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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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erhoben sich über den Götzendienst zum Gottesdienste, über die
Creatur zur Anschauung des Creators, d. h. sie erhoben sich
über die theoretische Anschauung der Natur, welche den
Götzendiener bezauberte, zur rein praktischen Anschauung, welche
die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. "Daß
Du auch nicht Deine Augen aufhebest gen Himmel und sehest
die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer
des Himmels und fallest ab und betest sie an und dienest ih-
nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geschenkt,
largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel."*)
Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi-
schen Egoismus hat also die Schöpfung aus Nichts, d. h. die
Schöpfung als ein bloßer befehlshaberischer Act, ihren Ur-
sprung.

Aus diesem Grunde ist auch die Schöpfung aus Nichts
kein Object der Philosophie -- wenigstens in keiner andern
Weise, als in welcher sie hier es ist -- denn sie schneidet mit
der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der
Theorie keinen Anhaltpunkt dar; sie ist eine für die Theorie
bodenlose, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus,
den Egoismus bewahrheiten soll, nichts enthält, nichts andres
ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegen-
stande des Denkens, der Anschauung, sondern der Nutznießung
zu machen. Aber freilich je leerer sie für die natürliche Phi-
losophie, um so tiefer ist ihre "speculative" Bedeutung; denn
eben weil sie keinen theoretischen Anhaltspunkt hat, läßt sie
der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher
bodenloser Deutelei.

*) Deuteron, c. 4, 19.

erhoben ſich über den Götzendienſt zum Gottesdienſte, über die
Creatur zur Anſchauung des Creators, d. h. ſie erhoben ſich
über die theoretiſche Anſchauung der Natur, welche den
Götzendiener bezauberte, zur rein praktiſchen Anſchauung, welche
die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „Daß
Du auch nicht Deine Augen aufhebeſt gen Himmel und ſeheſt
die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer
des Himmels und falleſt ab und beteſt ſie an und dieneſt ih-
nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geſchenkt,
largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel.“*)
Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi-
ſchen Egoismus hat alſo die Schöpfung aus Nichts, d. h. die
Schöpfung als ein bloßer befehlshaberiſcher Act, ihren Ur-
ſprung.

Aus dieſem Grunde iſt auch die Schöpfung aus Nichts
kein Object der Philoſophie — wenigſtens in keiner andern
Weiſe, als in welcher ſie hier es iſt — denn ſie ſchneidet mit
der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der
Theorie keinen Anhaltpunkt dar; ſie iſt eine für die Theorie
bodenloſe, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus,
den Egoismus bewahrheiten ſoll, nichts enthält, nichts andres
ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegen-
ſtande des Denkens, der Anſchauung, ſondern der Nutznießung
zu machen. Aber freilich je leerer ſie für die natürliche Phi-
loſophie, um ſo tiefer iſt ihre „ſpeculative“ Bedeutung; denn
eben weil ſie keinen theoretiſchen Anhaltspunkt hat, läßt ſie
der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher
bodenloſer Deutelei.

*) Deuteron, c. 4, 19.
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[150/0168] erhoben ſich über den Götzendienſt zum Gottesdienſte, über die Creatur zur Anſchauung des Creators, d. h. ſie erhoben ſich über die theoretiſche Anſchauung der Natur, welche den Götzendiener bezauberte, zur rein praktiſchen Anſchauung, welche die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „Daß Du auch nicht Deine Augen aufhebeſt gen Himmel und ſeheſt die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels und falleſt ab und beteſt ſie an und dieneſt ih- nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geſchenkt, largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel.“ *) Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi- ſchen Egoismus hat alſo die Schöpfung aus Nichts, d. h. die Schöpfung als ein bloßer befehlshaberiſcher Act, ihren Ur- ſprung. Aus dieſem Grunde iſt auch die Schöpfung aus Nichts kein Object der Philoſophie — wenigſtens in keiner andern Weiſe, als in welcher ſie hier es iſt — denn ſie ſchneidet mit der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der Theorie keinen Anhaltpunkt dar; ſie iſt eine für die Theorie bodenloſe, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus, den Egoismus bewahrheiten ſoll, nichts enthält, nichts andres ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegen- ſtande des Denkens, der Anſchauung, ſondern der Nutznießung zu machen. Aber freilich je leerer ſie für die natürliche Phi- loſophie, um ſo tiefer iſt ihre „ſpeculative“ Bedeutung; denn eben weil ſie keinen theoretiſchen Anhaltspunkt hat, läßt ſie der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher bodenloſer Deutelei. *) Deuteron, c. 4, 19.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/168>, abgerufen am 01.05.2024.