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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Hier haben wir wieder ein Exempel, daß Vieles, was
nicht dem Buchstaben nach in der Bibel steht, dem Princip
nach doch in ihr liegt. Wir finden dieselben Widersprüche in
der Bibel, die wir im Augustin, im Katholicismus überhaupt,
finden, nur daß sie hier bestimmt ausgesprochen werden, eine
augenfällige, darum empörende Existenz bekommen. Die
Bibel verdammt durch den Glauben, begnadigt durch die
Liebe. Aber sie kennt nur eine auf den Glauben gegründete
Liebe. Also auch hier schon eine Liebe, die verflucht, eine un-
zuverlässige Liebe, eine Liebe, die mir keine Garantie gibt, daß
sie sich nicht als Lieblosigkeit bewährt; denn anerkenne ich
nicht die Glaubensartikel, so bin ich außer das Gebiet und
Reich der Liebe gefallen, ein Gegenstand des Fluchs, der
Hölle, des Zornes Gottes, dem die Existenz der Ungläubi-
gen ein Aerger, ein Dorn im Auge ist. Die christliche Liebe
hat nicht die Hölle überwunden, weil sie nicht den
Glauben überwunden. Die Liebe ist an sich ungläu-
big, der Glaube aber lieblos
. Ungläubig aber ist deß-
wegen die Liebe, weil sie nichts Göttlicheres kennt als sich selbst,
weil sie nur an sich selbst, als die absolute Wahrheit glaubt.

Die christliche Liebe ist schon dadurch eine besondere,
daß sie christliche ist, sich christliche nennt. Aber Univer-
salität
liegt im Wesen der Liebe. So lange die christliche
Liebe die Christlichkeit nicht aufgibt, nicht die Liebe schlechtweg
zum obersten Gesetze macht, so lange ist sie eine Liebe, die den
Wahrheitssinn beleidigt, denn die Liebe ist es eben, die den
Unterschied zwischen Christenthum und sogenanntem Heiden-

ligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht,
ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.

Hier haben wir wieder ein Exempel, daß Vieles, was
nicht dem Buchſtaben nach in der Bibel ſteht, dem Princip
nach doch in ihr liegt. Wir finden dieſelben Widerſprüche in
der Bibel, die wir im Auguſtin, im Katholicismus überhaupt,
finden, nur daß ſie hier beſtimmt ausgeſprochen werden, eine
augenfällige, darum empörende Exiſtenz bekommen. Die
Bibel verdammt durch den Glauben, begnadigt durch die
Liebe. Aber ſie kennt nur eine auf den Glauben gegründete
Liebe. Alſo auch hier ſchon eine Liebe, die verflucht, eine un-
zuverläſſige Liebe, eine Liebe, die mir keine Garantie gibt, daß
ſie ſich nicht als Liebloſigkeit bewährt; denn anerkenne ich
nicht die Glaubensartikel, ſo bin ich außer das Gebiet und
Reich der Liebe gefallen, ein Gegenſtand des Fluchs, der
Hölle, des Zornes Gottes, dem die Exiſtenz der Ungläubi-
gen ein Aerger, ein Dorn im Auge iſt. Die chriſtliche Liebe
hat nicht die Hölle überwunden, weil ſie nicht den
Glauben überwunden. Die Liebe iſt an ſich ungläu-
big, der Glaube aber lieblos
. Ungläubig aber iſt deß-
wegen die Liebe, weil ſie nichts Göttlicheres kennt als ſich ſelbſt,
weil ſie nur an ſich ſelbſt, als die abſolute Wahrheit glaubt.

Die chriſtliche Liebe iſt ſchon dadurch eine beſondere,
daß ſie chriſtliche iſt, ſich chriſtliche nennt. Aber Univer-
ſalität
liegt im Weſen der Liebe. So lange die chriſtliche
Liebe die Chriſtlichkeit nicht aufgibt, nicht die Liebe ſchlechtweg
zum oberſten Geſetze macht, ſo lange iſt ſie eine Liebe, die den
Wahrheitsſinn beleidigt, denn die Liebe iſt es eben, die den
Unterſchied zwiſchen Chriſtenthum und ſogenanntem Heiden-

ligenz. Liebe, die die Strenge, das Geſetz der Intelligenz verſchmäht,
iſt theoretiſch eine falſche, praktiſch eine verderbliche Liebe.
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[363/0381] Hier haben wir wieder ein Exempel, daß Vieles, was nicht dem Buchſtaben nach in der Bibel ſteht, dem Princip nach doch in ihr liegt. Wir finden dieſelben Widerſprüche in der Bibel, die wir im Auguſtin, im Katholicismus überhaupt, finden, nur daß ſie hier beſtimmt ausgeſprochen werden, eine augenfällige, darum empörende Exiſtenz bekommen. Die Bibel verdammt durch den Glauben, begnadigt durch die Liebe. Aber ſie kennt nur eine auf den Glauben gegründete Liebe. Alſo auch hier ſchon eine Liebe, die verflucht, eine un- zuverläſſige Liebe, eine Liebe, die mir keine Garantie gibt, daß ſie ſich nicht als Liebloſigkeit bewährt; denn anerkenne ich nicht die Glaubensartikel, ſo bin ich außer das Gebiet und Reich der Liebe gefallen, ein Gegenſtand des Fluchs, der Hölle, des Zornes Gottes, dem die Exiſtenz der Ungläubi- gen ein Aerger, ein Dorn im Auge iſt. Die chriſtliche Liebe hat nicht die Hölle überwunden, weil ſie nicht den Glauben überwunden. Die Liebe iſt an ſich ungläu- big, der Glaube aber lieblos. Ungläubig aber iſt deß- wegen die Liebe, weil ſie nichts Göttlicheres kennt als ſich ſelbſt, weil ſie nur an ſich ſelbſt, als die abſolute Wahrheit glaubt. Die chriſtliche Liebe iſt ſchon dadurch eine beſondere, daß ſie chriſtliche iſt, ſich chriſtliche nennt. Aber Univer- ſalität liegt im Weſen der Liebe. So lange die chriſtliche Liebe die Chriſtlichkeit nicht aufgibt, nicht die Liebe ſchlechtweg zum oberſten Geſetze macht, ſo lange iſt ſie eine Liebe, die den Wahrheitsſinn beleidigt, denn die Liebe iſt es eben, die den Unterſchied zwiſchen Chriſtenthum und ſogenanntem Heiden- *) *) ligenz. Liebe, die die Strenge, das Geſetz der Intelligenz verſchmäht, iſt theoretiſch eine falſche, praktiſch eine verderbliche Liebe.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/381>, abgerufen am 13.05.2024.