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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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dringt, und gleich bei seinem Erwachen ins Le¬
ben wird dem Leben ein geistiges Auge einge¬
setzt, das von nun an wohl nicht wieder von
demselben lassen wird. Hiedurch erhalten auch
für die nachfolgenden Uebungen der Anschau¬
ung die an sich leeren Formen des Maaßes und
der Zahl ihren deutlich erkannten innern Ge¬
halt, der bei der Pestalozzischen Verfahrungs¬
weise doch nur durch dunklen Hang und Zwang
ihnen hinzugesetzt werden kann. Es kommt in
den Pestalozzischen Schriften ein in dieser Rük¬
sicht merkwürdiges Geständniß eines seiner Leh¬
rer vor, der in dieses Verfahren eingeweiht,
anfing nur noch ausgeleerte geometrische Kör¬
per zu erblicken. So müßte es allen Zöglingen
dieses Verfahrens ergehen, wenn nicht unver¬
merkt die geistige Natur dagegen sicherte. Hier
auch, bei diesem deutlichen Erfassen dessen,
was eigentlich empfunden wird, ist der Ort, wo,
zwar nicht das Sprachzeichen, aber das Reden
selbst, und das Bedürfniß sich für andere aus¬
zusprechen, den Menschen bildet, und ihn aus
der Dunkelheit und Verworrenheit zur Klar¬
heit und Bestimmtheit erhebt. Auf das zuerst
zum Bewußtseyn erwachende Kind dringen alle

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dringt, und gleich bei ſeinem Erwachen ins Le¬
ben wird dem Leben ein geiſtiges Auge einge¬
ſetzt, das von nun an wohl nicht wieder von
demſelben laſſen wird. Hiedurch erhalten auch
fuͤr die nachfolgenden Uebungen der Anſchau¬
ung die an ſich leeren Formen des Maaßes und
der Zahl ihren deutlich erkannten innern Ge¬
halt, der bei der Peſtalozziſchen Verfahrungs¬
weiſe doch nur durch dunklen Hang und Zwang
ihnen hinzugeſetzt werden kann. Es kommt in
den Peſtalozziſchen Schriften ein in dieſer Ruͤk¬
ſicht merkwuͤrdiges Geſtaͤndniß eines ſeiner Leh¬
rer vor, der in dieſes Verfahren eingeweiht,
anfing nur noch ausgeleerte geometriſche Koͤr¬
per zu erblicken. So muͤßte es allen Zoͤglingen
dieſes Verfahrens ergehen, wenn nicht unver¬
merkt die geiſtige Natur dagegen ſicherte. Hier
auch, bei dieſem deutlichen Erfaſſen deſſen,
was eigentlich empfunden wird, iſt der Ort, wo,
zwar nicht das Sprachzeichen, aber das Reden
ſelbſt, und das Beduͤrfniß ſich fuͤr andere aus¬
zuſprechen, den Menſchen bildet, und ihn aus
der Dunkelheit und Verworrenheit zur Klar¬
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[305/0311] dringt, und gleich bei ſeinem Erwachen ins Le¬ ben wird dem Leben ein geiſtiges Auge einge¬ ſetzt, das von nun an wohl nicht wieder von demſelben laſſen wird. Hiedurch erhalten auch fuͤr die nachfolgenden Uebungen der Anſchau¬ ung die an ſich leeren Formen des Maaßes und der Zahl ihren deutlich erkannten innern Ge¬ halt, der bei der Peſtalozziſchen Verfahrungs¬ weiſe doch nur durch dunklen Hang und Zwang ihnen hinzugeſetzt werden kann. Es kommt in den Peſtalozziſchen Schriften ein in dieſer Ruͤk¬ ſicht merkwuͤrdiges Geſtaͤndniß eines ſeiner Leh¬ rer vor, der in dieſes Verfahren eingeweiht, anfing nur noch ausgeleerte geometriſche Koͤr¬ per zu erblicken. So muͤßte es allen Zoͤglingen dieſes Verfahrens ergehen, wenn nicht unver¬ merkt die geiſtige Natur dagegen ſicherte. Hier auch, bei dieſem deutlichen Erfaſſen deſſen, was eigentlich empfunden wird, iſt der Ort, wo, zwar nicht das Sprachzeichen, aber das Reden ſelbſt, und das Beduͤrfniß ſich fuͤr andere aus¬ zuſprechen, den Menſchen bildet, und ihn aus der Dunkelheit und Verworrenheit zur Klar¬ heit und Beſtimmtheit erhebt. Auf das zuerſt zum Bewußtſeyn erwachende Kind dringen alle U

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/311>, abgerufen am 22.11.2024.