Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Realität ist. Wo und wenn die Verschiedenheit an sich selbst
Nichts ist, da wird auch im Princip keine Verschiedenheit ge-
dacht. Ich setze die Verschiedenheit als eine wesentliche Kate-
gorie, als eine Wahrheit, wo ich sie aus dem ursprünglichen
Wesen ableite und umgekehrt: beides ist identisch. Der ver-
nünftige Ausdruck ist: die Verschiedenheit liegt eben so noth-
wendig in der Vernunft, als die Identität.

Da nun aber eben die Verschiedenheit eine positive Ver-
nunftbestimmung ist, so kann ich die Verschiedenheit nicht ab-
leiten, ohne schon die Verschiedenheit vorauszusetzen; ich kann
sie nicht erklären außer durch sich selbst, weil sie eine ur-
sprüngliche, durch sich selbst einleuchtende, durch sich selbst sich
bewährende Realität ist. Wodurch entsteht die Welt, das von
Gott Unterschiedene? durch den Unterschied Gottes von sich in
Gott selbst. Gott denkt sich, er ist sich Gegenstand, er unter-
scheidet sich von sich
-- also entsteht dieser Unterschied, die
Welt, nur von einem Unterschied anderer Art, der äußere von
einem innerlichen, der seiende von einem thätigen, einem Un-
terscheidungsacte, also begründe ich den Unterschied nur durch
sich selbst, d. h. er ist ein ursprünglicher Begriff, ein Non plus
ultra
meines Denkens, ein Gesetz, eine Nothwendigkeit, eine
Wahrheit. Der letzte Unterschied, den ich denken kann, ist der
Unterschied eines Wesens von und in sich selbst. Der Un-
terschied eines Wesens von einem andern versteht sich von selbst,
ist schon durch ihr Dasein gesetzt, eine sinnfällige Wahrheit: es
sind zwei. Für das Denken begründe ich aber erst den Un-
terschied, wenn ich ihn in ein und dasselbe Wesen aufnehme,
wenn ich ihn mit dem Gesetze der Identität verbinde.
Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterschieds. Das kos-
mogenetische Princip in Gott
, auf seine letzten Elemente

Realität iſt. Wo und wenn die Verſchiedenheit an ſich ſelbſt
Nichts iſt, da wird auch im Princip keine Verſchiedenheit ge-
dacht. Ich ſetze die Verſchiedenheit als eine weſentliche Kate-
gorie, als eine Wahrheit, wo ich ſie aus dem urſprünglichen
Weſen ableite und umgekehrt: beides iſt identiſch. Der ver-
nünftige Ausdruck iſt: die Verſchiedenheit liegt eben ſo noth-
wendig in der Vernunft, als die Identität.

Da nun aber eben die Verſchiedenheit eine poſitive Ver-
nunftbeſtimmung iſt, ſo kann ich die Verſchiedenheit nicht ab-
leiten, ohne ſchon die Verſchiedenheit vorauszuſetzen; ich kann
ſie nicht erklären außer durch ſich ſelbſt, weil ſie eine ur-
ſprüngliche, durch ſich ſelbſt einleuchtende, durch ſich ſelbſt ſich
bewährende Realität iſt. Wodurch entſteht die Welt, das von
Gott Unterſchiedene? durch den Unterſchied Gottes von ſich in
Gott ſelbſt. Gott denkt ſich, er iſt ſich Gegenſtand, er unter-
ſcheidet ſich von ſich
— alſo entſteht dieſer Unterſchied, die
Welt, nur von einem Unterſchied anderer Art, der äußere von
einem innerlichen, der ſeiende von einem thätigen, einem Un-
terſcheidungsacte, alſo begründe ich den Unterſchied nur durch
ſich ſelbſt, d. h. er iſt ein urſprünglicher Begriff, ein Non plus
ultra
meines Denkens, ein Geſetz, eine Nothwendigkeit, eine
Wahrheit. Der letzte Unterſchied, den ich denken kann, iſt der
Unterſchied eines Weſens von und in ſich ſelbſt. Der Un-
terſchied eines Weſens von einem andern verſteht ſich von ſelbſt,
iſt ſchon durch ihr Daſein geſetzt, eine ſinnfällige Wahrheit: es
ſind zwei. Für das Denken begründe ich aber erſt den Un-
terſchied, wenn ich ihn in ein und daſſelbe Weſen aufnehme,
wenn ich ihn mit dem Geſetze der Identität verbinde.
Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterſchieds. Das kos-
mogenetiſche Princip in Gott
, auf ſeine letzten Elemente

