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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Bewußtseins ist, nur eine negative sein. Um Gott zu be-
reichern, muß der Mensch arm werden; damit Gott Alles sei,
der Mensch nichts sein. Aber er braucht auch nichts für sich
selbst
zu sein, weil Alles, was er sich nimmt, in Gott nicht
verloren geht, sondern in ihm erhalten wird. Der Mensch
hat sein Wesen in Gott, wie sollte er es also in sich und
für sich haben? Warum wäre es nothwendig, dasselbe zwei-
mal zu setzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott
in der Wahrheit dem Menschen ist, desto unähnlicher wird der
Mensch Gott gemacht oder erscheint er sich selbst. Allein diese
Selbstverneinung ist nur Selbstbejahung. Was der Mensch
sich entzieht, was er an sich selbst entbehrt, genießt er nur in
um so unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott.

Die Mönche gelobten die Keuschheit dem göttlichen We-
sen, sie negirten die Geschlechterliebe an sich, aber dafür hatten
sie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild
des Weibes -- ein Bild der Liebe. Sie konnten um so mehr
des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor-
gestelltes Weib ein Gegenstand wirklicher Liebe war. Je größere
Bedeutung sie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere
Bedeutung hatte für sie die himmlische Jungfrau: sie trat ih-
nen selbst an die Stelle Christi, an die Stelle Gottes. Je
mehr das Sinnliche negirt wird, desto sinnlicher ist
der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird
. Aber diese
himmlische Jungfrau ist nur eine sinnfällige Erscheinung einer
allgemeinen, das Wesen der Religion betreffenden Wahrheit.
Der Mensch negirt nur von sich, was er in Gott setzt.
So negirt der Mensch in der Religion seine Vernunft: er weiß
nichts aus sich von Gott, seine Gedanken sind nur weltlich,
irdisch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart.

Bewußtſeins iſt, nur eine negative ſein. Um Gott zu be-
reichern, muß der Menſch arm werden; damit Gott Alles ſei,
der Menſch nichts ſein. Aber er braucht auch nichts für ſich
ſelbſt
zu ſein, weil Alles, was er ſich nimmt, in Gott nicht
verloren geht, ſondern in ihm erhalten wird. Der Menſch
hat ſein Weſen in Gott, wie ſollte er es alſo in ſich und
für ſich haben? Warum wäre es nothwendig, daſſelbe zwei-
mal zu ſetzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott
in der Wahrheit dem Menſchen iſt, deſto unähnlicher wird der
Menſch Gott gemacht oder erſcheint er ſich ſelbſt. Allein dieſe
Selbſtverneinung iſt nur Selbſtbejahung. Was der Menſch
ſich entzieht, was er an ſich ſelbſt entbehrt, genießt er nur in
um ſo unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott.

Die Mönche gelobten die Keuſchheit dem göttlichen We-
ſen, ſie negirten die Geſchlechterliebe an ſich, aber dafür hatten
ſie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild
des Weibes — ein Bild der Liebe. Sie konnten um ſo mehr
des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor-
geſtelltes Weib ein Gegenſtand wirklicher Liebe war. Je größere
Bedeutung ſie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere
Bedeutung hatte für ſie die himmliſche Jungfrau: ſie trat ih-
nen ſelbſt an die Stelle Chriſti, an die Stelle Gottes. Je
mehr das Sinnliche negirt wird, deſto ſinnlicher iſt
der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird
. Aber dieſe
himmliſche Jungfrau iſt nur eine ſinnfällige Erſcheinung einer
allgemeinen, das Weſen der Religion betreffenden Wahrheit.
Der Menſch negirt nur von ſich, was er in Gott ſetzt.
So negirt der Menſch in der Religion ſeine Vernunft: er weiß
nichts aus ſich von Gott, ſeine Gedanken ſind nur weltlich,
irdiſch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart.

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[30/0048] Bewußtſeins iſt, nur eine negative ſein. Um Gott zu be- reichern, muß der Menſch arm werden; damit Gott Alles ſei, der Menſch nichts ſein. Aber er braucht auch nichts für ſich ſelbſt zu ſein, weil Alles, was er ſich nimmt, in Gott nicht verloren geht, ſondern in ihm erhalten wird. Der Menſch hat ſein Weſen in Gott, wie ſollte er es alſo in ſich und für ſich haben? Warum wäre es nothwendig, daſſelbe zwei- mal zu ſetzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott in der Wahrheit dem Menſchen iſt, deſto unähnlicher wird der Menſch Gott gemacht oder erſcheint er ſich ſelbſt. Allein dieſe Selbſtverneinung iſt nur Selbſtbejahung. Was der Menſch ſich entzieht, was er an ſich ſelbſt entbehrt, genießt er nur in um ſo unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott. Die Mönche gelobten die Keuſchheit dem göttlichen We- ſen, ſie negirten die Geſchlechterliebe an ſich, aber dafür hatten ſie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild des Weibes — ein Bild der Liebe. Sie konnten um ſo mehr des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor- geſtelltes Weib ein Gegenſtand wirklicher Liebe war. Je größere Bedeutung ſie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere Bedeutung hatte für ſie die himmliſche Jungfrau: ſie trat ih- nen ſelbſt an die Stelle Chriſti, an die Stelle Gottes. Je mehr das Sinnliche negirt wird, deſto ſinnlicher iſt der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird. Aber dieſe himmliſche Jungfrau iſt nur eine ſinnfällige Erſcheinung einer allgemeinen, das Weſen der Religion betreffenden Wahrheit. Der Menſch negirt nur von ſich, was er in Gott ſetzt. So negirt der Menſch in der Religion ſeine Vernunft: er weiß nichts aus ſich von Gott, ſeine Gedanken ſind nur weltlich, irdiſch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/48>, abgerufen am 29.03.2024.