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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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den Menschen. Das Wasser reinigt den Menschen nicht nur
vom Schmutze des Leibes, sondern im Wasser fallen ihm auch
die Schuppen von den Augen: er sieht, er denkt klarer; er fühlt
sich freier; das Wasser löscht die Glut unreiner Begierden.
Wie viele Heilige nahmen zu der natürlichen Qualität des
Wassers ihre Zuflucht, um die Anfechtungen des Teufels zu
überwinden! Was die Gnade versagte, gewährte die Natur.
Das Wasser gehört nicht nur in die Diätetik, sondern auch in
die Pädagogik. Sich zu reinigen, sich zu baden, ist selbst
die erste, obwohl unterste Tugend *). Im Schauer des Was-
sers erlischt die Brunst der Selbstsucht. Das Wasser ist das
nächste und erste Mittel, sich mit der Natur zu befreunden.
Das Wasserbad ist gleichsam ein chemischer Proceß, in welchem
sich unsre Ichheit in dem objectiven Wesen der Natur auflöst.
Der aus dem Wasser emportauchende Mensch ist ein neuer,
wiedergeborner Mensch. Die Lehre, daß die Moral nichts
ohne Gnadenmittel vermöge, hat einen guten Sinn, wenn wir

*) Offenbar ist auch die christliche Wassertaufe nur ein Ueberbleibsel
der alten Naturreligionen, wo, wie in der parsischen, das Wasser ein
religiöses Reinigungsmittel war. (S. Rhode: Die heilige Sage etc.
p. 305, 426 u. f. Nork Mythen der alten Perser). Hier hatte jedoch die
Wassertaufe einen viel wahreren und folglich tieferen Sinn, als bei den
Christen, weil sie sich auf die natürliche Kraft und Bedeutung des Wassers
stützte. Aber freilich für diese einfachen Naturanschauungen der alten Re-
ligionen hat unser speculativer, wie theologischer Supranaturalismus
keinen Sinn und Verstand. -- Wenn daher die Perser, die Inder, auch noch
die Hebräer, körperliche Reinlichkeit zu einer religiösen Pflicht
machten, so waren sie hierin weit vernünftiger als die christlichen Heiligen,
welche in der körperlichen Unreinlichkeit das supranaturalistische
Princip ihrer Religion veranschaulichten und bewährten. Die Ueberna-
türlichkeit in der Theorie wird in der Praxis zur Widernatürlichkeit.
Die Uebernatürlichkeit ist nur ein Euphemismus für Wider-
natürlichkeit
.

den Menſchen. Das Waſſer reinigt den Menſchen nicht nur
vom Schmutze des Leibes, ſondern im Waſſer fallen ihm auch
die Schuppen von den Augen: er ſieht, er denkt klarer; er fühlt
ſich freier; das Waſſer löſcht die Glut unreiner Begierden.
Wie viele Heilige nahmen zu der natürlichen Qualität des
Waſſers ihre Zuflucht, um die Anfechtungen des Teufels zu
überwinden! Was die Gnade verſagte, gewährte die Natur.
Das Waſſer gehört nicht nur in die Diätetik, ſondern auch in
die Pädagogik. Sich zu reinigen, ſich zu baden, iſt ſelbſt
die erſte, obwohl unterſte Tugend *). Im Schauer des Waſ-
ſers erliſcht die Brunſt der Selbſtſucht. Das Waſſer iſt das
nächſte und erſte Mittel, ſich mit der Natur zu befreunden.
Das Waſſerbad iſt gleichſam ein chemiſcher Proceß, in welchem
ſich unſre Ichheit in dem objectiven Weſen der Natur auflöſt.
Der aus dem Waſſer emportauchende Menſch iſt ein neuer,
wiedergeborner Menſch. Die Lehre, daß die Moral nichts
ohne Gnadenmittel vermöge, hat einen guten Sinn, wenn wir

