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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Nothwendig mußte sich dieser theoretische Widerspruch
auch praktisch bethätigen. Nothwendig; denn die Liebe ist
im Christenthum befleckt durch den Glauben, sie ist nicht frei,
nicht wahrhaft erfaßt. Eine Liebe, die durch den Glauben
beschränkt
, ist eine unwahre Liebe*). Die Liebe kennt kein
Gesetz, als sich selbst. Sie ist göttlich durch sich selbst; sie
bedarf nicht der Weihe des Glaubens; sie kann nur durch
sich selbst begründet
werden. Die Liebe, die durch den
Glauben gebunden, ist eine engherzige, falsche, dem Be-
griffe der Liebe, d. h. sich selbst widersprechende Liebe,
eine scheinheilige Liebe, denn sie birgt den Haß des Glau-
bens in sich; sie ist nur gut, so lange der Glaube nicht ver-
letzt wird. In diesem Widerspruch mit sich selbst, verfällt
sie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die
teuflischsten Sophismen, wie Augustin in seiner Apologie der
Ketzerverfolgungen. Die Liebe ist beschränkt durch den
Glauben
; sie findet daher auch die Handlungen der Lieb-
losigkeit
, die der Glaube gestattet, nicht im Widerspruch
mit sich
; sie legt die Handlungen des Hasses, die um
des Glaubens willen geschehen, als Handlungen der Liebe
aus. Und sie verfällt nothwendig auf solche Widersprüche,
weil es schon an und für sich ein Widerspruch ist, daß die
Liebe durch den Glauben beschränkt ist. Duldet sie einmal
diese Schranke
, so hat sie ihr eignes Urtheil, ihr einge-
bornes Maaß und Kriterium
, ihre Selbstständigkeit
aufgegeben; sie ist den Einflüsterungen des Glaubens
widerstandlos preis gegeben.

*) Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschrän-
kung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intel-

Nothwendig mußte ſich dieſer theoretiſche Widerſpruch
auch praktiſch bethätigen. Nothwendig; denn die Liebe iſt
im Chriſtenthum befleckt durch den Glauben, ſie iſt nicht frei,
nicht wahrhaft erfaßt. Eine Liebe, die durch den Glauben
beſchränkt
, iſt eine unwahre Liebe*). Die Liebe kennt kein
Geſetz, als ſich ſelbſt. Sie iſt göttlich durch ſich ſelbſt; ſie
bedarf nicht der Weihe des Glaubens; ſie kann nur durch
ſich ſelbſt begründet
werden. Die Liebe, die durch den
Glauben gebunden, iſt eine engherzige, falſche, dem Be-
griffe der Liebe, d. h. ſich ſelbſt widerſprechende Liebe,
eine ſcheinheilige Liebe, denn ſie birgt den Haß des Glau-
bens in ſich; ſie iſt nur gut, ſo lange der Glaube nicht ver-
letzt wird. In dieſem Widerſpruch mit ſich ſelbſt, verfällt
ſie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die
teufliſchſten Sophismen, wie Auguſtin in ſeiner Apologie der
Ketzerverfolgungen. Die Liebe iſt beſchränkt durch den
Glauben
; ſie findet daher auch die Handlungen der Lieb-
loſigkeit
, die der Glaube geſtattet, nicht im Widerſpruch
mit ſich
; ſie legt die Handlungen des Haſſes, die um
des Glaubens willen geſchehen, als Handlungen der Liebe
aus. Und ſie verfällt nothwendig auf ſolche Widerſprüche,
weil es ſchon an und für ſich ein Widerſpruch iſt, daß die
Liebe durch den Glauben beſchränkt iſt. Duldet ſie einmal
dieſe Schranke
, ſo hat ſie ihr eignes Urtheil, ihr einge-
bornes Maaß und Kriterium
, ihre Selbſtſtändigkeit
aufgegeben; ſie iſt den Einflüſterungen des Glaubens
widerſtandlos preis gegeben.

*) Die einzige dem Weſen der Liebe nicht widerſprechende Beſchrän-
kung iſt die Selbſtbeſchränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intel-
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[362/0380] Nothwendig mußte ſich dieſer theoretiſche Widerſpruch auch praktiſch bethätigen. Nothwendig; denn die Liebe iſt im Chriſtenthum befleckt durch den Glauben, ſie iſt nicht frei, nicht wahrhaft erfaßt. Eine Liebe, die durch den Glauben beſchränkt, iſt eine unwahre Liebe *). Die Liebe kennt kein Geſetz, als ſich ſelbſt. Sie iſt göttlich durch ſich ſelbſt; ſie bedarf nicht der Weihe des Glaubens; ſie kann nur durch ſich ſelbſt begründet werden. Die Liebe, die durch den Glauben gebunden, iſt eine engherzige, falſche, dem Be- griffe der Liebe, d. h. ſich ſelbſt widerſprechende Liebe, eine ſcheinheilige Liebe, denn ſie birgt den Haß des Glau- bens in ſich; ſie iſt nur gut, ſo lange der Glaube nicht ver- letzt wird. In dieſem Widerſpruch mit ſich ſelbſt, verfällt ſie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die teufliſchſten Sophismen, wie Auguſtin in ſeiner Apologie der Ketzerverfolgungen. Die Liebe iſt beſchränkt durch den Glauben; ſie findet daher auch die Handlungen der Lieb- loſigkeit, die der Glaube geſtattet, nicht im Widerſpruch mit ſich; ſie legt die Handlungen des Haſſes, die um des Glaubens willen geſchehen, als Handlungen der Liebe aus. Und ſie verfällt nothwendig auf ſolche Widerſprüche, weil es ſchon an und für ſich ein Widerſpruch iſt, daß die Liebe durch den Glauben beſchränkt iſt. Duldet ſie einmal dieſe Schranke, ſo hat ſie ihr eignes Urtheil, ihr einge- bornes Maaß und Kriterium, ihre Selbſtſtändigkeit aufgegeben; ſie iſt den Einflüſterungen des Glaubens widerſtandlos preis gegeben. *) Die einzige dem Weſen der Liebe nicht widerſprechende Beſchrän- kung iſt die Selbſtbeſchränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intel-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/380>, abgerufen am 12.05.2024.