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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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lich als ihre Brüder in Christo anerkennen würden, setzten an
die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli-
giöse Liebe
und Einheit; sie verwarfen das wirkliche Fami-
lienleben, die innigen Bande der natursittlichen Liebe als
ungöttliche, unhimmlische, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge.
Aber dafür hatten sie zum Ersatz in Gott einen Vater und
Sohn, die sich mit innigster Liebe umfingen, mit jener inten-
siven Liebe, welche nur die Naturverwandtschaft einflößt.

Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die
göttliche Familie, den Liebesbund zwischen Vater und Sohn
zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Person in
den Himmel aufgenommen wurde; denn die Persönlichkeit des
heiligen Geistes ist eine zu vage und precäre, eine zu sichtliche
blos poetische Personification der gegenseitigen Liebe des Va-
ters und Sohns, als daß sie dieses dritte ergänzende Wesen
hätte sein können. Die Maria wurde zwar nicht so zwischen
den Vater und Sohn hingestellt, als hätte der Vater den Sohn
vermittelst derselben erzeugt, weil die Vermischung des Man-
nes und Weibes den Christen etwas Unheiliges, Sündhaftes
war; aber es ist genug, daß das mütterliche Princip neben
Vater und Sohn hingestellt wurde.

Es ist in der That auch nicht abzusehen, warum die
Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges sein soll,
wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn ist. Wenn gleich der
Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die
Zeugung Gottes vielmehr eine andere sein soll, als die natür-
liche, menschliche und daher aus sehr begreiflichen Gründen
eine unbegreifliche, übernatürliche, mysteriöse Zeugung ist; so
ist er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher
Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt so befremd-

lich als ihre Brüder in Chriſto anerkennen würden, ſetzten an
die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli-
giöſe Liebe
und Einheit; ſie verwarfen das wirkliche Fami-
lienleben, die innigen Bande der naturſittlichen Liebe als
ungöttliche, unhimmliſche, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge.
Aber dafür hatten ſie zum Erſatz in Gott einen Vater und
Sohn, die ſich mit innigſter Liebe umfingen, mit jener inten-
ſiven Liebe, welche nur die Naturverwandtſchaft einflößt.

Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die
göttliche Familie, den Liebesbund zwiſchen Vater und Sohn
zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Perſon in
den Himmel aufgenommen wurde; denn die Perſönlichkeit des
heiligen Geiſtes iſt eine zu vage und precäre, eine zu ſichtliche
blos poetiſche Perſonification der gegenſeitigen Liebe des Va-
ters und Sohns, als daß ſie dieſes dritte ergänzende Weſen
hätte ſein können. Die Maria wurde zwar nicht ſo zwiſchen
den Vater und Sohn hingeſtellt, als hätte der Vater den Sohn
vermittelſt derſelben erzeugt, weil die Vermiſchung des Man-
nes und Weibes den Chriſten etwas Unheiliges, Sündhaftes
war; aber es iſt genug, daß das mütterliche Princip neben
Vater und Sohn hingeſtellt wurde.

Es iſt in der That auch nicht abzuſehen, warum die
Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges ſein ſoll,
wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn iſt. Wenn gleich der
Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die
Zeugung Gottes vielmehr eine andere ſein ſoll, als die natür-
liche, menſchliche und daher aus ſehr begreiflichen Gründen
eine unbegreifliche, übernatürliche, myſteriöſe Zeugung iſt; ſo
iſt er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher
Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt ſo befremd-

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[80/0098] lich als ihre Brüder in Chriſto anerkennen würden, ſetzten an die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli- giöſe Liebe und Einheit; ſie verwarfen das wirkliche Fami- lienleben, die innigen Bande der naturſittlichen Liebe als ungöttliche, unhimmliſche, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge. Aber dafür hatten ſie zum Erſatz in Gott einen Vater und Sohn, die ſich mit innigſter Liebe umfingen, mit jener inten- ſiven Liebe, welche nur die Naturverwandtſchaft einflößt. Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die göttliche Familie, den Liebesbund zwiſchen Vater und Sohn zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Perſon in den Himmel aufgenommen wurde; denn die Perſönlichkeit des heiligen Geiſtes iſt eine zu vage und precäre, eine zu ſichtliche blos poetiſche Perſonification der gegenſeitigen Liebe des Va- ters und Sohns, als daß ſie dieſes dritte ergänzende Weſen hätte ſein können. Die Maria wurde zwar nicht ſo zwiſchen den Vater und Sohn hingeſtellt, als hätte der Vater den Sohn vermittelſt derſelben erzeugt, weil die Vermiſchung des Man- nes und Weibes den Chriſten etwas Unheiliges, Sündhaftes war; aber es iſt genug, daß das mütterliche Princip neben Vater und Sohn hingeſtellt wurde. Es iſt in der That auch nicht abzuſehen, warum die Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges ſein ſoll, wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn iſt. Wenn gleich der Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die Zeugung Gottes vielmehr eine andere ſein ſoll, als die natür- liche, menſchliche und daher aus ſehr begreiflichen Gründen eine unbegreifliche, übernatürliche, myſteriöſe Zeugung iſt; ſo iſt er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt ſo befremd-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/98>, abgerufen am 02.05.2024.