zu zeihen, das ist auch keine Sache der Theorie, sondern eine Gewissenssache, kein Wesen der Vernunft, sondern des Ge- müths.
Da nun aber der praktische Standpunkt allein der Stand- punkt der Religion ist, da ihr folglich auch nur der praktische, vorsätzliche, nur nach seinen bewußten, sei es nun physischen oder moralischen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be- ziehung auf diese Zwecke und Bedürfnisse, nicht an sich selbst betrachtende Mensch für den ganzen, wesentlichen Menschen gilt; so fällt ihr Alles, was hinter dem praktischen Bewußt- sein liegt, aber der wesentliche Gegenstand der Theorie ist -- Theorie im ursprünglichsten und allgemeinsten Sinne, im Sinne der theoretischen Anschauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wissenschaft überhaupt -- außer den Menschen und die Natur hinaus in ein besonderes persönliches Wesen. Alles Gute, doch hauptsächlich nur solches, welches unwill- kührlich den Menschen ergreift, welches sich nicht zusammen- reimt mit Vorsatz und Absicht, welches über die Gränzen des praktischen Bewußtseins hinausgeht, kommt von Gott; alles Schlimme, Böse, Ueble, doch hauptsächlich nur solches, welches ihn unwillkührlich mitten in seinen besten moralischen Vorsätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel. Zur Erkenntniß des Wesens der Religion gehört die Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man
*) Ueber die biblischen Vorstellungen vom Satan, seiner Macht und Wirkung s. Lützelberger's Grundzüge der Paulinischen Glaubenslehre und G. Ch. Knapp's Vorles. über d. christl. Glaubensl. §. 62--65. Hieher gehören auch die dämonischen Krankheiten, die Teufelsbesitzungen. Auch diese Krankheiten sind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung, begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).
zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine Gewiſſensſache, kein Weſen der Vernunft, ſondern des Ge- müths.
Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand- punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche, vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be- ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt- ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt — Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und die Natur hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen. Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill- kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen- reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man
*) Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62—65. Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen. Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung, begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).
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zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine
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müths.
Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand-
punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche,
vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen
oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be-
ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt
betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen
gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt-
ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt —
Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne
der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft,
der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und
die Natur hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen.
Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill-
kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen-
reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des
praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles
Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches
ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen
überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom
Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die
Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man
*) Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und
Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre
und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62—65.
Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen.
Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung,
begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/269>, abgerufen am 23.07.2024.
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