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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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hung*); Er ist das Herz, das aller drückenden Schranken,
aller Leiden frei und ledig ist, das selige Gemüth -- die
sichtbare Gottheit.

Gott zu sehen, dieß ist der höchste Wunsch, der höchste
Triumph des Herzens. Christus ist dieser erfüllte Wunsch,
dieser Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkwesen, d. i.
Gott als Gott ist immer nur ein entferntes Wesen, das
Verhältniß zu ihm ein abstractes, gleich dem Freundschafts-
verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per-
sönlich uns unbekannten Menschen stehen. So sehr auch seine
Werke, die Beweise von Liebe, die er uns gibt, uns sein We-
sen vergegenwärtigen; es bleibt doch stets eine unausgefüllte
Lücke, das Herz unbefriedigt; wir sehnen uns darnach, ihn zu
sehen. So lange uns ein Wesen nicht von Angesicht zu An-
gesicht bekannt ist, sind wir doch immer noch im Zweifel, ob
es wohl ist und so ist, wie wir es vorstellen; erst im Sehen
liegt die letzte Zuversicht, die vollständige Beruhigung. Chri-
stus ist der persönlich bekannte Gott, Christus daher die
selige Gewißheit, daß Gott ist und so ist, wie es das Ge-
müth will und bedarf, daß er ist. Gott als Gegenstand des
Gebets ist wohl schon ein menschliches Wesen, indem er an
menschlichem Elend Theil nimmt, menschliche Wünsche erhört,
aber er ist doch noch nicht als wirklicher Mensch dem reli-
giösen Bewußtsein Gegenstand. Erst in Christus ist daher der
letzte Wunsch der Religion realisirt, das Geheimniß des reli-
giösen Gemüthes aufgelöst -- aufgelöst aber in der der Re-
ligion eigenthümlichen Bildersprache -- denn, was Gott

*) Quod est Christus, erimus Christiani, si Christum
fuerimus sequuti. C. Cyprianus de idolorum vanitate. cap. 7.

hung*); Er iſt das Herz, das aller drückenden Schranken,
aller Leiden frei und ledig iſt, das ſelige Gemüth — die
ſichtbare Gottheit.

Gott zu ſehen, dieß iſt der höchſte Wunſch, der höchſte
Triumph des Herzens. Chriſtus iſt dieſer erfüllte Wunſch,
dieſer Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkweſen, d. i.
Gott als Gott iſt immer nur ein entferntes Weſen, das
Verhältniß zu ihm ein abſtractes, gleich dem Freundſchafts-
verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per-
ſönlich uns unbekannten Menſchen ſtehen. So ſehr auch ſeine
Werke, die Beweiſe von Liebe, die er uns gibt, uns ſein We-
ſen vergegenwärtigen; es bleibt doch ſtets eine unausgefüllte
Lücke, das Herz unbefriedigt; wir ſehnen uns darnach, ihn zu
ſehen. So lange uns ein Weſen nicht von Angeſicht zu An-
geſicht bekannt iſt, ſind wir doch immer noch im Zweifel, ob
es wohl iſt und ſo iſt, wie wir es vorſtellen; erſt im Sehen
liegt die letzte Zuverſicht, die vollſtändige Beruhigung. Chri-
ſtus iſt der perſönlich bekannte Gott, Chriſtus daher die
ſelige Gewißheit, daß Gott iſt und ſo iſt, wie es das Ge-
müth will und bedarf, daß er iſt. Gott als Gegenſtand des
Gebets iſt wohl ſchon ein menſchliches Weſen, indem er an
menſchlichem Elend Theil nimmt, menſchliche Wünſche erhört,
aber er iſt doch noch nicht als wirklicher Menſch dem reli-
giöſen Bewußtſein Gegenſtand. Erſt in Chriſtus iſt daher der
letzte Wunſch der Religion realiſirt, das Geheimniß des reli-
giöſen Gemüthes aufgelöſt — aufgelöſt aber in der der Re-
ligion eigenthümlichen Bilderſprache — denn, was Gott

*) Quod est Christus, erimus Christiani, si Christum
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[190/0208] hung *); Er iſt das Herz, das aller drückenden Schranken, aller Leiden frei und ledig iſt, das ſelige Gemüth — die ſichtbare Gottheit. Gott zu ſehen, dieß iſt der höchſte Wunſch, der höchſte Triumph des Herzens. Chriſtus iſt dieſer erfüllte Wunſch, dieſer Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkweſen, d. i. Gott als Gott iſt immer nur ein entferntes Weſen, das Verhältniß zu ihm ein abſtractes, gleich dem Freundſchafts- verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per- ſönlich uns unbekannten Menſchen ſtehen. So ſehr auch ſeine Werke, die Beweiſe von Liebe, die er uns gibt, uns ſein We- ſen vergegenwärtigen; es bleibt doch ſtets eine unausgefüllte Lücke, das Herz unbefriedigt; wir ſehnen uns darnach, ihn zu ſehen. So lange uns ein Weſen nicht von Angeſicht zu An- geſicht bekannt iſt, ſind wir doch immer noch im Zweifel, ob es wohl iſt und ſo iſt, wie wir es vorſtellen; erſt im Sehen liegt die letzte Zuverſicht, die vollſtändige Beruhigung. Chri- ſtus iſt der perſönlich bekannte Gott, Chriſtus daher die ſelige Gewißheit, daß Gott iſt und ſo iſt, wie es das Ge- müth will und bedarf, daß er iſt. Gott als Gegenſtand des Gebets iſt wohl ſchon ein menſchliches Weſen, indem er an menſchlichem Elend Theil nimmt, menſchliche Wünſche erhört, aber er iſt doch noch nicht als wirklicher Menſch dem reli- giöſen Bewußtſein Gegenſtand. Erſt in Chriſtus iſt daher der letzte Wunſch der Religion realiſirt, das Geheimniß des reli- giöſen Gemüthes aufgelöſt — aufgelöſt aber in der der Re- ligion eigenthümlichen Bilderſprache — denn, was Gott *) Quod est Christus, erimus Christiani, si Christum fuerimus sequuti. C. Cyprianus de idolorum vanitate. cap. 7.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/208>, abgerufen am 27.04.2024.