Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

herabsinken mochte, so bleibt doch immer in
ihm ein Grundbestandtheil, in dem Wahrheit
ist, und der ein Leben, das nur wirkliches und
selbstständiges Leben ist, sicher anregt; die
Frage: was sollen wir thun, damit wir seelig
werden. War diese Frage auf einen erstorbe¬
nen Boden gefallen, wo es entweder überhaupt
an seinen Ort gestellt blieb, ob wohl so etwas,
wie Seeligkeit im Ernste möglich sey, oder,
wenn auch das erste angenommen worden
wäre, dennoch gar kein fester und entschiedener
Wille, selbst auch seelig zu werden, vorhanden
war, so hatte auf diesen, Boden die Religion
gleich anfangs nicht eingegriffen in Leben, und
Willen, sondern sie war nur als ein schwan¬
kender und blasser Schatten im Gedächtnisse,
und in der Einbildungskraft behangen geblie¬
ben; und so mußten natürlich auch alle fernere
Aufklärungen über den Zustand der vorhande¬
nen Religionsbegriffe gleichfalls ohne Einfluß
auf das Leben bleiben. War hingegen jene
Frage in einen ursprünglich lebendigen Boden
gefallen, so daß im Ernste geglaubt wurde, es
gebe eine Seeligkeit, und der feste Wille da

herabſinken mochte, ſo bleibt doch immer in
ihm ein Grundbeſtandtheil, in dem Wahrheit
iſt, und der ein Leben, das nur wirkliches und
ſelbſtſtaͤndiges Leben iſt, ſicher anregt; die
Frage: was ſollen wir thun, damit wir ſeelig
werden. War dieſe Frage auf einen erſtorbe¬
nen Boden gefallen, wo es entweder uͤberhaupt
an ſeinen Ort geſtellt blieb, ob wohl ſo etwas,
wie Seeligkeit im Ernſte moͤglich ſey, oder,
wenn auch das erſte angenommen worden
waͤre, dennoch gar kein feſter und entſchiedener
Wille, ſelbſt auch ſeelig zu werden, vorhanden
war, ſo hatte auf dieſen, Boden die Religion
gleich anfangs nicht eingegriffen in Leben, und
Willen, ſondern ſie war nur als ein ſchwan¬
kender und blaſſer Schatten im Gedaͤchtniſſe,
und in der Einbildungskraft behangen geblie¬
ben; und ſo mußten natuͤrlich auch alle fernere
Aufklaͤrungen uͤber den Zuſtand der vorhande¬
nen Religionsbegriffe gleichfalls ohne Einfluß
auf das Leben bleiben. War hingegen jene
Frage in einen urſpruͤnglich lebendigen Boden
gefallen, ſo daß im Ernſte geglaubt wurde, es
gebe eine Seeligkeit, und der feſte Wille da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="182"/>
herab&#x017F;inken mochte, &#x017F;o bleibt doch immer in<lb/>
ihm ein Grundbe&#x017F;tandtheil, in dem Wahrheit<lb/>
i&#x017F;t, und der ein Leben, das nur wirkliches und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndiges Leben i&#x017F;t, &#x017F;icher anregt; die<lb/>
Frage: was &#x017F;ollen wir thun, damit wir &#x017F;eelig<lb/>
werden. War die&#x017F;e Frage auf einen er&#x017F;torbe¬<lb/>
nen Boden gefallen, wo es entweder u&#x0364;berhaupt<lb/>
an &#x017F;einen Ort ge&#x017F;tellt blieb, ob wohl &#x017F;o etwas,<lb/>
wie Seeligkeit im Ern&#x017F;te mo&#x0364;glich &#x017F;ey, oder,<lb/>
wenn auch das er&#x017F;te angenommen worden<lb/>
wa&#x0364;re, dennoch gar kein fe&#x017F;ter und ent&#x017F;chiedener<lb/>
Wille, &#x017F;elb&#x017F;t auch &#x017F;eelig zu werden, vorhanden<lb/>
war, &#x017F;o hatte auf die&#x017F;en, Boden die Religion<lb/>
gleich anfangs nicht eingegriffen in Leben, und<lb/>
Willen, &#x017F;ondern &#x017F;ie war nur als ein &#x017F;chwan¬<lb/>
kender und bla&#x017F;&#x017F;er Schatten im Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und in der Einbildungskraft behangen geblie¬<lb/>
ben; und &#x017F;o mußten natu&#x0364;rlich auch alle fernere<lb/>
Aufkla&#x0364;rungen u&#x0364;ber den Zu&#x017F;tand der vorhande¬<lb/>
nen Religionsbegriffe gleichfalls ohne Einfluß<lb/>
auf das Leben bleiben. War hingegen jene<lb/>
Frage in einen ur&#x017F;pru&#x0364;nglich lebendigen Boden<lb/>
gefallen, &#x017F;o daß im Ern&#x017F;te geglaubt wurde, es<lb/>
gebe eine Seeligkeit, und der fe&#x017F;te Wille da<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0188] herabſinken mochte, ſo bleibt doch immer in ihm ein Grundbeſtandtheil, in dem Wahrheit iſt, und der ein Leben, das nur wirkliches und ſelbſtſtaͤndiges Leben iſt, ſicher anregt; die Frage: was ſollen wir thun, damit wir ſeelig werden. War dieſe Frage auf einen erſtorbe¬ nen Boden gefallen, wo es entweder uͤberhaupt an ſeinen Ort geſtellt blieb, ob wohl ſo etwas, wie Seeligkeit im Ernſte moͤglich ſey, oder, wenn auch das erſte angenommen worden waͤre, dennoch gar kein feſter und entſchiedener Wille, ſelbſt auch ſeelig zu werden, vorhanden war, ſo hatte auf dieſen, Boden die Religion gleich anfangs nicht eingegriffen in Leben, und Willen, ſondern ſie war nur als ein ſchwan¬ kender und blaſſer Schatten im Gedaͤchtniſſe, und in der Einbildungskraft behangen geblie¬ ben; und ſo mußten natuͤrlich auch alle fernere Aufklaͤrungen uͤber den Zuſtand der vorhande¬ nen Religionsbegriffe gleichfalls ohne Einfluß auf das Leben bleiben. War hingegen jene Frage in einen urſpruͤnglich lebendigen Boden gefallen, ſo daß im Ernſte geglaubt wurde, es gebe eine Seeligkeit, und der feſte Wille da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/188
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/188>, abgerufen am 22.11.2024.