Allerdings abhorrirt das tiefere, das mystische religiöse Gemüth solchen nackten unverhohlenen Egoismus, wie er in den Herrn- hutischen Liedern ausgesprochen ist; es reflectirt sich in Gott nicht ausdrücklich auf sich selbst zurück; vielmehr es vergißt, negirt sich selbst, fordert selbstlose, interesselose Liebe zu Gott, bezieht Gott auf Gott, nicht auf sich. Causa diligendi Deum, Deus est. Modus sine modo diligere.. Qui Domino con- fitetur, non quoniam sibi bonus est, sed quoniam bonus est, hic vere diligit Deum propter Deum et non pro- pter seipsum. Te enim quodammodo perdere, tan- quam qui non sis et omnino non sentire te ipsum et a temetipso exinaniri et pene annullari, coelestis est con- versationis, non humanae affectionis (also das Ideal der Liebe, das aber erst im Himmel realisirt wird). Bernhardus Tract. de dilig. Deo (ad Haymericum). Aber diese freie selbstlose Liebe ist nur der Moment der höchsten religiösen Be- geisterung, der Moment der Einigung des Subjects mit dem Object. So wie der Unterschied hervortritt -- und er tritt nothwendig hervor -- so bezieht sich auch sogleich das Subject als Object Gottes auf sich selbst zurück. Und auch hievon abgesehen: das religiöse Subject negirt nur sein Ich, seine Persönlichkeit, weil es in Gott den Genuß der seligen Persön- lichkeit hat, Gott per se das realisirte Wohl der Seele, Gott das höchste Selbst- und Wonnegefühl des menschlichen Ge- müths ist. Daher der Ausspruch: Qui Deum non diligit, seipsum non diligit.
Weil und wie Gott leidet, so und darum muß auch der Mensch hinwiederum leiden. Die christliche Religion ist die Religion des Leidens.
Videlicet vestigia Salvatoris sequimur in theatris. Tale nobis scilicet Christus reliquit exemplum, quem flevisse legimus, risisse non legimus. Salvianus (l. c. l. VI. §. 181.) Christianorum ergo est pressuram
Allerdings abhorrirt das tiefere, das myſtiſche religiöſe Gemüth ſolchen nackten unverhohlenen Egoismus, wie er in den Herrn- hutiſchen Liedern ausgeſprochen iſt; es reflectirt ſich in Gott nicht ausdrücklich auf ſich ſelbſt zurück; vielmehr es vergißt, negirt ſich ſelbſt, fordert ſelbſtloſe, intereſſeloſe Liebe zu Gott, bezieht Gott auf Gott, nicht auf ſich. Causa diligendi Deum, Deus est. Modus sine modo diligere.. Qui Domino con- fitetur, non quoniam sibi bonus est, sed quoniam bonus est, hic vere diligit Deum propter Deum et non pro- pter seipsum. Te enim quodammodo perdere, tan- quam qui non sis et omnino non sentire te ipsum et a temetipso exinaniri et pene annullari, coelestis est con- versationis, non humanae affectionis (alſo das Ideal der Liebe, das aber erſt im Himmel realiſirt wird). Bernhardus Tract. de dilig. Deo (ad Haymericum). Aber dieſe freie ſelbſtloſe Liebe iſt nur der Moment der höchſten religiöſen Be- geiſterung, der Moment der Einigung des Subjects mit dem Object. So wie der Unterſchied hervortritt — und er tritt nothwendig hervor — ſo bezieht ſich auch ſogleich das Subject als Object Gottes auf ſich ſelbſt zurück. Und auch hievon abgeſehen: das religiöſe Subject negirt nur ſein Ich, ſeine Perſönlichkeit, weil es in Gott den Genuß der ſeligen Perſön- lichkeit hat, Gott per se das realiſirte Wohl der Seele, Gott das höchſte Selbſt- und Wonnegefühl des menſchlichen Ge- müths iſt. Daher der Ausſpruch: Qui Deum non diligit, seipsum non diligit.
Weil und wie Gott leidet, ſo und darum muß auch der Menſch hinwiederum leiden. Die chriſtliche Religion iſt die Religion des Leidens.
Videlicet vestigia Salvatoris sequimur in theatris. Tale nobis scilicet Christus reliquit exemplum, quem flevisse legimus, risisse non legimus. Salvianus (l. c. l. VI. §. 181.) Christianorum ergo est pressuram
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Allerdings abhorrirt das tiefere, das myſtiſche religiöſe Gemüth
ſolchen nackten unverhohlenen Egoismus, wie er in den Herrn-
hutiſchen Liedern ausgeſprochen iſt; es reflectirt ſich in Gott
nicht ausdrücklich auf ſich ſelbſt zurück; vielmehr es vergißt,
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bezieht Gott auf Gott, nicht auf ſich. Causa diligendi Deum,
Deus est. Modus sine modo diligere.. Qui Domino con-
fitetur, non quoniam sibi bonus est, sed quoniam bonus
est, hic vere diligit Deum propter Deum et non pro-
pter seipsum. Te enim quodammodo perdere, tan-
quam qui non sis et omnino non sentire te ipsum et a
temetipso exinaniri et pene annullari, coelestis est con-
versationis, non humanae affectionis (alſo das Ideal der
Liebe, das aber erſt im Himmel realiſirt wird). Bernhardus
Tract. de dilig. Deo (ad Haymericum). Aber dieſe freie
ſelbſtloſe Liebe iſt nur der Moment der höchſten religiöſen Be-
geiſterung, der Moment der Einigung des Subjects mit dem
Object. So wie der Unterſchied hervortritt — und er tritt
nothwendig hervor — ſo bezieht ſich auch ſogleich das Subject
als Object Gottes auf ſich ſelbſt zurück. Und auch hievon
abgeſehen: das religiöſe Subject negirt nur ſein Ich, ſeine
Perſönlichkeit, weil es in Gott den Genuß der ſeligen Perſön-
lichkeit hat, Gott per se das realiſirte Wohl der Seele, Gott
das höchſte Selbſt- und Wonnegefühl des menſchlichen Ge-
müths iſt. Daher der Ausſpruch: Qui Deum non diligit,
seipsum non diligit.
Weil und wie Gott leidet, ſo und darum muß
auch der Menſch hinwiederum leiden. Die chriſtliche
Religion iſt die Religion des Leidens.
Videlicet vestigia Salvatoris sequimur in theatris.
Tale nobis scilicet Christus reliquit exemplum, quem
flevisse legimus, risisse non legimus. Salvianus
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/413>, abgerufen am 26.12.2024.
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