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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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jectiven, sondern den objectiven -- das Eingeständniß der
Theologie selbst, daß ihr höchstes Mysterium, das Leiden Got-
tes nur eine Täuschung, Illusion ist. Habe ich also falsch
geredet, wenn ich sagte, das oberste Princip des Christenthums
sei die Hypokrisie? Läugnet nicht auch der Theanthropos, daß
er Mensch ist, während er Mensch ist? O widerlegt mich doch!

Es ist daher die höchste Kritiklosigkeit, Unwahrhaftigkeit,
Willkührlichkeit, die christliche Religion nur als Religion der
Versöhnung, nicht auch als die Religion des Zwiespalts
zu demonstriren, in dem Gottmenschen nur die Einheit, nicht
auch den Widerspruch
des göttlichen und menschlichen We-
sens zu finden. Christus hat nur als Mensch, nicht als
Gott
gelitten -- Leidensfähigkeit ist aber das Zeichen wirkli-
cher Menschheit -- nicht als Gott ist er geboren, gewachsen
an Erkenntniß, gekreuzigt; d. h. alle menschlichen Bestimmun-
gen sind von ihm als Gott entfernt geblieben. Si quis non
confitetur proprie et vere substantialem differen-
tiam naturarum
post ineffabilem unionem, ex quibus
unus et solus extitit Christus, in ea salvatam, sit con-
demnatus. Concil. Later. I. can. 7. (Carranza.)
Das
göttliche Wesen ist in der Menschwerdung, ungeachtet der Be-
hauptung, daß Christus zugleich wahrer Gott und wahrer
Mensch gewesen, eben so gut entzweit mit dem menschlichen
Wesen, als vor derselben, indem jedes Wesen die Bestim-
mungen des andern von sich ausschließt
, obwohl beide,
aber auf eine unbegreifliche, miraculöse, d. i. unwahre,
der Natur des Verhältnisses, in dem sie zu einander stehen,
widersprechende Weise zu einer Persönlichkeit verknüpft sein
sollen. Auch die Lutheraner, ja Luther selbst, so derb er sich
über die Gemeinschaft und Vereinigung der menschlichen und
göttlichen Natur in Christo ausspricht, kommt doch nicht über
ihren unversöhnlichen Zwiespalt hinaus. "Gott ist Mensch
und Mensch ist Gott, dadurch doch weder die Naturen, noch
derselben Eigenschaften mit einander vermischt werden, sondern
es behält eine jede Natur ihr Wesen und Eigenschaf-

jectiven, ſondern den objectiven — das Eingeſtändniß der
Theologie ſelbſt, daß ihr höchſtes Myſterium, das Leiden Got-
tes nur eine Täuſchung, Illuſion iſt. Habe ich alſo falſch
geredet, wenn ich ſagte, das oberſte Princip des Chriſtenthums
ſei die Hypokriſie? Läugnet nicht auch der Theanthropos, daß
er Menſch iſt, während er Menſch iſt? O widerlegt mich doch!

