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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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dem Kopfe geschlagen; er hält es nur noch fest, entweder weil
er über solche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur
noch ein Herzensbedürfniß ist; aber er schiebt es, zu sehr er-
füllt mit realen Dingen, so weit als möglich sich aus dem
Gesichte; er negirt mit seinem Kopfe, was er mit seinem
Herzen bejaht; denn er negirt das Jenseits, indem er dem-
selben seine Beschaffenheiten nimmt, durch die allein ein
Gegenstand ein für den Menschen wirklicher und wirksamer ist.
Die Qualität ist nicht vom Sein unterschieden -- die Quali-
tät ist nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beschaf-
fenheit ist eine Chimäre -- ein Gespenst. Durch die Qualität
wird mir erst das Sein gegeben; nicht erst das Sein und hin-
tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und
Unbestimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforschlichkeit
des Jenseits sind daher keine ursprünglich religiösen Lehren:
sie sind vielmehr Producte der Irreligiosität, die aber selbst
noch in der Religion befangen ist oder vielmehr hinter der
Religion sich versteckt, und zwar eben deßwegen, weil ursprüng-
lich das Sein Gottes nur mit einer bestimmten Vorstel-
lung Gottes, das Sein des Jenseits
nur mit einer be-
stimmten Vorstellung
desselben gegeben ist. So ist dem
Christen nur die Existenz seines Paradieses, des Paradieses,
welches die Qualität der Christlichkeit hat, nicht aber das
Paradies der Muhamedaner oder das Elysium der Griechen
eine Gewißheit. Die erste Gewißheit ist überall die Quali-
tät; das Sein versteht sich von selbst, wenn einmal die Qua-
lität gewiß ist. Im Neuen Testament kommen keine Beweise
oder solche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es ist ein
Gott oder es ist ein himmlisches Leben; sondern es werden
nur Beschaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt:

dem Kopfe geſchlagen; er hält es nur noch feſt, entweder weil
er über ſolche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur
noch ein Herzensbedürfniß iſt; aber er ſchiebt es, zu ſehr er-
füllt mit realen Dingen, ſo weit als möglich ſich aus dem
Geſichte; er negirt mit ſeinem Kopfe, was er mit ſeinem
Herzen bejaht; denn er negirt das Jenſeits, indem er dem-
ſelben ſeine Beſchaffenheiten nimmt, durch die allein ein
Gegenſtand ein für den Menſchen wirklicher und wirkſamer iſt.
Die Qualität iſt nicht vom Sein unterſchieden — die Quali-
tät iſt nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beſchaf-
fenheit iſt eine Chimäre — ein Geſpenſt. Durch die Qualität
wird mir erſt das Sein gegeben; nicht erſt das Sein und hin-
tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und
Unbeſtimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforſchlichkeit
des Jenſeits ſind daher keine urſprünglich religiöſen Lehren:
ſie ſind vielmehr Producte der Irreligioſität, die aber ſelbſt
noch in der Religion befangen iſt oder vielmehr hinter der
Religion ſich verſteckt, und zwar eben deßwegen, weil urſprüng-
lich das Sein Gottes nur mit einer beſtimmten Vorſtel-
lung Gottes, das Sein des Jenſeits
nur mit einer be-
ſtimmten Vorſtellung
deſſelben gegeben iſt. So iſt dem
Chriſten nur die Exiſtenz ſeines Paradieſes, des Paradieſes,
welches die Qualität der Chriſtlichkeit hat, nicht aber das
Paradies der Muhamedaner oder das Elyſium der Griechen
eine Gewißheit. Die erſte Gewißheit iſt überall die Quali-
tät; das Sein verſteht ſich von ſelbſt, wenn einmal die Qua-
lität gewiß iſt. Im Neuen Teſtament kommen keine Beweiſe
oder ſolche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es iſt ein
Gott oder es iſt ein himmliſches Leben; ſondern es werden
nur Beſchaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt:

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[234/0252] dem Kopfe geſchlagen; er hält es nur noch feſt, entweder weil er über ſolche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur noch ein Herzensbedürfniß iſt; aber er ſchiebt es, zu ſehr er- füllt mit realen Dingen, ſo weit als möglich ſich aus dem Geſichte; er negirt mit ſeinem Kopfe, was er mit ſeinem Herzen bejaht; denn er negirt das Jenſeits, indem er dem- ſelben ſeine Beſchaffenheiten nimmt, durch die allein ein Gegenſtand ein für den Menſchen wirklicher und wirkſamer iſt. Die Qualität iſt nicht vom Sein unterſchieden — die Quali- tät iſt nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beſchaf- fenheit iſt eine Chimäre — ein Geſpenſt. Durch die Qualität wird mir erſt das Sein gegeben; nicht erſt das Sein und hin- tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und Unbeſtimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforſchlichkeit des Jenſeits ſind daher keine urſprünglich religiöſen Lehren: ſie ſind vielmehr Producte der Irreligioſität, die aber ſelbſt noch in der Religion befangen iſt oder vielmehr hinter der Religion ſich verſteckt, und zwar eben deßwegen, weil urſprüng- lich das Sein Gottes nur mit einer beſtimmten Vorſtel- lung Gottes, das Sein des Jenſeits nur mit einer be- ſtimmten Vorſtellung deſſelben gegeben iſt. So iſt dem Chriſten nur die Exiſtenz ſeines Paradieſes, des Paradieſes, welches die Qualität der Chriſtlichkeit hat, nicht aber das Paradies der Muhamedaner oder das Elyſium der Griechen eine Gewißheit. Die erſte Gewißheit iſt überall die Quali- tät; das Sein verſteht ſich von ſelbſt, wenn einmal die Qua- lität gewiß iſt. Im Neuen Teſtament kommen keine Beweiſe oder ſolche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es iſt ein Gott oder es iſt ein himmliſches Leben; ſondern es werden nur Beſchaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt:

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/252>, abgerufen am 11.05.2024.