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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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an die Stelle der imaginären übernatürlichen Gnadenmittel
natürliche Mittel setzen. Die Moral vermag nichts ohne
die Natur. Die Ethik muß sich an die einfachsten Naturmittel
anknüpfen. Die tiefsten Geheimnisse liegen in dem Gemei-
nen
, dem Alltäglichen, was die supranaturalistische Religion
und Speculation ignoriren, die wirklichen Geheimnisse ima-
ginären, illusorischen Geheimnissen, so hier die wirkliche Wun-
derkraft des Wassers einer eingebildeten Wunderkraft aufopfernd.
Das Wasser ist das einfachste Gnaden- oder Arzneimittel gegen
die Krankheiten der Seele, wie des Leibes. Aber das Wasser
wirkt nur, wenn es oft, wenn es regelmäßig gebraucht wird.
Die Taufe als ein einmaliger Act ist entweder ein ganz nutz-
loses und bedeutungsloses, oder, wenn mit ihr reale Wirkungen
verknüpft werden, ein abergläubisches Institut. Ein vernünf-
tiges, ehrwürdiges Institut ist sie dagegen, wenn in ihr die
moralische und physische Heilkraft des Wassers, der Natur
überhaupt versinnlicht und gefeiert wird.

Aber das Sacrament des Wassers bedarf einer Ergän-
zung. Das Wasser als ein universales Lebenselement erinnert
uns an unsern Ursprung aus der Natur, welchen wir mit den
Pflanzen und Thieren gemein haben. In der Wassertaufe
beugen wir uns unter die Macht der reinen Naturkraft; das
Wasser ist der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit,
der Spiegel des goldnen Zeitalters. Aber wir Menschen un-
terscheiden uns auch von der Pflanzen- und Thierwelt, die
wir nebst dem unorganischen Reiche unter den gemeinsamen
Namen der Natur befassen -- unterscheiden uns von der Natur.
Wir müssen daher auch unsre Distinction, unsre specifische
Differenz feiern. Die Symbole dieses unsers Unterschieds sind
Wein und Brot. Wein und Brot sind ihrer Materie nach

an die Stelle der imaginären übernatürlichen Gnadenmittel
natürliche Mittel ſetzen. Die Moral vermag nichts ohne
die Natur. Die Ethik muß ſich an die einfachſten Naturmittel
anknüpfen. Die tiefſten Geheimniſſe liegen in dem Gemei-
nen
, dem Alltäglichen, was die ſupranaturaliſtiſche Religion
und Speculation ignoriren, die wirklichen Geheimniſſe ima-
ginären, illuſoriſchen Geheimniſſen, ſo hier die wirkliche Wun-
derkraft des Waſſers einer eingebildeten Wunderkraft aufopfernd.
Das Waſſer iſt das einfachſte Gnaden- oder Arzneimittel gegen
die Krankheiten der Seele, wie des Leibes. Aber das Waſſer
wirkt nur, wenn es oft, wenn es regelmäßig gebraucht wird.
Die Taufe als ein einmaliger Act iſt entweder ein ganz nutz-
loſes und bedeutungsloſes, oder, wenn mit ihr reale Wirkungen
verknüpft werden, ein abergläubiſches Inſtitut. Ein vernünf-
tiges, ehrwürdiges Inſtitut iſt ſie dagegen, wenn in ihr die
moraliſche und phyſiſche Heilkraft des Waſſers, der Natur
überhaupt verſinnlicht und gefeiert wird.

Aber das Sacrament des Waſſers bedarf einer Ergän-
zung. Das Waſſer als ein univerſales Lebenselement erinnert
uns an unſern Urſprung aus der Natur, welchen wir mit den
Pflanzen und Thieren gemein haben. In der Waſſertaufe
beugen wir uns unter die Macht der reinen Naturkraft; das
Waſſer iſt der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit,
der Spiegel des goldnen Zeitalters. Aber wir Menſchen un-
terſcheiden uns auch von der Pflanzen- und Thierwelt, die
wir nebſt dem unorganiſchen Reiche unter den gemeinſamen
Namen der Natur befaſſen — unterſcheiden uns von der Natur.
Wir müſſen daher auch unſre Diſtinction, unſre ſpecifiſche
Differenz feiern. Die Symbole dieſes unſers Unterſchieds ſind
Wein und Brot. Wein und Brot ſind ihrer Materie nach

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[378/0396] an die Stelle der imaginären übernatürlichen Gnadenmittel natürliche Mittel ſetzen. Die Moral vermag nichts ohne die Natur. Die Ethik muß ſich an die einfachſten Naturmittel anknüpfen. Die tiefſten Geheimniſſe liegen in dem Gemei- nen, dem Alltäglichen, was die ſupranaturaliſtiſche Religion und Speculation ignoriren, die wirklichen Geheimniſſe ima- ginären, illuſoriſchen Geheimniſſen, ſo hier die wirkliche Wun- derkraft des Waſſers einer eingebildeten Wunderkraft aufopfernd. Das Waſſer iſt das einfachſte Gnaden- oder Arzneimittel gegen die Krankheiten der Seele, wie des Leibes. Aber das Waſſer wirkt nur, wenn es oft, wenn es regelmäßig gebraucht wird. Die Taufe als ein einmaliger Act iſt entweder ein ganz nutz- loſes und bedeutungsloſes, oder, wenn mit ihr reale Wirkungen verknüpft werden, ein abergläubiſches Inſtitut. Ein vernünf- tiges, ehrwürdiges Inſtitut iſt ſie dagegen, wenn in ihr die moraliſche und phyſiſche Heilkraft des Waſſers, der Natur überhaupt verſinnlicht und gefeiert wird. Aber das Sacrament des Waſſers bedarf einer Ergän- zung. Das Waſſer als ein univerſales Lebenselement erinnert uns an unſern Urſprung aus der Natur, welchen wir mit den Pflanzen und Thieren gemein haben. In der Waſſertaufe beugen wir uns unter die Macht der reinen Naturkraft; das Waſſer iſt der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit, der Spiegel des goldnen Zeitalters. Aber wir Menſchen un- terſcheiden uns auch von der Pflanzen- und Thierwelt, die wir nebſt dem unorganiſchen Reiche unter den gemeinſamen Namen der Natur befaſſen — unterſcheiden uns von der Natur. Wir müſſen daher auch unſre Diſtinction, unſre ſpecifiſche Differenz feiern. Die Symbole dieſes unſers Unterſchieds ſind Wein und Brot. Wein und Brot ſind ihrer Materie nach

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/396>, abgerufen am 22.12.2024.