*) Offenbar iſt auch die chriſtliche Waſſertaufe nur ein Ueberbleibſel
der alten Naturreligionen, wo, wie in der parſiſchen, das Waſſer ein
religiöſes Reinigungsmittel war. (S. Rhode: Die heilige Sage ꝛc.
p. 305, 426 u. f. Nork Mythen der alten Perſer). Hier hatte jedoch die
Waſſertaufe einen viel wahreren und folglich tieferen Sinn, als bei den
Chriſten, weil ſie ſich auf die natürliche Kraft und Bedeutung des Waſſers
ſtützte. Aber freilich für dieſe einfachen Naturanſchauungen der alten Re-
ligionen hat unſer ſpeculativer, wie theologiſcher Supranaturalismus
keinen Sinn und Verſtand. — Wenn daher die Perſer, die Inder, auch noch
die Hebräer, körperliche Reinlichkeit zu einer religiöſen Pflicht
machten, ſo waren ſie hierin weit vernünftiger als die chriſtlichen Heiligen,
welche in der körperlichen Unreinlichkeit das ſupranaturaliſtiſche
Princip ihrer Religion veranſchaulichten und bewährten. Die Ueberna-
türlichkeit in der Theorie wird in der Praxis zur Widernatürlichkeit.
Die Uebernatürlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Wider-
natürlichkeit
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[377/0395] den Menſchen. Das Waſſer reinigt den Menſchen nicht nur vom Schmutze des Leibes, ſondern im Waſſer fallen ihm auch die Schuppen von den Augen: er ſieht, er denkt klarer; er fühlt ſich freier; das Waſſer löſcht die Glut unreiner Begierden. Wie viele Heilige nahmen zu der natürlichen Qualität des Waſſers ihre Zuflucht, um die Anfechtungen des Teufels zu überwinden! Was die Gnade verſagte, gewährte die Natur. Das Waſſer gehört nicht nur in die Diätetik, ſondern auch in die Pädagogik. Sich zu reinigen, ſich zu baden, iſt ſelbſt die erſte, obwohl unterſte Tugend *). Im Schauer des Waſ- ſers erliſcht die Brunſt der Selbſtſucht. Das Waſſer iſt das nächſte und erſte Mittel, ſich mit der Natur zu befreunden. Das Waſſerbad iſt gleichſam ein chemiſcher Proceß, in welchem ſich unſre Ichheit in dem objectiven Weſen der Natur auflöſt. Der aus dem Waſſer emportauchende Menſch iſt ein neuer, wiedergeborner Menſch. Die Lehre, daß die Moral nichts ohne Gnadenmittel vermöge, hat einen guten Sinn, wenn wir *) Offenbar iſt auch die chriſtliche Waſſertaufe nur ein Ueberbleibſel der alten Naturreligionen, wo, wie in der parſiſchen, das Waſſer ein religiöſes Reinigungsmittel war. (S. Rhode: Die heilige Sage ꝛc. p. 305, 426 u. f. Nork Mythen der alten Perſer). Hier hatte jedoch die Waſſertaufe einen viel wahreren und folglich tieferen Sinn, als bei den Chriſten, weil ſie ſich auf die natürliche Kraft und Bedeutung des Waſſers ſtützte. Aber freilich für dieſe einfachen Naturanſchauungen der alten Re- ligionen hat unſer ſpeculativer, wie theologiſcher Supranaturalismus keinen Sinn und Verſtand. — Wenn daher die Perſer, die Inder, auch noch die Hebräer, körperliche Reinlichkeit zu einer religiöſen Pflicht machten, ſo waren ſie hierin weit vernünftiger als die chriſtlichen Heiligen, welche in der körperlichen Unreinlichkeit das ſupranaturaliſtiſche Princip ihrer Religion veranſchaulichten und bewährten. Die Ueberna- türlichkeit in der Theorie wird in der Praxis zur Widernatürlichkeit. Die Uebernatürlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Wider- natürlichkeit.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/395>, abgerufen am 13.05.2024.