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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Er ist sich selbst ein abstractes Du; er hat eben deßwegen ein
Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verschmäht der reli-
giöse Mensch auch die natürliche Freundschaft und Liebe; so
ist ihm doch wenigstens religiöse Gemeinschaft ein Bedürfniß.
Gott als Gott, als einfaches Wesen, ist allein, ein einsa-
mer
Gott. Gott als Gott ist selbst nichts andres als die ab-
solute, hypostasirte Einsamkeit und Selbstständigkeit
,
denn einsam kann nur sein, was selbstständig ist. Einsam sein
können, ist ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Ein-
samkeit
ist das Bedürfniß des Denkens, Gesellschaft
das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein,
lieben
nur selbander. Einsamkeit ist Autarkie -- bedürf-
nißlos sind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des
Denkens.

Gott als Gott ist nichts andres als das Bewußtsein der
Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abstrahiren
und für sich allein mit sich sein
zu können, wie sie inner-
halb
der Religion, d. h. als ein vom Menschen unterschied-
nes, apartes Wesen
den Menschen Gegenstand wird. Aber
von einem einsamen Gott ist das dem Menschen wesentliche
Bedürfniß der Liebe, der Gemeinschaft, des realen, erfüll-
ten Selbstbewußtseins
, des Alter Ego im engsten und
weitesten Sinne ausgeschlossen *). Dieses Bedürfniß daher
befriedigt; aufgenommen in die stille Einsamkeit des göttlichen
Wesens, ist Gott der Sohn -- ein anderes, zweites Wesen,

*) Gott ohne Sohn ist Ich, Gott mit Sohn ist Du. Ich ist Ver-
stand, Du
ist Liebe. Liebe aber mit Verstand und Verstand
mit Liebe
ist Geist; Geist aber die Totalität des Menschen als sol-
chen, der totale Mensch.

Er iſt ſich ſelbſt ein abſtractes Du; er hat eben deßwegen ein
Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verſchmäht der reli-
giöſe Menſch auch die natürliche Freundſchaft und Liebe; ſo
iſt ihm doch wenigſtens religiöſe Gemeinſchaft ein Bedürfniß.
Gott als Gott, als einfaches Weſen, iſt allein, ein einſa-
mer
Gott. Gott als Gott iſt ſelbſt nichts andres als die ab-
ſolute, hypoſtaſirte Einſamkeit und Selbſtſtändigkeit
,
denn einſam kann nur ſein, was ſelbſtſtändig iſt. Einſam ſein
können, iſt ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Ein-
ſamkeit
iſt das Bedürfniß des Denkens, Geſellſchaft
das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein,
lieben
nur ſelbander. Einſamkeit iſt Autarkie — bedürf-
nißlos ſind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des
Denkens.

Gott als Gott iſt nichts andres als das Bewußtſein der
Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abſtrahiren
und für ſich allein mit ſich ſein
zu können, wie ſie inner-
halb
der Religion, d. h. als ein vom Menſchen unterſchied-
nes, apartes Weſen
den Menſchen Gegenſtand wird. Aber
von einem einſamen Gott iſt das dem Menſchen weſentliche
Bedürfniß der Liebe, der Gemeinſchaft, des realen, erfüll-
ten Selbſtbewußtſeins
, des Alter Ego im engſten und
weiteſten Sinne ausgeſchloſſen *). Dieſes Bedürfniß daher
befriedigt; aufgenommen in die ſtille Einſamkeit des göttlichen
Weſens, iſt Gott der Sohn — ein anderes, zweites Weſen,

*) Gott ohne Sohn iſt Ich, Gott mit Sohn iſt Du. Ich iſt Ver-
ſtand, Du
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mit Liebe
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[75/0093] Er iſt ſich ſelbſt ein abſtractes Du; er hat eben deßwegen ein Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verſchmäht der reli- giöſe Menſch auch die natürliche Freundſchaft und Liebe; ſo iſt ihm doch wenigſtens religiöſe Gemeinſchaft ein Bedürfniß. Gott als Gott, als einfaches Weſen, iſt allein, ein einſa- mer Gott. Gott als Gott iſt ſelbſt nichts andres als die ab- ſolute, hypoſtaſirte Einſamkeit und Selbſtſtändigkeit, denn einſam kann nur ſein, was ſelbſtſtändig iſt. Einſam ſein können, iſt ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Ein- ſamkeit iſt das Bedürfniß des Denkens, Geſellſchaft das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein, lieben nur ſelbander. Einſamkeit iſt Autarkie — bedürf- nißlos ſind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des Denkens. Gott als Gott iſt nichts andres als das Bewußtſein der Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abſtrahiren und für ſich allein mit ſich ſein zu können, wie ſie inner- halb der Religion, d. h. als ein vom Menſchen unterſchied- nes, apartes Weſen den Menſchen Gegenſtand wird. Aber von einem einſamen Gott iſt das dem Menſchen weſentliche Bedürfniß der Liebe, der Gemeinſchaft, des realen, erfüll- ten Selbſtbewußtſeins, des Alter Ego im engſten und weiteſten Sinne ausgeſchloſſen *). Dieſes Bedürfniß daher befriedigt; aufgenommen in die ſtille Einſamkeit des göttlichen Weſens, iſt Gott der Sohn — ein anderes, zweites Weſen, *) Gott ohne Sohn iſt Ich, Gott mit Sohn iſt Du. Ich iſt Ver- ſtand, Du iſt Liebe. Liebe aber mit Verſtand und Verſtand mit Liebe iſt Geiſt; Geiſt aber die Totalität des Menſchen als ſol- chen, der totale Menſch.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/93>, abgerufen am 02.05.2024.