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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Gnade des heiligen Geistes. Nichts ist verkehrter, als das
Wunder mit der Lehr- und Denkfreiheit, die Gnade mit der
Willensfreiheit vermitteln zu wollen. Die Religion scheidet
das Wesen des Menschen vom Menschen. Die Thätigkeit
Gottes ist die entäußerte Selbstthätigkeit des Menschen. Gott
handelt statt des Menschen: der Mensch verhält sich nur passiv,
weil er sein Selbst außer sich, in Gott setzt.

Es ist die größte Inconsequenz, wenn man die Erfahrung,
daß die Menschen durch die heilige Taufe nicht geheiligt, nicht
umgewandelt werden, als ein Argument gegen den Glau-
ben an eine wunderbare Wirkung der Taufe anführt, wie dieß
von rationalistisch-orthodoxen Theologen geschehen ist *); denn
auch die Wunder, auch die objective Kraft des Gebetes, über-
haupt alle übernatürlichen Wahrheiten der Religion widerspre-
chen der Erfahrung. Wer sich auf die Erfahrung beruft, der
verzichte auf den Glauben. Wo die Erfahrung eine Instanz
ist, da ist der religiöse Glaube und Sinn bereits verschwunden.
Die objective Kraft des Gebets läugnet der Ungläubige nur
deßwegen, weil sie der Erfahrung widerspricht, der Atheist geht
noch weiter, er läugnet selbst die Existenz Gottes, weil er sie
in der Erfahrung nicht findet. Die innere Erfahrung ist ihm
kein Anstoß; denn was Du in Dir selbst erfährst von einem
andern Wesen, das beweist nur, daß Etwas in Dir ist, was
nicht Du selbst bist, was unabhängig von Deinem persönlichen
Willen und Bewußtsein auf Dich wirkt, ohne daß Du weißt,

*) Freilich trotzte auch schon den ältern unbedingt gläubigen Theolo-
gen die Erfahrung das Geständniß ab, daß die Wirkungen der Taufe we-
nigstens in diesem Leben sehr beschränkt seien. Baptismus non aufert
omnes poenalitates hujus vitae. Mezger. Theol. schol. T. IV. p
. 251. S.
auch Petrus L. l. IV. dist. 4. c. 4. l. II. dist. 32. c. 1.

Gnade des heiligen Geiſtes. Nichts iſt verkehrter, als das
Wunder mit der Lehr- und Denkfreiheit, die Gnade mit der
Willensfreiheit vermitteln zu wollen. Die Religion ſcheidet
das Weſen des Menſchen vom Menſchen. Die Thätigkeit
Gottes iſt die entäußerte Selbſtthätigkeit des Menſchen. Gott
handelt ſtatt des Menſchen: der Menſch verhält ſich nur paſſiv,
weil er ſein Selbſt außer ſich, in Gott ſetzt.

Es iſt die größte Inconſequenz, wenn man die Erfahrung,
daß die Menſchen durch die heilige Taufe nicht geheiligt, nicht
umgewandelt werden, als ein Argument gegen den Glau-
ben an eine wunderbare Wirkung der Taufe anführt, wie dieß
von rationaliſtiſch-orthodoxen Theologen geſchehen iſt *); denn
auch die Wunder, auch die objective Kraft des Gebetes, über-
haupt alle übernatürlichen Wahrheiten der Religion widerſpre-
chen der Erfahrung. Wer ſich auf die Erfahrung beruft, der
verzichte auf den Glauben. Wo die Erfahrung eine Inſtanz
iſt, da iſt der religiöſe Glaube und Sinn bereits verſchwunden.
Die objective Kraft des Gebets läugnet der Ungläubige nur
deßwegen, weil ſie der Erfahrung widerſpricht, der Atheiſt geht
noch weiter, er läugnet ſelbſt die Exiſtenz Gottes, weil er ſie
in der Erfahrung nicht findet. Die innere Erfahrung iſt ihm
kein Anſtoß; denn was Du in Dir ſelbſt erfährſt von einem
andern Weſen, das beweiſt nur, daß Etwas in Dir iſt, was
nicht Du ſelbſt biſt, was unabhängig von Deinem perſönlichen
Willen und Bewußtſein auf Dich wirkt, ohne daß Du weißt,

*) Freilich trotzte auch ſchon den ältern unbedingt gläubigen Theolo-
gen die Erfahrung das Geſtändniß ab, daß die Wirkungen der Taufe we-
nigſtens in dieſem Leben ſehr beſchränkt ſeien. Baptismus non aufert
omnes poenalitates hujus vitae. Mezger. Theol. schol. T. IV. p
. 251. S.
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[325/0343] Gnade des heiligen Geiſtes. Nichts iſt verkehrter, als das Wunder mit der Lehr- und Denkfreiheit, die Gnade mit der Willensfreiheit vermitteln zu wollen. Die Religion ſcheidet das Weſen des Menſchen vom Menſchen. Die Thätigkeit Gottes iſt die entäußerte Selbſtthätigkeit des Menſchen. Gott handelt ſtatt des Menſchen: der Menſch verhält ſich nur paſſiv, weil er ſein Selbſt außer ſich, in Gott ſetzt. Es iſt die größte Inconſequenz, wenn man die Erfahrung, daß die Menſchen durch die heilige Taufe nicht geheiligt, nicht umgewandelt werden, als ein Argument gegen den Glau- ben an eine wunderbare Wirkung der Taufe anführt, wie dieß von rationaliſtiſch-orthodoxen Theologen geſchehen iſt *); denn auch die Wunder, auch die objective Kraft des Gebetes, über- haupt alle übernatürlichen Wahrheiten der Religion widerſpre- chen der Erfahrung. Wer ſich auf die Erfahrung beruft, der verzichte auf den Glauben. Wo die Erfahrung eine Inſtanz iſt, da iſt der religiöſe Glaube und Sinn bereits verſchwunden. Die objective Kraft des Gebets läugnet der Ungläubige nur deßwegen, weil ſie der Erfahrung widerſpricht, der Atheiſt geht noch weiter, er läugnet ſelbſt die Exiſtenz Gottes, weil er ſie in der Erfahrung nicht findet. Die innere Erfahrung iſt ihm kein Anſtoß; denn was Du in Dir ſelbſt erfährſt von einem andern Weſen, das beweiſt nur, daß Etwas in Dir iſt, was nicht Du ſelbſt biſt, was unabhängig von Deinem perſönlichen Willen und Bewußtſein auf Dich wirkt, ohne daß Du weißt, *) Freilich trotzte auch ſchon den ältern unbedingt gläubigen Theolo- gen die Erfahrung das Geſtändniß ab, daß die Wirkungen der Taufe we- nigſtens in dieſem Leben ſehr beſchränkt ſeien. Baptismus non aufert omnes poenalitates hujus vitae. Mezger. Theol. schol. T. IV. p. 251. S. auch Petrus L. l. IV. dist. 4. c. 4. l. II. dist. 32. c. 1.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/343>, abgerufen am 28.11.2024.