In einer andern Rüksicht aber, und zwar nicht auf das Volk, sondern auf die gebilde¬ ten Stände, hat Deutschland durch seine Kirchen-Verbesserung einen allgemeinen und dauernden Einfluß auf das Ausland gehabt; und durch diesen Einfluß dieses Ausland wieder zum Vorgänger für sich selbst, und zu seinem eignen Anreger zu neuen Schöpfun¬ gen sich zubereitet. Das freie und selbstthä¬ tige Denken, oder die Philosophie, war schon in den vorhergehenden Jahrhunderten unter der Herrschaft der alten Lehre häufig ange¬ regt und geübt worden, keinesweges aber, um aus sich selbst Wahrheit hervorzubringen, sondern nur, um zu zeigen, daß und auf welche Weise die Lehre der Kirche wahr sey. Dasselbe Geschäft in Beziehung auf ihre Lehre erhielt zunächst die Philosophie auch bei den deutschen Protestanten, und ward bei diesen Dienerin des Evangeliums, so wie sie bei den Scholastikern die der Kirche gewesen war. Im Auslande, das entweder kein Evangelium hatte, oder daß dasselbe nicht mit unvermischt deutscher Andacht und Tiefe
N
In einer andern Ruͤkſicht aber, und zwar nicht auf das Volk, ſondern auf die gebilde¬ ten Staͤnde, hat Deutſchland durch ſeine Kirchen-Verbeſſerung einen allgemeinen und dauernden Einfluß auf das Ausland gehabt; und durch dieſen Einfluß dieſes Ausland wieder zum Vorgaͤnger fuͤr ſich ſelbſt, und zu ſeinem eignen Anreger zu neuen Schoͤpfun¬ gen ſich zubereitet. Das freie und ſelbſtthaͤ¬ tige Denken, oder die Philoſophie, war ſchon in den vorhergehenden Jahrhunderten unter der Herrſchaft der alten Lehre haͤufig ange¬ regt und geuͤbt worden, keinesweges aber, um aus ſich ſelbſt Wahrheit hervorzubringen, ſondern nur, um zu zeigen, daß und auf welche Weiſe die Lehre der Kirche wahr ſey. Daſſelbe Geſchaͤft in Beziehung auf ihre Lehre erhielt zunaͤchſt die Philoſophie auch bei den deutſchen Proteſtanten, und ward bei dieſen Dienerin des Evangeliums, ſo wie ſie bei den Scholaſtikern die der Kirche geweſen war. Im Auslande, das entweder kein Evangelium hatte, oder daß daſſelbe nicht mit unvermiſcht deutſcher Andacht und Tiefe
N
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0199"n="193"/><p>In einer andern Ruͤkſicht aber, und zwar<lb/>
nicht auf das Volk, ſondern auf die gebilde¬<lb/>
ten Staͤnde, hat Deutſchland durch ſeine<lb/>
Kirchen-Verbeſſerung einen allgemeinen und<lb/>
dauernden Einfluß auf das Ausland gehabt;<lb/>
und durch dieſen Einfluß dieſes Ausland<lb/>
wieder zum Vorgaͤnger fuͤr ſich ſelbſt, und<lb/>
zu ſeinem eignen Anreger zu neuen Schoͤpfun¬<lb/>
gen ſich zubereitet. Das freie und ſelbſtthaͤ¬<lb/>
tige Denken, oder die Philoſophie, war ſchon<lb/>
in den vorhergehenden Jahrhunderten unter<lb/>
der Herrſchaft der alten Lehre haͤufig ange¬<lb/>
regt und geuͤbt worden, keinesweges aber,<lb/>
um aus ſich ſelbſt Wahrheit hervorzubringen,<lb/>ſondern nur, um zu zeigen, daß und auf<lb/>
welche Weiſe die Lehre der Kirche wahr ſey.<lb/>
Daſſelbe Geſchaͤft in Beziehung auf ihre<lb/>
Lehre erhielt zunaͤchſt die Philoſophie auch<lb/>
bei den deutſchen Proteſtanten, und ward bei<lb/>
dieſen Dienerin des Evangeliums, ſo wie ſie<lb/>
bei den Scholaſtikern die der Kirche geweſen<lb/>
war. Im Auslande, das entweder kein<lb/>
Evangelium hatte, oder daß daſſelbe nicht<lb/>
mit unvermiſcht deutſcher Andacht und Tiefe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[193/0199]
In einer andern Ruͤkſicht aber, und zwar
nicht auf das Volk, ſondern auf die gebilde¬
ten Staͤnde, hat Deutſchland durch ſeine
Kirchen-Verbeſſerung einen allgemeinen und
dauernden Einfluß auf das Ausland gehabt;
und durch dieſen Einfluß dieſes Ausland
wieder zum Vorgaͤnger fuͤr ſich ſelbſt, und
zu ſeinem eignen Anreger zu neuen Schoͤpfun¬
gen ſich zubereitet. Das freie und ſelbſtthaͤ¬
tige Denken, oder die Philoſophie, war ſchon
in den vorhergehenden Jahrhunderten unter
der Herrſchaft der alten Lehre haͤufig ange¬
regt und geuͤbt worden, keinesweges aber,
um aus ſich ſelbſt Wahrheit hervorzubringen,
ſondern nur, um zu zeigen, daß und auf
welche Weiſe die Lehre der Kirche wahr ſey.
Daſſelbe Geſchaͤft in Beziehung auf ihre
Lehre erhielt zunaͤchſt die Philoſophie auch
bei den deutſchen Proteſtanten, und ward bei
dieſen Dienerin des Evangeliums, ſo wie ſie
bei den Scholaſtikern die der Kirche geweſen
war. Im Auslande, das entweder kein
Evangelium hatte, oder daß daſſelbe nicht
mit unvermiſcht deutſcher Andacht und Tiefe
N
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/199>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.