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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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unterschieden vom Vater der Persönlichkeit nach, aber dem
Wesen nach mit ihm identisch -- sein Alter Ego.

Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich
befriedigtes, göttliches Leben, Gott ist ein zoon po-
litikon
-- dieser einfache Gedanke, diese natürliche Wahr-
heit ist das Geheimniß des übernatürlichen Mysteriums der
Trinität. Aber die Religion spricht auch diese, wie jede andere
Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem sie eine all-
gemeine Wahrheit zu einer besondern und das wahre Subject
nur zum Prädicat macht, indem sie sagt: Gott ist ein gemein-
schaftliches Leben, ein Leben und Wesen der Liebe und
Freundschaft
. Die dritte Person in der Trinität drückt ja
nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Personen
zu einander, ist die Einheit des Vaters und Sohns, der Be-
griff der Gemeinschaft, widersinnig genug selbst wieder als ein
persönliches, besondres Wesen gesetzt *).

Das Mysterium der Trinität war eben deßwegen für den
religiösen Menschen ein Gegenstand der überschwänglichsten

*) Der heil. Geist verdankt seine persönliche Existenz nur einem Na-
men, einem Worte. Selbst die ältesten Kirchenväter identificirten bekannt-
lich noch den Geist mit dem Sohne. Auch seiner spätern dogmatischen
Persönlichkeit fehlt die Consistenz. Er ist die Liebe, mit der Gott sich und
die Menschen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Mensch Gott und
den Menschen liebt. Also die Identität Gottes und des Menschen, wie sie
innerhalb der Religion dem religiösen Menschen, d. i. als ein selbst beson-
deres Wesen, Gegenstand wird. Aber für uns liegt diese Einheit schon im
Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geist nicht zu
einem besondern Gegenstande unserer Untersuchung zu machen. Nur diese
Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geist die subjective Seite repräsen-
tirt, so ist er eigentlich die Repräsentation des religiösen Gemüths vor sich
selbst
, der religiösen Begeisterung, des religiösen Affects,
oder die Personification, die Bejahung, die Vergegenständlichung der Reli-
gion in der Religion. Der heil. Geist ist daher die seufzende Creatur, die
Sehnsucht der Creatur.

unterſchieden vom Vater der Perſönlichkeit nach, aber dem
Weſen nach mit ihm identiſch — ſein Alter Ego.

Gemeinſchaftliches Leben nur iſt wahres, in ſich
befriedigtes, göttliches Leben, Gott iſt ein ζῶον πο-
λιτικὸν
— dieſer einfache Gedanke, dieſe natürliche Wahr-
heit iſt das Geheimniß des übernatürlichen Myſteriums der
Trinität. Aber die Religion ſpricht auch dieſe, wie jede andere
Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem ſie eine all-
gemeine Wahrheit zu einer beſondern und das wahre Subject
nur zum Prädicat macht, indem ſie ſagt: Gott iſt ein gemein-
ſchaftliches Leben, ein Leben und Weſen der Liebe und
Freundſchaft
. Die dritte Perſon in der Trinität drückt ja
nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Perſonen
zu einander, iſt die Einheit des Vaters und Sohns, der Be-
griff der Gemeinſchaft, widerſinnig genug ſelbſt wieder als ein
perſönliches, beſondres Weſen geſetzt *).

Das Myſterium der Trinität war eben deßwegen für den
religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der überſchwänglichſten

*) Der heil. Geiſt verdankt ſeine perſönliche Exiſtenz nur einem Na-
men, einem Worte. Selbſt die älteſten Kirchenväter identificirten bekannt-
lich noch den Geiſt mit dem Sohne. Auch ſeiner ſpätern dogmatiſchen
Perſönlichkeit fehlt die Conſiſtenz. Er iſt die Liebe, mit der Gott ſich und
die Menſchen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Menſch Gott und
den Menſchen liebt. Alſo die Identität Gottes und des Menſchen, wie ſie
innerhalb der Religion dem religiöſen Menſchen, d. i. als ein ſelbſt beſon-
deres Weſen, Gegenſtand wird. Aber für uns liegt dieſe Einheit ſchon im
Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geiſt nicht zu
einem beſondern Gegenſtande unſerer Unterſuchung zu machen. Nur dieſe
Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geiſt die ſubjective Seite repräſen-
tirt, ſo iſt er eigentlich die Repräſentation des religiöſen Gemüths vor ſich
ſelbſt
, der religiöſen Begeiſterung, des religiöſen Affects,
oder die Perſonification, die Bejahung, die Vergegenſtändlichung der Reli-
gion in der Religion. Der heil. Geiſt iſt daher die ſeufzende Creatur, die
Sehnſucht der Creatur.
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[76/0094] unterſchieden vom Vater der Perſönlichkeit nach, aber dem Weſen nach mit ihm identiſch — ſein Alter Ego. Gemeinſchaftliches Leben nur iſt wahres, in ſich befriedigtes, göttliches Leben, Gott iſt ein ζῶον πο- λιτικὸν — dieſer einfache Gedanke, dieſe natürliche Wahr- heit iſt das Geheimniß des übernatürlichen Myſteriums der Trinität. Aber die Religion ſpricht auch dieſe, wie jede andere Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem ſie eine all- gemeine Wahrheit zu einer beſondern und das wahre Subject nur zum Prädicat macht, indem ſie ſagt: Gott iſt ein gemein- ſchaftliches Leben, ein Leben und Weſen der Liebe und Freundſchaft. Die dritte Perſon in der Trinität drückt ja nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Perſonen zu einander, iſt die Einheit des Vaters und Sohns, der Be- griff der Gemeinſchaft, widerſinnig genug ſelbſt wieder als ein perſönliches, beſondres Weſen geſetzt *). Das Myſterium der Trinität war eben deßwegen für den religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der überſchwänglichſten *) Der heil. Geiſt verdankt ſeine perſönliche Exiſtenz nur einem Na- men, einem Worte. Selbſt die älteſten Kirchenväter identificirten bekannt- lich noch den Geiſt mit dem Sohne. Auch ſeiner ſpätern dogmatiſchen Perſönlichkeit fehlt die Conſiſtenz. Er iſt die Liebe, mit der Gott ſich und die Menſchen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Menſch Gott und den Menſchen liebt. Alſo die Identität Gottes und des Menſchen, wie ſie innerhalb der Religion dem religiöſen Menſchen, d. i. als ein ſelbſt beſon- deres Weſen, Gegenſtand wird. Aber für uns liegt dieſe Einheit ſchon im Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geiſt nicht zu einem beſondern Gegenſtande unſerer Unterſuchung zu machen. Nur dieſe Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geiſt die ſubjective Seite repräſen- tirt, ſo iſt er eigentlich die Repräſentation des religiöſen Gemüths vor ſich ſelbſt, der religiöſen Begeiſterung, des religiöſen Affects, oder die Perſonification, die Bejahung, die Vergegenſtändlichung der Reli- gion in der Religion. Der heil. Geiſt iſt daher die ſeufzende Creatur, die Sehnſucht der Creatur.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/94>, abgerufen am 02.05.2024.