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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben." Jo-
hannes 12, 25. "Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem
Fleische wohnet nichts Gutes." Römer 7, 18. 14. (Veteres
enim omnis vitiositatis in agendo origenes ad corpus
referebant. J. G. Rosenmüller Scholia.)
"Weil nun Chri-
stus für uns im Fleisch gelitten hat, so wapnet euch auch mit
demselbigen Sinne, denn wer im Fleisch leidet, der höret
auf von Sünden." 1. Petri 4, 1. "Ich habe Lust abzu-
scheiden und bei Christo zu sein
." Philipper 1, 23.
"Wir sind aber getrost und haben viel mehr Lust, außer dem
Leibe
zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn." 2. Ko-
rinth. 5, 8. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist
demnach der Leib (wenigstens der sinnliche, wirkliche Leib),
der Leib also, als ein Hinderniß der Vereinigung mit Gott
etwas Nichtiges, zu Negirendes. Daß unter der Welt, welche
im Christenthum negirt wird, keineswegs nur das eitle Genuß-
leben, sondern die wirkliche objective Welt zu verstehen ist, das
geht auf eine populäre Weise schon aus dem Glauben hervor,
daß bei der Ankunft des Herrn, d. h. der Vollendung der
christlichen Religion Himmel und Erde vergehen werden. Al-
lerdings erwarteten auch die Juden mit heißer Sehnsucht den
Untergang der bestehenden Welt. Aber stammt denn das Chri-
stenthum nicht aus dem Judenthum? Hat das Christenthum
je seinen Zusammenhang mit diesem seinen Ursprung abgebro-
chen, verläugnet? Ueberhaupt, wenn man Alles, was das
Christenthum mit andern Religionen gemein hat, als nicht
christlich von ihm ausmerzen will, was bleibt denn noch von
ihm übrig? -- Nichts als ein Nomen proprium.

Nicht zu übersehen ist der Unterschied zwischen dem Glau-
ben der Christen und dem Glauben der heidnischen Philoso-
phen an den Untergang der Welt. Der christliche Welt-
untergang
ist nur eine Krisis des Glaubens, -- die
Scheidung des Christlichen von allem Antichristlichen, der
Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurthel, ein
antikosmischer, supernaturalistischer Act. "Der Him-

Welt haſſet, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Jo-
hannes 12, 25. „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem
Fleiſche wohnet nichts Gutes.“ Römer 7, 18. 14. (Veteres
enim omnis vitiositatis in agendo origenes ad corpus
referebant. J. G. Rosenmüller Scholia.)
„Weil nun Chri-
ſtus für uns im Fleiſch gelitten hat, ſo wapnet euch auch mit
demſelbigen Sinne, denn wer im Fleiſch leidet, der höret
auf von Sünden.“ 1. Petri 4, 1. „Ich habe Luſt abzu-
ſcheiden und bei Chriſto zu ſein
.“ Philipper 1, 23.
„Wir ſind aber getroſt und haben viel mehr Luſt, außer dem
Leibe
zu wallen und daheim zu ſein bei dem Herrn.“ 2. Ko-
rinth. 5, 8. Die Scheidewand zwiſchen Gott und Menſch iſt
demnach der Leib (wenigſtens der ſinnliche, wirkliche Leib),
der Leib alſo, als ein Hinderniß der Vereinigung mit Gott
etwas Nichtiges, zu Negirendes. Daß unter der Welt, welche
im Chriſtenthum negirt wird, keineswegs nur das eitle Genuß-
leben, ſondern die wirkliche objective Welt zu verſtehen iſt, das
geht auf eine populäre Weiſe ſchon aus dem Glauben hervor,
daß bei der Ankunft des Herrn, d. h. der Vollendung der
chriſtlichen Religion Himmel und Erde vergehen werden. Al-
lerdings erwarteten auch die Juden mit heißer Sehnſucht den
Untergang der beſtehenden Welt. Aber ſtammt denn das Chri-
ſtenthum nicht aus dem Judenthum? Hat das Chriſtenthum
je ſeinen Zuſammenhang mit dieſem ſeinen Urſprung abgebro-
chen, verläugnet? Ueberhaupt, wenn man Alles, was das
Chriſtenthum mit andern Religionen gemein hat, als nicht
chriſtlich von ihm ausmerzen will, was bleibt denn noch von
ihm übrig? — Nichts als ein Nomen proprium.

Nicht zu überſehen iſt der Unterſchied zwiſchen dem Glau-
ben der Chriſten und dem Glauben der heidniſchen Philoſo-
phen an den Untergang der Welt. Der chriſtliche Welt-
untergang
iſt nur eine Kriſis des Glaubens, — die
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[411/0429] Welt haſſet, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Jo- hannes 12, 25. „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem Fleiſche wohnet nichts Gutes.“ Römer 7, 18. 14. (Veteres enim omnis vitiositatis in agendo origenes ad corpus referebant. J. G. Rosenmüller Scholia.) „Weil nun Chri- ſtus für uns im Fleiſch gelitten hat, ſo wapnet euch auch mit demſelbigen Sinne, denn wer im Fleiſch leidet, der höret auf von Sünden.“ 1. Petri 4, 1. „Ich habe Luſt abzu- ſcheiden und bei Chriſto zu ſein.“ Philipper 1, 23. „Wir ſind aber getroſt und haben viel mehr Luſt, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu ſein bei dem Herrn.“ 2. Ko- rinth. 5, 8. Die Scheidewand zwiſchen Gott und Menſch iſt demnach der Leib (wenigſtens der ſinnliche, wirkliche Leib), der Leib alſo, als ein Hinderniß der Vereinigung mit Gott etwas Nichtiges, zu Negirendes. Daß unter der Welt, welche im Chriſtenthum negirt wird, keineswegs nur das eitle Genuß- leben, ſondern die wirkliche objective Welt zu verſtehen iſt, das geht auf eine populäre Weiſe ſchon aus dem Glauben hervor, daß bei der Ankunft des Herrn, d. h. der Vollendung der chriſtlichen Religion Himmel und Erde vergehen werden. Al- lerdings erwarteten auch die Juden mit heißer Sehnſucht den Untergang der beſtehenden Welt. Aber ſtammt denn das Chri- ſtenthum nicht aus dem Judenthum? Hat das Chriſtenthum je ſeinen Zuſammenhang mit dieſem ſeinen Urſprung abgebro- chen, verläugnet? Ueberhaupt, wenn man Alles, was das Chriſtenthum mit andern Religionen gemein hat, als nicht chriſtlich von ihm ausmerzen will, was bleibt denn noch von ihm übrig? — Nichts als ein Nomen proprium. Nicht zu überſehen iſt der Unterſchied zwiſchen dem Glau- ben der Chriſten und dem Glauben der heidniſchen Philoſo- phen an den Untergang der Welt. Der chriſtliche Welt- untergang iſt nur eine Kriſis des Glaubens, — die Scheidung des Chriſtlichen von allem Antichriſtlichen, der Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurthel, ein antikosmiſcher, ſupernaturaliſtiſcher Act. „Der Him-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/429>, abgerufen am 10.05.2024.