Auch über den größern oder geringern Wohllaut einer Sprache, sollte, unsers Erachtens, nicht nach dem unmittelbaren Eindrucke, der von so vielen Zu¬ fälligkeiten abhängt, entschieden werden, sondern es müßte sich auch ein solches Urtheil auf feste Grundsätze zurückführen lassen. Das Verdienst einer Sprache in dieser Rücksicht würde ohne Zweifel darein zu setzen seyn, daß sie zuförderst das Vermögen des menschli¬ chen Sprachwerkzeugs erschöpfte, und umfassend dar¬ stellte, sodann, daß sie die einzelnen Laute desselben zu einer naturgemäßen, und schiklichen Verfließung in einander verbände. Es geht schon hieraus hervor, daß Nationen, die ihre Sprachwerkzeuge nur halb und einseitig ausbilden, und gewisse Laute, oder Zu¬ sammensetzungen, unter Vorwand der Schwierigkeit oder des Uebelklanges vermeiden, und denen leicht¬ lich nur das, was sie zu hören gewohnt sind, und her¬ vorbringen können, wohl klingen dürfte, bei einer solchen Untersuchung keine Stimme haben.
Wie nun, jene höheren Grundsätze vorausgesetzt, das Urtheil über die Deutsche Sprache in dieser Rük¬ sicht ausfallen werde, mag hier unentschieden bleiben. Die Römische Stammsprache selbst wird von jeder Neu-Europäischen Nation ausgesprochen nach dersel¬ ben eignen Mundart, und ihre wahre Aussprache dürfte sich nicht leicht wieder herstellen lassen. Es bliebe demnach nur die Frage übrig, ob denn, den Neulatei¬
Anmerkung zu S. 162.
Auch uͤber den groͤßern oder geringern Wohllaut einer Sprache, ſollte, unſers Erachtens, nicht nach dem unmittelbaren Eindrucke, der von ſo vielen Zu¬ faͤlligkeiten abhaͤngt, entſchieden werden, ſondern es muͤßte ſich auch ein ſolches Urtheil auf feſte Grundſaͤtze zuruͤckfuͤhren laſſen. Das Verdienſt einer Sprache in dieſer Ruͤckſicht wuͤrde ohne Zweifel darein zu ſetzen ſeyn, daß ſie zufoͤrderſt das Vermoͤgen des menſchli¬ chen Sprachwerkzeugs erſchoͤpfte, und umfaſſend dar¬ ſtellte, ſodann, daß ſie die einzelnen Laute deſſelben zu einer naturgemaͤßen, und ſchiklichen Verfließung in einander verbaͤnde. Es geht ſchon hieraus hervor, daß Nationen, die ihre Sprachwerkzeuge nur halb und einſeitig ausbilden, und gewiſſe Laute, oder Zu¬ ſammenſetzungen, unter Vorwand der Schwierigkeit oder des Uebelklanges vermeiden, und denen leicht¬ lich nur das, was ſie zu hoͤren gewohnt ſind, und her¬ vorbringen koͤnnen, wohl klingen duͤrfte, bei einer ſolchen Unterſuchung keine Stimme haben.
Wie nun, jene hoͤheren Grundſaͤtze vorausgeſetzt, das Urtheil uͤber die Deutſche Sprache in dieſer Ruͤk¬ ſicht ausfallen werde, mag hier unentſchieden bleiben. Die Roͤmiſche Stammſprache ſelbſt wird von jeder Neu-Europaͤiſchen Nation ausgeſprochen nach derſel¬ ben eignen Mundart, und ihre wahre Ausſprache duͤrfte ſich nicht leicht wieder herſtellen laſſen. Es bliebe demnach nur die Frage uͤbrig, ob denn, den Neulatei¬
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Anmerkung zu S. 162.
Auch uͤber den groͤßern oder geringern Wohllaut
einer Sprache, ſollte, unſers Erachtens, nicht nach
dem unmittelbaren Eindrucke, der von ſo vielen Zu¬
faͤlligkeiten abhaͤngt, entſchieden werden, ſondern es
muͤßte ſich auch ein ſolches Urtheil auf feſte Grundſaͤtze
zuruͤckfuͤhren laſſen. Das Verdienſt einer Sprache
in dieſer Ruͤckſicht wuͤrde ohne Zweifel darein zu ſetzen
ſeyn, daß ſie zufoͤrderſt das Vermoͤgen des menſchli¬
chen Sprachwerkzeugs erſchoͤpfte, und umfaſſend dar¬
ſtellte, ſodann, daß ſie die einzelnen Laute deſſelben
zu einer naturgemaͤßen, und ſchiklichen Verfließung in
einander verbaͤnde. Es geht ſchon hieraus hervor,
daß Nationen, die ihre Sprachwerkzeuge nur halb
und einſeitig ausbilden, und gewiſſe Laute, oder Zu¬
ſammenſetzungen, unter Vorwand der Schwierigkeit
oder des Uebelklanges vermeiden, und denen leicht¬
lich nur das, was ſie zu hoͤren gewohnt ſind, und her¬
vorbringen koͤnnen, wohl klingen duͤrfte, bei einer
ſolchen Unterſuchung keine Stimme haben.
Wie nun, jene hoͤheren Grundſaͤtze vorausgeſetzt,
das Urtheil uͤber die Deutſche Sprache in dieſer Ruͤk¬
ſicht ausfallen werde, mag hier unentſchieden bleiben.
Die Roͤmiſche Stammſprache ſelbſt wird von jeder
Neu-Europaͤiſchen Nation ausgeſprochen nach derſel¬
ben eignen Mundart, und ihre wahre Ausſprache duͤrfte
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/181>, abgerufen am 25.11.2024.
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