Es iſt daher die höchſte Kritikloſigkeit, Unwahrhaftigkeit,
Willkührlichkeit, die chriſtliche Religion nur als Religion der
Verſöhnung, nicht auch als die Religion des Zwieſpalts
zu demonſtriren, in dem Gottmenſchen nur die Einheit, nicht
auch den Widerſpruch
des göttlichen und menſchlichen We-
ſens zu finden. Chriſtus hat nur als Menſch, nicht als
Gott
gelitten — Leidensfähigkeit iſt aber das Zeichen wirkli-
cher Menſchheit — nicht als Gott iſt er geboren, gewachſen
an Erkenntniß, gekreuzigt; d. h. alle menſchlichen Beſtimmun-
gen ſind von ihm als Gott entfernt geblieben. Si quis non
confitetur proprie et vere substantialem differen-
tiam naturarum
post ineffabilem unionem, ex quibus
unus et solus extitit Christus, in ea salvatam, sit con-
demnatus. Concil. Later. I. can. 7. (Carranza.)
Das
göttliche Weſen iſt in der Menſchwerdung, ungeachtet der Be-
hauptung, daß Chriſtus zugleich wahrer Gott und wahrer
Menſch geweſen, eben ſo gut entzweit mit dem menſchlichen
Weſen, als vor derſelben, indem jedes Weſen die Beſtim-
mungen des andern von ſich ausſchließt
, obwohl beide,
aber auf eine unbegreifliche, miraculöſe, d. i. unwahre,
der Natur des Verhältniſſes, in dem ſie zu einander ſtehen,
widerſprechende Weiſe zu einer Perſönlichkeit verknüpft ſein
ſollen. Auch die Lutheraner, ja Luther ſelbſt, ſo derb er ſich
über die Gemeinſchaft und Vereinigung der menſchlichen und
göttlichen Natur in Chriſto ausſpricht, kommt doch nicht über
ihren unverſöhnlichen Zwieſpalt hinaus. „Gott iſt Menſch
und Menſch iſt Gott, dadurch doch weder die Naturen, noch
derſelben Eigenſchaften mit einander vermiſcht werden, ſondern
es behält eine jede Natur ihr Weſen und Eigenſchaf-

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[429/0447] jectiven, ſondern den objectiven — das Eingeſtändniß der Theologie ſelbſt, daß ihr höchſtes Myſterium, das Leiden Got- tes nur eine Täuſchung, Illuſion iſt. Habe ich alſo falſch geredet, wenn ich ſagte, das oberſte Princip des Chriſtenthums ſei die Hypokriſie? Läugnet nicht auch der Theanthropos, daß er Menſch iſt, während er Menſch iſt? O widerlegt mich doch! Es iſt daher die höchſte Kritikloſigkeit, Unwahrhaftigkeit, Willkührlichkeit, die chriſtliche Religion nur als Religion der Verſöhnung, nicht auch als die Religion des Zwieſpalts zu demonſtriren, in dem Gottmenſchen nur die Einheit, nicht auch den Widerſpruch des göttlichen und menſchlichen We- ſens zu finden. Chriſtus hat nur als Menſch, nicht als Gott gelitten — Leidensfähigkeit iſt aber das Zeichen wirkli- cher Menſchheit — nicht als Gott iſt er geboren, gewachſen an Erkenntniß, gekreuzigt; d. h. alle menſchlichen Beſtimmun- gen ſind von ihm als Gott entfernt geblieben. Si quis non confitetur proprie et vere substantialem differen- tiam naturarum post ineffabilem unionem, ex quibus unus et solus extitit Christus, in ea salvatam, sit con- demnatus. Concil. Later. I. can. 7. (Carranza.) Das göttliche Weſen iſt in der Menſchwerdung, ungeachtet der Be- hauptung, daß Chriſtus zugleich wahrer Gott und wahrer Menſch geweſen, eben ſo gut entzweit mit dem menſchlichen Weſen, als vor derſelben, indem jedes Weſen die Beſtim- mungen des andern von ſich ausſchließt, obwohl beide, aber auf eine unbegreifliche, miraculöſe, d. i. unwahre, der Natur des Verhältniſſes, in dem ſie zu einander ſtehen, widerſprechende Weiſe zu einer Perſönlichkeit verknüpft ſein ſollen. Auch die Lutheraner, ja Luther ſelbſt, ſo derb er ſich über die Gemeinſchaft und Vereinigung der menſchlichen und göttlichen Natur in Chriſto ausſpricht, kommt doch nicht über ihren unverſöhnlichen Zwieſpalt hinaus. „Gott iſt Menſch und Menſch iſt Gott, dadurch doch weder die Naturen, noch derſelben Eigenſchaften mit einander vermiſcht werden, ſondern es behält eine jede Natur ihr Weſen und Eigenſchaf-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/447>, abgerufen am 09.05.2024.