das Herz. Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens ist das Licht der Erkennt- niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten, die Vollkommenheiten des mensch- lichen Wesens, ja absolute Wesensvollkommenheiten. Wollen, Lieben, Denken sind die höchsten Kräfte, sind das absolute Wesen des Menschen qua talis, als Menschen, und der Grund seines Daseins. Der Mensch ist, um zu denken, um zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, ist auch der wahre Grund und Ursprung eines Wesens. Aber was ist der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willensfreiheit. Wir denken, um zu denken, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu sein. Wahres Wesen ist denkendes, liebendes, wollendes Wesen. Wahr, vollkommen, göttlich ist nur, was um sein selbst willen ist. Aber so ist die Liebe, so die Vernunft, so der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menschen über dem individuellen Menschen ist die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (in ihren sinnlichen Formen: Einbildungs- kraft, Phantasie, Vorstellung, Meinung)*), Wille, Liebe oder Herz sind keine Kräfte, welche der Mensch hat -- denn er ist nichts ohne sie, er ist, was er ist, nur durch sie -- sie sind als die sein Wesen, welches er weder hat, noch macht, constituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be- seelenden, bestimmenden, beherrschenden Mächte --
*)Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au prix de la vie. Montaigne.
das Herz. Zu einem vollkommenen Menſchen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens. Die Kraft des Denkens iſt das Licht der Erkennt- niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft ſind Vollkommenheiten, die Vollkommenheiten des menſch- lichen Weſens, ja abſolute Weſensvollkommenheiten. Wollen, Lieben, Denken ſind die höchſten Kräfte, ſind das abſolute Weſen des Menſchen qua talis, als Menſchen, und der Grund ſeines Daſeins. Der Menſch iſt, um zu denken, um zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, iſt auch der wahre Grund und Urſprung eines Weſens. Aber was iſt der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe. Des Willens? die Willensfreiheit. Wir denken, um zu denken, lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu ſein. Wahres Weſen iſt denkendes, liebendes, wollendes Weſen. Wahr, vollkommen, göttlich iſt nur, was um ſein ſelbſt willen iſt. Aber ſo iſt die Liebe, ſo die Vernunft, ſo der Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menſchen über dem individuellen Menſchen iſt die Einheit von Vernunft, Liebe, Wille. Vernunft (in ihren ſinnlichen Formen: Einbildungs- kraft, Phantaſie, Vorſtellung, Meinung)*), Wille, Liebe oder Herz ſind keine Kräfte, welche der Menſch hat — denn er iſt nichts ohne ſie, er iſt, was er iſt, nur durch ſie — ſie ſind als die ſein Weſen, welches er weder hat, noch macht, conſtituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be- ſeelenden, beſtimmenden, beherrſchenden Mächte —
*)Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au prix de la vie. Montaigne.
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das Herz. Zu einem vollkommenen Menſchen gehört die
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Herzens. Die Kraft des Denkens iſt das Licht der Erkennt-
niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die
Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft
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Wollen, Lieben, Denken ſind die höchſten Kräfte, ſind das
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der wahre Grund und Urſprung eines Weſens. Aber was iſt
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Wahres Weſen iſt denkendes, liebendes, wollendes Weſen.
Wahr, vollkommen, göttlich iſt nur, was um ſein ſelbſt
willen iſt. Aber ſo iſt die Liebe, ſo die Vernunft, ſo der
Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menſchen über dem
individuellen Menſchen iſt die Einheit von Vernunft, Liebe,
Wille. Vernunft (in ihren ſinnlichen Formen: Einbildungs-
kraft, Phantaſie, Vorſtellung, Meinung) *), Wille, Liebe
oder Herz ſind keine Kräfte, welche der Menſch hat — denn
er iſt nichts ohne ſie, er iſt, was er iſt, nur durch ſie — ſie
ſind als die ſein Weſen, welches er weder hat, noch macht,
conſtituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be-
ſeelenden, beſtimmenden, beherrſchenden Mächte —
*) Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au
prix de la vie. Montaigne.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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