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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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geschehen, was Du erst machen willst. Du hast Dich nur pas-
siv
zu verhalten, Du brauchst nur zu glauben, nur zu genie-
ßen. Du willst Dir Gott geneigt machen, seinen Zorn be-
schwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewissen. Aber die-
ser Friede existirt schon; dieser Friede ist der Mittler, der Gott-
mensch -- Er ist Dein beschwichtigtes Gewissen, Er die Erfül-
lung des Gesetzes und damit die Erfüllung Deines eignen
Wunsches und Strebens.

Als der Erfüller des Gesetzes ist aber jetzt nicht mehr das
Gesetz, sondern der Erfüller das Muster, die Richtschnur,
das Gesetz Deines Lebens. Wer das Gesetz erfüllt, annullirt
das Gesetz. Das Gesetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der
Gesetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Gesetz vollkommen
erfüllt, der sagt zum Gesetz: was du willst, das will ich von
selbst, und was du nur befiehlst, bekräftige ich durch die That;
mein Leben ist das wahre, das lebendige Gesetz. Der Erfül-
ler des Gesetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge-
setzes, und zwar als ein neues Gesetz, ein Gesetz, dessen Joch
sanft und milde ist. Denn statt des nur commandirenden
Gesetzes stellt er sich selbst als Beispiel, als ein Object
der Liebe
, der Bewunderung und Nacheiferung hin und
wird dadurch zum Erlöser von der Sünde. Das Gesetz gibt
mir nicht die Kraft, das Gesetz zu erfüllen; nein! es ist bar-
barisch; es befiehlt nur, ohne sich darum zu bekümmern, ob ich
es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen soll; es über-
läßt mich rath- und hülflos nur mir selbst. Aber wer mir
mit seinem Beispiel voranleuchtet, der greift mir unter die
Arme, der theilt mir seine eigne Kraft mit. Das Gesetz lei-
stet keinen Widerstand der Sünde, aber Wunder wirkt das
Beispiel. Das Gesetz ist todt; aber das Beispiel animirt,

geſchehen, was Du erſt machen willſt. Du haſt Dich nur paſ-
ſiv
zu verhalten, Du brauchſt nur zu glauben, nur zu genie-
ßen. Du willſt Dir Gott geneigt machen, ſeinen Zorn be-
ſchwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewiſſen. Aber die-
ſer Friede exiſtirt ſchon; dieſer Friede iſt der Mittler, der Gott-
menſch — Er iſt Dein beſchwichtigtes Gewiſſen, Er die Erfül-
lung des Geſetzes und damit die Erfüllung Deines eignen
Wunſches und Strebens.

Als der Erfüller des Geſetzes iſt aber jetzt nicht mehr das
Geſetz, ſondern der Erfüller das Muſter, die Richtſchnur,
das Geſetz Deines Lebens. Wer das Geſetz erfüllt, annullirt
das Geſetz. Das Geſetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der
Geſetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Geſetz vollkommen
erfüllt, der ſagt zum Geſetz: was du willſt, das will ich von
ſelbſt, und was du nur befiehlſt, bekräftige ich durch die That;
mein Leben iſt das wahre, das lebendige Geſetz. Der Erfül-
ler des Geſetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge-
ſetzes, und zwar als ein neues Geſetz, ein Geſetz, deſſen Joch
ſanft und milde iſt. Denn ſtatt des nur commandirenden
Geſetzes ſtellt er ſich ſelbſt als Beiſpiel, als ein Object
der Liebe
, der Bewunderung und Nacheiferung hin und
wird dadurch zum Erlöſer von der Sünde. Das Geſetz gibt
mir nicht die Kraft, das Geſetz zu erfüllen; nein! es iſt bar-
bariſch; es befiehlt nur, ohne ſich darum zu bekümmern, ob ich
es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen ſoll; es über-
läßt mich rath- und hülflos nur mir ſelbſt. Aber wer mir
mit ſeinem Beiſpiel voranleuchtet, der greift mir unter die
Arme, der theilt mir ſeine eigne Kraft mit. Das Geſetz lei-
ſtet keinen Widerſtand der Sünde, aber Wunder wirkt das
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[185/0203] geſchehen, was Du erſt machen willſt. Du haſt Dich nur paſ- ſiv zu verhalten, Du brauchſt nur zu glauben, nur zu genie- ßen. Du willſt Dir Gott geneigt machen, ſeinen Zorn be- ſchwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewiſſen. Aber die- ſer Friede exiſtirt ſchon; dieſer Friede iſt der Mittler, der Gott- menſch — Er iſt Dein beſchwichtigtes Gewiſſen, Er die Erfül- lung des Geſetzes und damit die Erfüllung Deines eignen Wunſches und Strebens. Als der Erfüller des Geſetzes iſt aber jetzt nicht mehr das Geſetz, ſondern der Erfüller das Muſter, die Richtſchnur, das Geſetz Deines Lebens. Wer das Geſetz erfüllt, annullirt das Geſetz. Das Geſetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der Geſetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Geſetz vollkommen erfüllt, der ſagt zum Geſetz: was du willſt, das will ich von ſelbſt, und was du nur befiehlſt, bekräftige ich durch die That; mein Leben iſt das wahre, das lebendige Geſetz. Der Erfül- ler des Geſetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge- ſetzes, und zwar als ein neues Geſetz, ein Geſetz, deſſen Joch ſanft und milde iſt. Denn ſtatt des nur commandirenden Geſetzes ſtellt er ſich ſelbſt als Beiſpiel, als ein Object der Liebe, der Bewunderung und Nacheiferung hin und wird dadurch zum Erlöſer von der Sünde. Das Geſetz gibt mir nicht die Kraft, das Geſetz zu erfüllen; nein! es iſt bar- bariſch; es befiehlt nur, ohne ſich darum zu bekümmern, ob ich es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen ſoll; es über- läßt mich rath- und hülflos nur mir ſelbſt. Aber wer mir mit ſeinem Beiſpiel voranleuchtet, der greift mir unter die Arme, der theilt mir ſeine eigne Kraft mit. Das Geſetz lei- ſtet keinen Widerſtand der Sünde, aber Wunder wirkt das Beiſpiel. Das Geſetz iſt todt; aber das Beiſpiel animirt,

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/203>, abgerufen am 28.04.2024.