tigt, und unterhält, so kann er auch nicht glau¬ ben, daß es einem andern Wohl oder Wehe machen könne, und hält es zulezt für einerlei, woran jemand seinen Scharfsinn übe, und womit er seine müßigen Stunden ausfülle.
Unter den Mitteln, das Denken, das im einzelnen Leben begonnen, in das allgemeine Leben einzuführen, ist das vorzüglichste die Dichtung, und so ist denn diese der zweite Hauptzweig der geistigen Bildung eines Vol¬ kes. Schon unmittelbar der Denker, wie er seinen Gedanken in der Sprache bezeichnet, welches nach obigem nicht anders denn sinn¬ bildlich geschehen kann, und zwar über den bisherigen Umkreis der Sinnbildlichkeit hinaus neu erschaffend, ist Dichter; und falls er dies nicht ist, wird ihm schon beim ersten Gedanken die Sprache, und beim Versuche des zweiten das Denken selber ausgehen. Diese durch den Denker begonnene Erweiterung und Ergänzung des sinnbildlichen Kreises der Sprache durch dieses ganze Gebiet der Sinnbilder zu ver¬ flößen, also daß jedwedes an seiner Stelle den ihm gebührenden Antheil von der neuen geisti¬ gen Veredlung erhalte, und so das ganze Le¬
tigt, und unterhaͤlt, ſo kann er auch nicht glau¬ ben, daß es einem andern Wohl oder Wehe machen koͤnne, und haͤlt es zulezt fuͤr einerlei, woran jemand ſeinen Scharfſinn uͤbe, und womit er ſeine muͤßigen Stunden ausfuͤlle.
Unter den Mitteln, das Denken, das im einzelnen Leben begonnen, in das allgemeine Leben einzufuͤhren, iſt das vorzuͤglichſte die Dichtung, und ſo iſt denn dieſe der zweite Hauptzweig der geiſtigen Bildung eines Vol¬ kes. Schon unmittelbar der Denker, wie er ſeinen Gedanken in der Sprache bezeichnet, welches nach obigem nicht anders denn ſinn¬ bildlich geſchehen kann, und zwar uͤber den bisherigen Umkreis der Sinnbildlichkeit hinaus neu erſchaffend, iſt Dichter; und falls er dies nicht iſt, wird ihm ſchon beim erſten Gedanken die Sprache, und beim Verſuche des zweiten das Denken ſelber ausgehen. Dieſe durch den Denker begonnene Erweiterung und Ergaͤnzung des ſinnbildlichen Kreiſes der Sprache durch dieſes ganze Gebiet der Sinnbilder zu ver¬ floͤßen, alſo daß jedwedes an ſeiner Stelle den ihm gebuͤhrenden Antheil von der neuen geiſti¬ gen Veredlung erhalte, und ſo das ganze Le¬
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tigt, und unterhaͤlt, ſo kann er auch nicht glau¬
ben, daß es einem andern Wohl oder Wehe
machen koͤnne, und haͤlt es zulezt fuͤr einerlei,
woran jemand ſeinen Scharfſinn uͤbe, und
womit er ſeine muͤßigen Stunden ausfuͤlle.
Unter den Mitteln, das Denken, das im
einzelnen Leben begonnen, in das allgemeine
Leben einzufuͤhren, iſt das vorzuͤglichſte die
Dichtung, und ſo iſt denn dieſe der zweite
Hauptzweig der geiſtigen Bildung eines Vol¬
kes. Schon unmittelbar der Denker, wie er
ſeinen Gedanken in der Sprache bezeichnet,
welches nach obigem nicht anders denn ſinn¬
bildlich geſchehen kann, und zwar uͤber den
bisherigen Umkreis der Sinnbildlichkeit hinaus
neu erſchaffend, iſt Dichter; und falls er dies
nicht iſt, wird ihm ſchon beim erſten Gedanken
die Sprache, und beim Verſuche des zweiten
das Denken ſelber ausgehen. Dieſe durch den
Denker begonnene Erweiterung und Ergaͤnzung
des ſinnbildlichen Kreiſes der Sprache durch
dieſes ganze Gebiet der Sinnbilder zu ver¬
floͤßen, alſo daß jedwedes an ſeiner Stelle den
ihm gebuͤhrenden Antheil von der neuen geiſti¬
gen Veredlung erhalte, und ſo das ganze Le¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/162>, abgerufen am 22.11.2024.
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