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0122" n="104"/>
Realität</hi> i&#x017F;t. Wo und wenn die Ver&#x017F;chiedenheit an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Nichts i&#x017F;t, da wird auch im Princip keine Ver&#x017F;chiedenheit ge-<lb/>
dacht. Ich &#x017F;etze die Ver&#x017F;chiedenheit als eine we&#x017F;entliche Kate-<lb/>
gorie, als eine Wahrheit, wo ich &#x017F;ie aus dem ur&#x017F;prünglichen<lb/>
We&#x017F;en ableite und umgekehrt: beides i&#x017F;t identi&#x017F;ch. Der ver-<lb/>
nünftige Ausdruck i&#x017F;t: die Ver&#x017F;chiedenheit liegt eben &#x017F;o noth-<lb/>
wendig in der Vernunft, als die Identität.</p><lb/>
          <p>Da nun aber eben die Ver&#x017F;chiedenheit eine po&#x017F;itive Ver-<lb/>
nunftbe&#x017F;timmung i&#x017F;t, &#x017F;o kann ich die Ver&#x017F;chiedenheit nicht ab-<lb/>
leiten, ohne &#x017F;chon die Ver&#x017F;chiedenheit vorauszu&#x017F;etzen; ich kann<lb/>
&#x017F;ie nicht erklären außer <hi rendition="#g">durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, weil &#x017F;ie eine ur-<lb/>
&#x017F;prüngliche, durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einleuchtende, durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
bewährende Realität i&#x017F;t. Wodurch ent&#x017F;teht die Welt, das von<lb/>
Gott Unter&#x017F;chiedene? durch den Unter&#x017F;chied Gottes von &#x017F;ich in<lb/>
Gott &#x017F;elb&#x017F;t. Gott denkt &#x017F;ich, er i&#x017F;t &#x017F;ich Gegen&#x017F;tand, er <hi rendition="#g">unter-<lb/>
&#x017F;cheidet &#x017F;ich von &#x017F;ich</hi> &#x2014; al&#x017F;o ent&#x017F;teht <hi rendition="#g">die&#x017F;er</hi> Unter&#x017F;chied, die<lb/>
Welt, nur von einem Unter&#x017F;chied anderer Art, der äußere von<lb/>
einem innerlichen, der &#x017F;eiende von einem thätigen, einem Un-<lb/>
ter&#x017F;cheidungsacte, al&#x017F;o begründe ich den Unter&#x017F;chied nur durch<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, d. h. er i&#x017F;t ein ur&#x017F;prünglicher Begriff, ein <hi rendition="#aq">Non plus<lb/>
ultra</hi> meines Denkens, ein Ge&#x017F;etz, eine Nothwendigkeit, eine<lb/>
Wahrheit. Der letzte Unter&#x017F;chied, den ich denken kann, i&#x017F;t der<lb/>
Unter&#x017F;chied eines We&#x017F;ens <hi rendition="#g">von</hi> und <hi rendition="#g">in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>. Der Un-<lb/>
ter&#x017F;chied eines We&#x017F;ens von einem andern ver&#x017F;teht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chon durch ihr Da&#x017F;ein ge&#x017F;etzt, eine &#x017F;innfällige Wahrheit: es<lb/>
&#x017F;ind <hi rendition="#g">zwei</hi>. Für das Denken begründe ich aber er&#x017F;t den Un-<lb/>
ter&#x017F;chied, wenn ich ihn in <hi rendition="#g">ein und da&#x017F;&#x017F;elbe</hi> We&#x017F;en aufnehme,<lb/>
wenn ich ihn mit dem <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etze der Identität</hi> verbinde.<lb/>
Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unter&#x017F;chieds. <hi rendition="#g">Das kos-<lb/>
mogeneti&#x017F;che Princip in Gott</hi>, auf &#x017F;eine letzten Elemente<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0122] Realität iſt. Wo und wenn die Verſchiedenheit an ſich ſelbſt Nichts iſt, da wird auch im Princip keine Verſchiedenheit ge- dacht. Ich ſetze die Verſchiedenheit als eine weſentliche Kate- gorie, als eine Wahrheit, wo ich ſie aus dem urſprünglichen Weſen ableite und umgekehrt: beides iſt identiſch. Der ver- nünftige Ausdruck iſt: die Verſchiedenheit liegt eben ſo noth- wendig in der Vernunft, als die Identität. Da nun aber eben die Verſchiedenheit eine poſitive Ver- nunftbeſtimmung iſt, ſo kann ich die Verſchiedenheit nicht ab- leiten, ohne ſchon die Verſchiedenheit vorauszuſetzen; ich kann ſie nicht erklären außer durch ſich ſelbſt, weil ſie eine ur- ſprüngliche, durch ſich ſelbſt einleuchtende, durch ſich ſelbſt ſich bewährende Realität iſt. Wodurch entſteht die Welt, das von Gott Unterſchiedene? durch den Unterſchied Gottes von ſich in Gott ſelbſt. Gott denkt ſich, er iſt ſich Gegenſtand, er unter- ſcheidet ſich von ſich — alſo entſteht dieſer Unterſchied, die Welt, nur von einem Unterſchied anderer Art, der äußere von einem innerlichen, der ſeiende von einem thätigen, einem Un- terſcheidungsacte, alſo begründe ich den Unterſchied nur durch ſich ſelbſt, d. h. er iſt ein urſprünglicher Begriff, ein Non plus ultra meines Denkens, ein Geſetz, eine Nothwendigkeit, eine Wahrheit. Der letzte Unterſchied, den ich denken kann, iſt der Unterſchied eines Weſens von und in ſich ſelbſt. Der Un- terſchied eines Weſens von einem andern verſteht ſich von ſelbſt, iſt ſchon durch ihr Daſein geſetzt, eine ſinnfällige Wahrheit: es ſind zwei. Für das Denken begründe ich aber erſt den Un- terſchied, wenn ich ihn in ein und daſſelbe Weſen aufnehme, wenn ich ihn mit dem Geſetze der Identität verbinde. Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterſchieds. Das kos- mogenetiſche Princip in Gott, auf ſeine letzten Elemente

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/122
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/122>, abgerufen am 25.11.2024.