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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Liebe Gottes reden, ist ein Traum und ist unmöglich Gott zu
lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen
und ergreifen. Denn alsdann erst wird Gott objectum ama-
bile,
ein lieblich, selig Anblick." Es wird also hier zum ei-
gentlichen Object des Glaubens die Barmherzigkeit, die Liebe
gemacht. Allerdings unterscheidet sich zunächst der Glaube auch
nur dadurch von der Liebe, daß er außer sich setzt, was die
Liebe in sich setzt. Allerdings ist der Glaube im protestantischen
Sinne der Glaube an die Vergebung der Sünde, der Glaube
an die Gnade, der Glaube an Christus, als den für den
Menschen sterbenden und leidenden Gott, so daß der Mensch,
um die ewige Seligkeit zu erlangen, nichts weiter seinerseits
zu thun hat, als diese Hingebung Gottes für ihn selbst wieder
hingebend, d. i. gläubig, zuversichtlich anzunehmen. Aber Gott
ist nicht allein als Liebe Gegenstand des Glaubens. Im Ge-
gentheil der charakteristische Gegenstand des Glaubens als
Glaubens ist Gott als Subject. Oder ist etwa ein Gott, der
dem Menschen kein Verdienst gönnt, der Alles nur sich aus-
schließlich vindicirt, eifersüchtig über seiner Ehre wacht, ist ein
solcher selbstsüchtiger Gott ein Gott der Liebe?

Die aus dem Glauben hervorgehende Moral hat
zu ihrem Princip und Kriterium nur den Widerspruch
mit der Natur, mit dem Menschen
. Wie der höchste Ge-
genstand des Glaubens der ist, welcher der Vernunft am
meisten widerspricht, die Eucharistie, so ist nothwendig die höchste
Tugend der dem Glauben getreuen und gehorsamen Moral
die, welche am meisten der Natur widerspricht. Die dog-
matischen
Wunder haben consequent moralische Wunder in
ihrem Gefolge. Die übernatürliche Moral ist die natürliche
Schwester des übernatürlichen Glaubens. Wie der Glaube
die Natur außer dem Menschen, so überwindet die Glaubens-
moral die Natur im Menschen. Diesen praktischen Superna-
turalismus, dessen epigrammatische Spitze die "Jungferschaft,
die Schwester der Engel, die Königin der Tugenden, die
Mutter alles Guten" ist (s. A. v. Buchers: Geistliches Such-

Liebe Gottes reden, iſt ein Traum und iſt unmöglich Gott zu
lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen
und ergreifen. Denn alsdann erſt wird Gott objectum ama-
bile,
ein lieblich, ſelig Anblick.“ Es wird alſo hier zum ei-
gentlichen Object des Glaubens die Barmherzigkeit, die Liebe
gemacht. Allerdings unterſcheidet ſich zunächſt der Glaube auch
nur dadurch von der Liebe, daß er außer ſich ſetzt, was die
Liebe in ſich ſetzt. Allerdings iſt der Glaube im proteſtantiſchen
Sinne der Glaube an die Vergebung der Sünde, der Glaube
an die Gnade, der Glaube an Chriſtus, als den für den
Menſchen ſterbenden und leidenden Gott, ſo daß der Menſch,
um die ewige Seligkeit zu erlangen, nichts weiter ſeinerſeits
zu thun hat, als dieſe Hingebung Gottes für ihn ſelbſt wieder
hingebend, d. i. gläubig, zuverſichtlich anzunehmen. Aber Gott
iſt nicht allein als Liebe Gegenſtand des Glaubens. Im Ge-
gentheil der charakteriſtiſche Gegenſtand des Glaubens als
Glaubens iſt Gott als Subject. Oder iſt etwa ein Gott, der
dem Menſchen kein Verdienſt gönnt, der Alles nur ſich aus-
ſchließlich vindicirt, eiferſüchtig über ſeiner Ehre wacht, iſt ein
ſolcher ſelbſtſüchtiger Gott ein Gott der Liebe?

Die aus dem Glauben hervorgehende Moral hat
zu ihrem Princip und Kriterium nur den Widerſpruch
mit der Natur, mit dem Menſchen
. Wie der höchſte Ge-
genſtand des Glaubens der iſt, welcher der Vernunft am
meiſten widerſpricht, die Euchariſtie, ſo iſt nothwendig die höchſte
Tugend der dem Glauben getreuen und gehorſamen Moral
die, welche am meiſten der Natur widerſpricht. Die dog-
matiſchen
Wunder haben conſequent moraliſche Wunder in
ihrem Gefolge. Die übernatürliche Moral iſt die natürliche
Schweſter des übernatürlichen Glaubens. Wie der Glaube
die Natur außer dem Menſchen, ſo überwindet die Glaubens-
moral die Natur im Menſchen. Dieſen praktiſchen Superna-
turalismus, deſſen epigrammatiſche Spitze die „Jungferſchaft,
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[446/0464] Liebe Gottes reden, iſt ein Traum und iſt unmöglich Gott zu lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen und ergreifen. Denn alsdann erſt wird Gott objectum ama- bile, ein lieblich, ſelig Anblick.“ Es wird alſo hier zum ei- gentlichen Object des Glaubens die Barmherzigkeit, die Liebe gemacht. Allerdings unterſcheidet ſich zunächſt der Glaube auch nur dadurch von der Liebe, daß er außer ſich ſetzt, was die Liebe in ſich ſetzt. Allerdings iſt der Glaube im proteſtantiſchen Sinne der Glaube an die Vergebung der Sünde, der Glaube an die Gnade, der Glaube an Chriſtus, als den für den Menſchen ſterbenden und leidenden Gott, ſo daß der Menſch, um die ewige Seligkeit zu erlangen, nichts weiter ſeinerſeits zu thun hat, als dieſe Hingebung Gottes für ihn ſelbſt wieder hingebend, d. i. gläubig, zuverſichtlich anzunehmen. Aber Gott iſt nicht allein als Liebe Gegenſtand des Glaubens. Im Ge- gentheil der charakteriſtiſche Gegenſtand des Glaubens als Glaubens iſt Gott als Subject. Oder iſt etwa ein Gott, der dem Menſchen kein Verdienſt gönnt, der Alles nur ſich aus- ſchließlich vindicirt, eiferſüchtig über ſeiner Ehre wacht, iſt ein ſolcher ſelbſtſüchtiger Gott ein Gott der Liebe? Die aus dem Glauben hervorgehende Moral hat zu ihrem Princip und Kriterium nur den Widerſpruch mit der Natur, mit dem Menſchen. Wie der höchſte Ge- genſtand des Glaubens der iſt, welcher der Vernunft am meiſten widerſpricht, die Euchariſtie, ſo iſt nothwendig die höchſte Tugend der dem Glauben getreuen und gehorſamen Moral die, welche am meiſten der Natur widerſpricht. Die dog- matiſchen Wunder haben conſequent moraliſche Wunder in ihrem Gefolge. Die übernatürliche Moral iſt die natürliche Schweſter des übernatürlichen Glaubens. Wie der Glaube die Natur außer dem Menſchen, ſo überwindet die Glaubens- moral die Natur im Menſchen. Dieſen praktiſchen Superna- turalismus, deſſen epigrammatiſche Spitze die „Jungferſchaft, die Schweſter der Engel, die Königin der Tugenden, die Mutter alles Guten“ iſt (ſ. A. v. Buchers: Geiſtliches Such-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/464>, abgerufen am 07.05.2024.