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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Also hast Du die Welt geliebt,
Daß sich Dein Herz drein ergibt,
Den Sohn, der Deine Freud' und Leb'n,
In Noth und Tod dahin zu geb'n.

Gott ist ein in sich dreifaches, dreipersönliches Wesen,
heißt: Gott ist nicht nur ein metaphysisches, abstractes, geistiges,
sondern physikalisches Wesen. Der Centralpunkt der Tri-
nität ist der Sohn, denn der Vater ist Vater nur durch den Sohn;
das Geheimniß der Zeugung aber das Geheimniß der Physik.
Der Sohn ist das in Gott befriedigte Bedürfniß der
Sinnlichkeit oder des Herzens
, denn alle Herzenswün-
sche, selbst der Wunsch eines persönlichen Gottes, und der
Wunsch himmlischer Seligkeit sind sinnliche Wünsche. Dieß
erhellt besonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttli-
chen Dreieinigkeit den menschlichen Leib zu einem wesentlichen
bleibenden Attribut hat. Ambrosius: scriptum est Ephes. I.:
Secundum carnem igitur omnia ipsi subjecta tra-
duntur. Chrysostomus: Christum secundum carnem
pater jussit a cunctis angelis adorari. Theodoretus:
Corpus dominicum surrexit quidem a mortuis, divina
glorificata gloria .... corpus tamen est et habet, quam
prius habuit, circumscriptionem
.
(S. Concordien-
buchs-Anhang. "Zeugnisse der h. Schrift und Altväter von
Christo" und Petrus L. l. III. dist. 10. c. 1. 2.) Ueberein-
stimmend hiemit singt die evangelische Brüdergemeine: "Will
in Lieb' und Glauben Dich stets umfassen, bis ich, wenn einst
mein Mund wird erblassen, Dich leiblich seh." "Wir dan-
ken Dir, Herr Jesu Christ, daß Du gen Himmel g'fahren bist.
Dein Abschied und was da geschehn, zielt auf ein fröhlichs
Wiedersehn: Die Reise, die das Haupt gethan, ist gleichfalls
seiner Glieder Bahn." "Dein' Augen, Deinen Mund, den
Leib für uns verwundt, drauf wir so fest vertrauen, das werd
ich alles schauen
."

Deßwegen ist auch der Sohn Gottes der Lieblingssohn
des menschlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der

Alſo haſt Du die Welt geliebt,
Daß ſich Dein Herz drein ergibt,
Den Sohn, der Deine Freud’ und Leb’n,
In Noth und Tod dahin zu geb’n.

Gott iſt ein in ſich dreifaches, dreiperſönliches Weſen,
heißt: Gott iſt nicht nur ein metaphyſiſches, abſtractes, geiſtiges,
ſondern phyſikaliſches Weſen. Der Centralpunkt der Tri-
nität iſt der Sohn, denn der Vater iſt Vater nur durch den Sohn;
das Geheimniß der Zeugung aber das Geheimniß der Phyſik.
Der Sohn iſt das in Gott befriedigte Bedürfniß der
Sinnlichkeit oder des Herzens
, denn alle Herzenswün-
ſche, ſelbſt der Wunſch eines perſönlichen Gottes, und der
Wunſch himmliſcher Seligkeit ſind ſinnliche Wünſche. Dieß
erhellt beſonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttli-
chen Dreieinigkeit den menſchlichen Leib zu einem weſentlichen
bleibenden Attribut hat. Ambrosius: scriptum est Ephes. I.:
Secundum carnem igitur omnia ipsi subjecta tra-
duntur. Chrysostomus: Christum secundum carnem
pater jussit a cunctis angelis adorari. Theodoretus:
Corpus dominicum surrexit quidem a mortuis, divina
glorificata gloria .... corpus tamen est et habet, quam
prius habuit, circumscriptionem
.
(S. Concordien-
buchs-Anhang. „Zeugniſſe der h. Schrift und Altväter von
Chriſto“ und Petrus L. l. III. dist. 10. c. 1. 2.) Ueberein-
ſtimmend hiemit ſingt die evangeliſche Brüdergemeine: „Will
in Lieb’ und Glauben Dich ſtets umfaſſen, bis ich, wenn einſt
mein Mund wird erblaſſen, Dich leiblich ſeh.“ „Wir dan-
ken Dir, Herr Jeſu Chriſt, daß Du gen Himmel g’fahren biſt.
Dein Abſchied und was da geſchehn, zielt auf ein fröhlichs
Wiederſehn: Die Reiſe, die das Haupt gethan, iſt gleichfalls
ſeiner Glieder Bahn.“ „Dein’ Augen, Deinen Mund, den
Leib für uns verwundt, drauf wir ſo feſt vertrauen, das werd
ich alles ſchauen
.“

Deßwegen iſt auch der Sohn Gottes der Lieblingsſohn
des menſchlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der

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[399/0417] Alſo haſt Du die Welt geliebt, Daß ſich Dein Herz drein ergibt, Den Sohn, der Deine Freud’ und Leb’n, In Noth und Tod dahin zu geb’n. Gott iſt ein in ſich dreifaches, dreiperſönliches Weſen, heißt: Gott iſt nicht nur ein metaphyſiſches, abſtractes, geiſtiges, ſondern phyſikaliſches Weſen. Der Centralpunkt der Tri- nität iſt der Sohn, denn der Vater iſt Vater nur durch den Sohn; das Geheimniß der Zeugung aber das Geheimniß der Phyſik. Der Sohn iſt das in Gott befriedigte Bedürfniß der Sinnlichkeit oder des Herzens, denn alle Herzenswün- ſche, ſelbſt der Wunſch eines perſönlichen Gottes, und der Wunſch himmliſcher Seligkeit ſind ſinnliche Wünſche. Dieß erhellt beſonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttli- chen Dreieinigkeit den menſchlichen Leib zu einem weſentlichen bleibenden Attribut hat. Ambrosius: scriptum est Ephes. I.: Secundum carnem igitur omnia ipsi subjecta tra- duntur. Chrysostomus: Christum secundum carnem pater jussit a cunctis angelis adorari. Theodoretus: Corpus dominicum surrexit quidem a mortuis, divina glorificata gloria .... corpus tamen est et habet, quam prius habuit, circumscriptionem. (S. Concordien- buchs-Anhang. „Zeugniſſe der h. Schrift und Altväter von Chriſto“ und Petrus L. l. III. dist. 10. c. 1. 2.) Ueberein- ſtimmend hiemit ſingt die evangeliſche Brüdergemeine: „Will in Lieb’ und Glauben Dich ſtets umfaſſen, bis ich, wenn einſt mein Mund wird erblaſſen, Dich leiblich ſeh.“ „Wir dan- ken Dir, Herr Jeſu Chriſt, daß Du gen Himmel g’fahren biſt. Dein Abſchied und was da geſchehn, zielt auf ein fröhlichs Wiederſehn: Die Reiſe, die das Haupt gethan, iſt gleichfalls ſeiner Glieder Bahn.“ „Dein’ Augen, Deinen Mund, den Leib für uns verwundt, drauf wir ſo feſt vertrauen, das werd ich alles ſchauen.“ Deßwegen iſt auch der Sohn Gottes der Lieblingsſohn des menſchlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/417>, abgerufen am 10.05.2024.