Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

was dieses geheimnißvolle Etwas ist. Aber der Glaube ist stärker,
als die Erfahrung. Die wider ihn sprechenden Instanzen stören
den Glauben nicht in seinem Glauben; er ist selig in sich; er
hat nur Augen für sich, allem Andern außer ihm verschlossen.

Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt
ihres mystischen Materialismus immer zugleich das Moment
der Subjectivität, so auch bei den Sacramenten, aber hierin
eben offenbart sich ihr Widerspruch mit sich selbst. Und
dieser Widerspruch tritt besonders grell in dem Sacrament des
Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch schon den
Kindern zu Gute, ob man gleich auch selbst bei ihr, als Be-
dingung ihrer Wirksamkeit, das Moment der Subjectivität
geltend gemacht, aber sonderbarer Weise in den Glauben An-
derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter
verlegt hat. Der Gegenstand des Sacramentes des Abend-
mahls ist nämlich der Leib Christi selbst. Aber gleichwohl
wird der Glaube, die Gesinnung des Menschen dazu erfordert,
daß die entsprechende Wirkung dieses Leibes statt findet. Habe
ich nicht die entsprechende Gesinnung, so wirkt dieser Leib nicht
anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es ist ein
Object da; es ist der Leib Gottes selbst; aber die Wirkung
ist keine objective, keine leibliche, sondern geistige, d. i.
subjective, nur von mir selbst abhängige. Wir haben hier
wieder nur in einem sinnfälligen Beispiele, was wir überhaupt
im Wesen der Religion fanden. Das Object oder Subject
in der religiösen Sytaxe ist immer ein wirkliches menschliches
oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be-
stimmung, das wesentliche Prädicat dieses Prädicats wird
negirt. Das Subject ist ein sinnliches, das Prädicat aber
ein nicht sinnliches d. h. diesem Subjecte widersprechendes.

was dieſes geheimnißvolle Etwas iſt. Aber der Glaube iſt ſtärker,
als die Erfahrung. Die wider ihn ſprechenden Inſtanzen ſtören
den Glauben nicht in ſeinem Glauben; er iſt ſelig in ſich; er
hat nur Augen für ſich, allem Andern außer ihm verſchloſſen.

Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt
ihres myſtiſchen Materialismus immer zugleich das Moment
der Subjectivität, ſo auch bei den Sacramenten, aber hierin
eben offenbart ſich ihr Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Und
dieſer Widerſpruch tritt beſonders grell in dem Sacrament des
Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch ſchon den
Kindern zu Gute, ob man gleich auch ſelbſt bei ihr, als Be-
dingung ihrer Wirkſamkeit, das Moment der Subjectivität
geltend gemacht, aber ſonderbarer Weiſe in den Glauben An-
derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter
verlegt hat. Der Gegenſtand des Sacramentes des Abend-
mahls iſt nämlich der Leib Chriſti ſelbſt. Aber gleichwohl
wird der Glaube, die Geſinnung des Menſchen dazu erfordert,
daß die entſprechende Wirkung dieſes Leibes ſtatt findet. Habe
ich nicht die entſprechende Geſinnung, ſo wirkt dieſer Leib nicht
anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es iſt ein
Object da; es iſt der Leib Gottes ſelbſt; aber die Wirkung
iſt keine objective, keine leibliche, ſondern geiſtige, d. i.
ſubjective, nur von mir ſelbſt abhängige. Wir haben hier
wieder nur in einem ſinnfälligen Beiſpiele, was wir überhaupt
im Weſen der Religion fanden. Das Object oder Subject
in der religiöſen Sytaxe iſt immer ein wirkliches menſchliches
oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be-
ſtimmung, das weſentliche Prädicat dieſes Prädicats wird
negirt. Das Subject iſt ein ſinnliches, das Prädicat aber
ein nicht ſinnliches d. h. dieſem Subjecte widerſprechendes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="326"/>
was die&#x017F;es geheimnißvolle Etwas i&#x017F;t. Aber der Glaube i&#x017F;t &#x017F;tärker,<lb/>
als die Erfahrung. Die wider ihn &#x017F;prechenden In&#x017F;tanzen &#x017F;tören<lb/>
den Glauben nicht in &#x017F;einem Glauben; er i&#x017F;t &#x017F;elig in &#x017F;ich; er<lb/>
hat nur Augen <hi rendition="#g">für &#x017F;ich</hi>, allem Andern außer ihm ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt<lb/>
ihres my&#x017F;ti&#x017F;chen Materialismus immer zugleich das Moment<lb/>
der Subjectivität, &#x017F;o auch bei den Sacramenten, aber hierin<lb/>
eben offenbart &#x017F;ich ihr <hi rendition="#g">Wider&#x017F;pruch mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>. Und<lb/>
die&#x017F;er Wider&#x017F;pruch tritt be&#x017F;onders grell in dem Sacrament des<lb/>
Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch &#x017F;chon den<lb/>
Kindern zu Gute, ob man gleich auch &#x017F;elb&#x017F;t bei ihr, als Be-<lb/>
dingung ihrer Wirk&#x017F;amkeit, das Moment der Subjectivität<lb/>
geltend gemacht, aber &#x017F;onderbarer Wei&#x017F;e in den Glauben An-<lb/>
derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter<lb/>
verlegt hat. Der Gegen&#x017F;tand des Sacramentes des Abend-<lb/>
mahls i&#x017F;t nämlich der <hi rendition="#g">Leib</hi> Chri&#x017F;ti &#x017F;elb&#x017F;t. Aber gleichwohl<lb/>
wird der Glaube, die Ge&#x017F;innung des Men&#x017F;chen dazu erfordert,<lb/>
daß die ent&#x017F;prechende Wirkung die&#x017F;es Leibes &#x017F;tatt findet. Habe<lb/>
ich nicht die ent&#x017F;prechende Ge&#x017F;innung, &#x017F;o wirkt die&#x017F;er Leib nicht<lb/>
anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es i&#x017F;t ein<lb/><hi rendition="#g">Object</hi> da; es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> der Leib Gottes &#x017F;elb&#x017F;t; aber die Wirkung<lb/>
i&#x017F;t keine <hi rendition="#g">objective</hi>, keine <hi rendition="#g">leibliche</hi>, &#x017F;ondern gei&#x017F;tige, d. i.<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ubjective</hi>, nur von mir &#x017F;elb&#x017F;t abhängige. Wir haben hier<lb/>
wieder nur in einem &#x017F;innfälligen Bei&#x017F;piele, was wir überhaupt<lb/>
im We&#x017F;en der Religion fanden. Das Object oder Subject<lb/>
in der religiö&#x017F;en Sytaxe i&#x017F;t immer ein wirkliches men&#x017F;chliches<lb/>
oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be-<lb/>
&#x017F;timmung, das <hi rendition="#g">we&#x017F;entliche Prädicat</hi> die&#x017F;es Prädicats wird<lb/>
negirt. Das Subject i&#x017F;t ein &#x017F;innliches, das Prädicat aber<lb/>
ein <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;innliches d. h. die&#x017F;em Subjecte <hi rendition="#g">wider&#x017F;prechendes</hi>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0344] was dieſes geheimnißvolle Etwas iſt. Aber der Glaube iſt ſtärker, als die Erfahrung. Die wider ihn ſprechenden Inſtanzen ſtören den Glauben nicht in ſeinem Glauben; er iſt ſelig in ſich; er hat nur Augen für ſich, allem Andern außer ihm verſchloſſen. Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt ihres myſtiſchen Materialismus immer zugleich das Moment der Subjectivität, ſo auch bei den Sacramenten, aber hierin eben offenbart ſich ihr Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Und dieſer Widerſpruch tritt beſonders grell in dem Sacrament des Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch ſchon den Kindern zu Gute, ob man gleich auch ſelbſt bei ihr, als Be- dingung ihrer Wirkſamkeit, das Moment der Subjectivität geltend gemacht, aber ſonderbarer Weiſe in den Glauben An- derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter verlegt hat. Der Gegenſtand des Sacramentes des Abend- mahls iſt nämlich der Leib Chriſti ſelbſt. Aber gleichwohl wird der Glaube, die Geſinnung des Menſchen dazu erfordert, daß die entſprechende Wirkung dieſes Leibes ſtatt findet. Habe ich nicht die entſprechende Geſinnung, ſo wirkt dieſer Leib nicht anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es iſt ein Object da; es iſt der Leib Gottes ſelbſt; aber die Wirkung iſt keine objective, keine leibliche, ſondern geiſtige, d. i. ſubjective, nur von mir ſelbſt abhängige. Wir haben hier wieder nur in einem ſinnfälligen Beiſpiele, was wir überhaupt im Weſen der Religion fanden. Das Object oder Subject in der religiöſen Sytaxe iſt immer ein wirkliches menſchliches oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be- ſtimmung, das weſentliche Prädicat dieſes Prädicats wird negirt. Das Subject iſt ein ſinnliches, das Prädicat aber ein nicht ſinnliches d. h. dieſem Subjecte widerſprechendes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/344
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/344>, abgerufen am 24.11.2024.