Das Kind
ohne alle Ausnahme will recht, und gut ſeyn,
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bloß wohl ſeyn. Die Liebe iſt der Grundbe¬
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[327/0333] Luͤcke, die in unſerm bisherigen Vortrage blieb, geſchloſſen, und unſern Vorſchlag erſt wahr¬ haftig ausfuͤhrbar gemacht. Das Wohlgefal¬ len am Rechten und Guten um ſein ſelbſt wil¬ len, ſoll durch die neue Erziehung an die Stelle der bisher gebrauchten ſinnlichen Hofnung oder Furcht geſezt werden, und dieſes Wohlgefallen ſoll, als einzig vorhandene Triebfeder, alles kuͤnftige Leben in Bewegung ſetzen: Dies iſt die Hauptſache unſers Vorſchlags. Die erſte hie¬ bei ſich aufdringende Frage iſt: aber, wie ſoll denn nun jenes Wohlgefallen ſelbſt erzeugt wer¬ den? Erzeugt werden, im eigentlichen Sinne des Worts, kann es nun wohl nicht; denn der Menſch vermag nicht aus Nichts Etwas zu machen. Es muß, wenn unſer Vorſchlag irgend ausfuͤhrbar ſeyn ſoll, dieſes Wohlgefallen ur¬ ſpruͤnglich vorhanden ſeyn, und ſchlechthin in allen Menſchen ohne Ausnahme vorhanden ſeyn, und ihnen angebohren werden. So ver¬ haͤlt es ſich denn auch wirklich. Das Kind ohne alle Ausnahme will recht, und gut ſeyn, keinesweges will es, ſo wie ein junges Thier, bloß wohl ſeyn. Die Liebe iſt der Grundbe¬ ſtandtheil des Menſchen; dieſe iſt da, ſo wie

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/333>, abgerufen am 22.11.2024.