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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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reducirt, ist nichts andres als der nach seinen einfachsten Mo-
menten vergegenständliche Denkact. Wenn ich den Un-
terschied aus Gott entferne, so gibt er mir keinen Stoff zum
Denken; er hört auf ein Denkobject zu sein; denn der Unter-
schied ist ein wesentliches Denkprincip. Und wenn ich
daher Unterschied in Gott setze, was begründe, was verge-
genständliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit
dieses Denkprincipes?


Das Geheimniß der Natur in Gott.

Einen interessanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theo-
gonischen Phantasien liefert die von Schelling aufgefrischte,
aus Jacob Böhm geschöpfte Lehre von der ewigen Natur in
Gott.

Gott ist reiner Geist, lichtvolles Selbstbewußtsein, sittliche
Persönlichkeit; die Natur dagegen ist, wenigstens stellenweise,
verworren, finster, wüste, unsittlich oder doch nicht sittlich. Es
widerspricht sich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die
Finsterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir also aus
Gott diese offenbaren Instanzen gegen eine göttliche Abkunft
ableiten? Nur dadurch, daß wir dieses Unreine, dieses Dunkle
in Gott setzen, in Gott selbst ein Princip des Lichtes und der
Finsterniß unterscheiden. Mit andern Worten: nur dadurch
können wir den Ursprung des Finstern erklären, daß wir über-
haupt die Vorstellung eines Ursprungs aufgeben, die Finsterniß
als seiend von Anbeginn an voraussetzen*).

*) Es liegt außer unserm Zwecke, diese craß mystische Ansicht zu kriti-
siren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finsterniß nur dann erklärt
wird, wenn sie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die

reducirt, iſt nichts andres als der nach ſeinen einfachſten Mo-
menten vergegenſtändliche Denkact. Wenn ich den Un-
terſchied aus Gott entferne, ſo gibt er mir keinen Stoff zum
Denken; er hört auf ein Denkobject zu ſein; denn der Unter-
ſchied iſt ein weſentliches Denkprincip. Und wenn ich
daher Unterſchied in Gott ſetze, was begründe, was verge-
genſtändliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit
dieſes Denkprincipes?


Das Geheimniß der Natur in Gott.

Einen intereſſanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theo-
goniſchen Phantaſien liefert die von Schelling aufgefriſchte,
aus Jacob Böhm geſchöpfte Lehre von der ewigen Natur in
Gott.

Gott iſt reiner Geiſt, lichtvolles Selbſtbewußtſein, ſittliche
Perſönlichkeit; die Natur dagegen iſt, wenigſtens ſtellenweiſe,
verworren, finſter, wüſte, unſittlich oder doch nicht ſittlich. Es
widerſpricht ſich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die
Finſterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir alſo aus
Gott dieſe offenbaren Inſtanzen gegen eine göttliche Abkunft
ableiten? Nur dadurch, daß wir dieſes Unreine, dieſes Dunkle
in Gott ſetzen, in Gott ſelbſt ein Princip des Lichtes und der
Finſterniß unterſcheiden. Mit andern Worten: nur dadurch
können wir den Urſprung des Finſtern erklären, daß wir über-
haupt die Vorſtellung eines Urſprungs aufgeben, die Finſterniß
als ſeiend von Anbeginn an vorausſetzen*).

*) Es liegt außer unſerm Zwecke, dieſe craß myſtiſche Anſicht zu kriti-
ſiren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finſterniß nur dann erklärt
wird, wenn ſie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die
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[105/0123] reducirt, iſt nichts andres als der nach ſeinen einfachſten Mo- menten vergegenſtändliche Denkact. Wenn ich den Un- terſchied aus Gott entferne, ſo gibt er mir keinen Stoff zum Denken; er hört auf ein Denkobject zu ſein; denn der Unter- ſchied iſt ein weſentliches Denkprincip. Und wenn ich daher Unterſchied in Gott ſetze, was begründe, was verge- genſtändliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit dieſes Denkprincipes? Das Geheimniß der Natur in Gott. Einen intereſſanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theo- goniſchen Phantaſien liefert die von Schelling aufgefriſchte, aus Jacob Böhm geſchöpfte Lehre von der ewigen Natur in Gott. Gott iſt reiner Geiſt, lichtvolles Selbſtbewußtſein, ſittliche Perſönlichkeit; die Natur dagegen iſt, wenigſtens ſtellenweiſe, verworren, finſter, wüſte, unſittlich oder doch nicht ſittlich. Es widerſpricht ſich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die Finſterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir alſo aus Gott dieſe offenbaren Inſtanzen gegen eine göttliche Abkunft ableiten? Nur dadurch, daß wir dieſes Unreine, dieſes Dunkle in Gott ſetzen, in Gott ſelbſt ein Princip des Lichtes und der Finſterniß unterſcheiden. Mit andern Worten: nur dadurch können wir den Urſprung des Finſtern erklären, daß wir über- haupt die Vorſtellung eines Urſprungs aufgeben, die Finſterniß als ſeiend von Anbeginn an vorausſetzen *). *) Es liegt außer unſerm Zwecke, dieſe craß myſtiſche Anſicht zu kriti- ſiren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finſterniß nur dann erklärt wird, wenn ſie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/123>, abgerufen am 25.11.2024.