immerfort behandelter Mensch wird es auch fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird ihm nothwendig Lebensantrieb werden.
2) Indem auf diese Weise statt des dun¬ keln Gefühls die klare Erkenntniß zu dem allerersten, und zu der wahren Grundlage, und Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird, wird die Selbstsucht ganz übergangen, und um ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das dunkle Gefühl giebt dem Menschen sein Selbst als ein Genußbedürftiges, und Schmerz¬ scheuendes; keinesweges aber giebt es ihm also der klare Begriff, sondern dieser zeigt es als Glied einer sittlichen Ordnung, und es giebt eine Liebe dieser Ordnung, welche bei der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬ gezündet und entwickelt wird. Mit der Selbst¬ sucht bekommt diese Erziehung gar nichts zu thun, weil sie die Wurzel derselben, das dunkle Gefühl, durch Klarheit erstickt; sie bestreitet sie nicht, eben so wenig als sie dieselbe entwik¬ kelt, sie weiß gar nicht von ihr. Wäre es mög¬ lich, daß diese Sucht später dennoch sich regen sollte, so würde sie das Herz schon angefüllt
G
immerfort behandelter Menſch wird es auch fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird ihm nothwendig Lebensantrieb werden.
2) Indem auf dieſe Weiſe ſtatt des dun¬ keln Gefuͤhls die klare Erkenntniß zu dem allererſten, und zu der wahren Grundlage, und Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird, wird die Selbſtſucht ganz uͤbergangen, und um ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das dunkle Gefuͤhl giebt dem Menſchen ſein Selbſt als ein Genußbeduͤrftiges, und Schmerz¬ ſcheuendes; keinesweges aber giebt es ihm alſo der klare Begriff, ſondern dieſer zeigt es als Glied einer ſittlichen Ordnung, und es giebt eine Liebe dieſer Ordnung, welche bei der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬ gezuͤndet und entwickelt wird. Mit der Selbſt¬ ſucht bekommt dieſe Erziehung gar nichts zu thun, weil ſie die Wurzel derſelben, das dunkle Gefuͤhl, durch Klarheit erſtickt; ſie beſtreitet ſie nicht, eben ſo wenig als ſie dieſelbe entwik¬ kelt, ſie weiß gar nicht von ihr. Waͤre es moͤg¬ lich, daß dieſe Sucht ſpaͤter dennoch ſich regen ſollte, ſo wuͤrde ſie das Herz ſchon angefuͤllt
G
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0103"n="97"/>
immerfort behandelter Menſch wird es auch<lb/>
fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird<lb/>
ihm nothwendig Lebensantrieb werden.</p><lb/><p>2) Indem auf dieſe Weiſe ſtatt des dun¬<lb/>
keln Gefuͤhls die klare Erkenntniß zu dem<lb/>
allererſten, und zu der wahren Grundlage, und<lb/>
Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird,<lb/>
wird die Selbſtſucht ganz uͤbergangen, und um<lb/>
ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das<lb/>
dunkle Gefuͤhl giebt dem Menſchen ſein Selbſt<lb/>
als ein Genußbeduͤrftiges, und Schmerz¬<lb/>ſcheuendes; keinesweges aber giebt es ihm<lb/>
alſo der klare Begriff, ſondern dieſer zeigt es<lb/>
als Glied einer ſittlichen Ordnung, und es<lb/>
giebt eine Liebe dieſer Ordnung, welche bei<lb/>
der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬<lb/>
gezuͤndet und entwickelt wird. Mit der Selbſt¬<lb/>ſucht bekommt dieſe Erziehung gar nichts zu<lb/>
thun, weil ſie die Wurzel derſelben, das dunkle<lb/>
Gefuͤhl, durch Klarheit erſtickt; ſie beſtreitet<lb/>ſie nicht, eben ſo wenig als ſie dieſelbe entwik¬<lb/>
kelt, ſie weiß gar nicht von ihr. Waͤre es moͤg¬<lb/>
lich, daß dieſe Sucht ſpaͤter dennoch ſich regen<lb/>ſollte, ſo wuͤrde ſie das Herz ſchon angefuͤllt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[97/0103]
immerfort behandelter Menſch wird es auch
fernerhin bleiben, und jede Erkenntniß wird
ihm nothwendig Lebensantrieb werden.
2) Indem auf dieſe Weiſe ſtatt des dun¬
keln Gefuͤhls die klare Erkenntniß zu dem
allererſten, und zu der wahren Grundlage, und
Ausgangspunkte des Lebens gemacht wird,
wird die Selbſtſucht ganz uͤbergangen, und um
ihre Entwiklung betrogen. Denn nur das
dunkle Gefuͤhl giebt dem Menſchen ſein Selbſt
als ein Genußbeduͤrftiges, und Schmerz¬
ſcheuendes; keinesweges aber giebt es ihm
alſo der klare Begriff, ſondern dieſer zeigt es
als Glied einer ſittlichen Ordnung, und es
giebt eine Liebe dieſer Ordnung, welche bei
der Entwiklung des Begriffs zugleich mit an¬
gezuͤndet und entwickelt wird. Mit der Selbſt¬
ſucht bekommt dieſe Erziehung gar nichts zu
thun, weil ſie die Wurzel derſelben, das dunkle
Gefuͤhl, durch Klarheit erſtickt; ſie beſtreitet
ſie nicht, eben ſo wenig als ſie dieſelbe entwik¬
kelt, ſie weiß gar nicht von ihr. Waͤre es moͤg¬
lich, daß dieſe Sucht ſpaͤter dennoch ſich regen
ſollte, ſo wuͤrde ſie das Herz ſchon angefuͤllt
G
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/103>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.